Mülheim. Sein Vater gehörte zum Kreis um Graf von Stauffenberg, der 1944 ein Attentat auf Hitler verübte. Axel Smend über Aufklärung, Haltung und die AfD.
Günther Smend (1912-1944), ein in Mülheim aufgewachsener Generalstabsoffizier, gehörte zu den Männern um den Grafen von Stauffenberg, die ihren Versuch, Adolf Hitler am 20. Juli 1944 zu stürzen und mit der NS-Diktatur auch den Krieg und den Holocaust zu beenden, vor 80 Jahren mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Seit 2007 erinnert ein Stolperstein vor seinem letzten Mülheimer Wohnsitz im Luisental 11 an Günther Smend, der dort von 1924 bis 1932 mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Geschwistern lebte. Schon bei der Verlegung des Stolpersteins und bei einem Zeitzeugengespräch 2017 in der Otto-Pankok-Schule war Günther Smends Sohn, der Berliner Rechtsanwalt Axel Smend, als Zeitzeuge zu Gast in Mülheim.
Am 16. Juli wird er um 18 Uhr im Haus der Stadtgeschichte an der Von-Graefe-Straße 37 die Wanderausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eröffnen, mit der das Stadtarchiv den Mülheimer Widerstand gegen Hitler beleuchtet. Vorab stellte er sich den Fragen der Lokalredaktion.
Wie sehen Sie als Sohn eines Widerstandskämpfers und NS-Opfers die jüngsten Wahlerfolge der AfD?
Axel Smend: Schon seit über zehn Jahren versucht die Neue Rechte, inklusive der AfD, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Allgemeinen und Persönlichkeiten wie Sophie Scholl und Stauffenberg im Besonderen für sich zu instrumentalisieren. So wurde etwa die freiheitliche Demokratie der Bundesrepublik als „Merkeldiktatur“ diffamiert, gegen die „Widerstand“ zu leisten sei. Hier werden Begriffe besetzt, um eigene politische Einstellungen zu legitimieren. Dies ist grotesk, peinlich und beschämend. Denn es verkennt den fundamentalen Unterschied zwischen dem Widerstand gegen eine totalitäre Diktatur und den oppositionellen Bestrebungen in der liberalen Demokratie.
Zur AfD im Osten muss ich sagen: Es handelt sich speziell im Osten um einen Prozess, der viel mit der dortigen Entwicklung der Wirtschaft und auch mit der Wertschätzung von Lebensgeschichten und auch viel mit der Erfahrung über Generationen hinweg durch zwei diktatorische Systeme zu tun hat. Eine verantwortliche historisch-politische Bildungsarbeit wäre immens wichtig. Auch die Politik ist gefordert: Sie muss eigene Fehler offen eingestehen und Misstrauen durch Vertrauensbildung abbauen.
„Heute gehört der 20. Juli 1944 zum guten Teil der deutschen Geschichte“
Das Attentat auf Hitler ist am 20. Juli 1944 gescheitert. War das Opfer Ihres Vaters vergebens?
Nein, es kam darauf an, ein Zeichen zu setzen, zu zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gegeben hat. Heute gehört der 20. Juli 1944 zum guten Teil der deutschen Geschichte, wie der 17. Juni 1953 oder der 9. November 1989.
Wissen Sie, wer Ihren Vater verraten hat und wie gehen Sie mit dieser (Un)-Gewissheit um?
Die meisten der nach dem 20. Juli 1944 Festgenommenen kamen in das damalige Hausgefängnis der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), Berlin, Prinz-Albrecht-Straße 8, und wurden dort während der Verhöre gefoltert, zum Teil sicherlich bestialisch. Wer kann oder will für sich behaupten, unter solchen Umständen bei relevanten Fragen schweigen zu können?
Sie wurden im Todesjahr Ihres Vaters geboren und mussten ohne ihn aufwachsen. Wie hat das Ihr Leben beeinflusst?
