Mülheim. Ihr Werk? Geschlossen, denn die Produktion ging nach Brasilien. Doch neue Jobs für die ehemalige Vallourec-Belegschaft zu finden, ist schwierig.
Zwar stehen sie nicht mit leeren Händen da, sind vorerst finanziell über den Nachteilsausgleich abgesichert. Doch spätestens, wenn die Transfergesellschaft ausläuft, brauchen die ehemaligen Mitarbeiter des Rohr-Herstellers Vallourec eine neue Anstellung, nachdem der französische Konzern seine Werke in Mülheim und Düsseldorf geschlossen und die Produktion aus Rentabilitätsgründen nach Brasilien verlegt hat. Betroffene berichten von ihren Erfahrungen bei der Jobsuche.
Als er Anfang des Jahres Vater einer kleinen Tochter wurde, hatte der 39-Jährige gerade seinen Job verloren. Lange war der bei Vallourec angestellt, spezialisiert in jenem Fachbereich, der „Zerstörungsfreie Prüfung“ heißt. Jetzt, im Sommer 2024, sucht der Mann, der lieber anonym bleiben möchte aus Sorge vor Benachteiligung, immer noch nach einem neuen Job. „Es gibt viel Arbeit für unqualifizierte und für hochqualifizierte Kräfte - beides erfülle ich nicht“, sagt der frischgebackene Familienvater. Trotz seiner jahrelangen Tätigkeit bringe er nicht die entscheidenden Qualifikationen mit, schätzt er. Dabei wäre er durchaus offen für einen Quereinstieg bei einem Unternehmen, etwa einem, das ebenfalls in der Metallindustrie angesiedelt ist - „doch darauf will sich keiner einlassen, obwohl ich bei Vallourec auch Schlossertätigkeiten ausgeführt habe“, sagt der 39-Jährige verständnislos, denn: „Bei einem Quereinstieg wäre ich ja keiner, der aus dem Büro kommt.“
Trotz Fachkräftemangels finden ehemalige Vallourec-Beschäftigte aus Mülheim keinen Job
Dass die Stellenangebote trotz des viel zitierten Fachkräftemangels derzeit nicht sonderlich üppig scheinen, ist auch die Erfahrung von Dominic. „Ich komme aus der Produktion, da gibt es nicht so viel Angebot, denn die Firmen suchen eher nicht, weil deren Auftragslage nicht gerade rosig ist“, hat der 39-Jährige, der derzeit in der Transfergesellschaft steckt, nicht nur auf einer Job-Messe, die kürzlich in der Mülheimer Stadthalle stattfand, die Erfahrung gemacht. „Als Montageschlosser könnte ich weltweit zum Einsatz kommen, aber das will ich als Familienvater nicht.“
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Er bewerbe sich derzeit im Ruhrgebiet. Alle zwei, drei Wochen führe er ein Gespräch mit seinem Berater aus der Transfergesellschaft, erhalte neue Stellenangebote. „Das funktioniert gut, ohne Druck“, fühlt sich der ehemalige Vallourec-Mitarbeiter angemessen betreut. Dennoch, eine neue Anstellung hat er nach sechs Monaten in der Transfergesellschaft, wo er auch für Bewerbungsgespräche gecoacht werde, noch nicht gefunden: „Für mich muss auch die Bezahlung stimmen“, betont Dominic.
Betriebsrat von Vallourec in Mülheim: „Werden auch weniger gut bezahlte Jobs annehmen müssen“
Dass der Verdienst ein entscheidendes Kriterium für seine Kollegen ist, um sich nach ihrer zumeist langjährigen Werks-Zugehörigkeit für einen neuen Job zu entscheiden, weiß auch der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Vallourec in Mülheim, Steffen-Lutz Wardel: „Die Belegschaft hat bei Vallourec echt gutes Geld verdient.“ Einen