Ich war vier Monate alt, als mein Vater in Berlin-Plötzensee ermordet wurde. Viele Kinder haben damals ihren Vater verloren und sind vaterlos aufgewachsen. Das war nichts Ungewöhnliches. Aber die Umstände, unter denen mein Vater umgekommen ist, wie auch seine Verstrickungen mit dem Attentat, haben dazu geführt, mich früh mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu beschäftigen, zunächst mit dem militärisch-zivilen, später dann aber auch mit allen anderen Widerstandskreisen, wie etwa die Weiße Rose, die Rote Kapelle, der Kreisauer Kreis, Georg Elser oder die Stillen Helden.
Später, als ich in Berlin wohnte, durfte ich seit 2002 für die Stiftung 20. Juli 1944 ehrenamtlich arbeiten, zunächst als Vorsitzender des Vorstands, dann als Vorsitzender des Kuratoriums. Seit 2021 bin ich Ehrenvorsitzender des Kuratoriums und nach wie vor bundesweit an Schulen unterwegs, um über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in seiner gesamten Breite zu sprechen, vor allem auch über seine Bedeutung für heute; insgesamt eine große Bereicherung für mein Leben.
Nachkomme von Widerstandskämpfer: „Für den Fortbestand von Freiheit und Menschenwürde einsetzen“
Gibt es eine Eigenschaft, die Sie von Ihrem Vater geerbt haben?
Mein Vater war ein außerordentlich guter Sportler; so war er 1930 Mülheimer Stadtmeister über 5000 Meter und im Waldlauf; außerdem nahm er für seine Schule (heutige Otto-Pankok-Schule) erfolgreich an Ruderwettkämpfen teil. Ich bin auch sportbegeistert und habe sicherlich auch etwas von seinem Sprachtalent geerbt.
Sie sind ein gefragter Zeitzeuge. Was ist Ihre wichtigste Botschaft?
Die, die im Widerstand waren und sich widersetzt haben, haben auf ihre innere Stimme gehört, die ihnen gesagt hat: „Auch wenn es alle tun, ich nicht! Nein!“. Diese Stimme ist Grundlage widerständigen Handelns; sie gibt uns die H a l t u n g vor, für die ich stehe, aber auch einstehe, mit allen Nachteilen.
Auf diese Stimme haben Sophie Scholl, Georg Elser und Claus Schenk Graf von Stauffenberg und alle anderen gehört; auf diese Stimme müssen auch wir hören, um uns als Demokraten für den Fortbestand von Freiheit und Menschenwürde einzusetzen, beim Sport, in der Schule, in der Uni, im Beruf, in der Familie, am Stammtisch, in den Medien, in Vereinen, auch wenn wir Einbußen in Kauf zu nehmen haben.
Nationalsozialismus und Mülheim - lesen Sie auch:
- Widerstand: Diese Mülheimer kämpften gegen das Nazi-Regime
- Otto Pankok – warum Nazis den Mülheim-Saarner Künstler hassten
- Rückblick: Christliche Mülheimer im Widerstand gegen Hitler
- 99-jähriger Mülheimer: „Als die Hitlerjugend aufmarschierte“
- NS-Zeit: Als zehntausende Mülheimer zum Eintopfsonntag kamen
Bleiben Sie in Mülheim auf dem Laufenden!
>> Alle Nachrichten aus Mülheim lesen Sie hier. +++ Abonnieren Sie kostenlos unseren Newsletter per Mail oder Whatsapp! +++ Hier kommen Sie zu unseren Schwerpunktseiten Wohnen, Gastronomie, Handel/Einkaufen und Blaulicht. +++ Zu unserem Freizeitkalender geht es hier. Legen Sie sich doch einen Favoriten-Link an, um kein Event zu verpassen! +++ Lokale Nachrichten direkt auf dem Smartphone: Laden Sie sich unsere News-App herunter (Android-Version, Apple-Version).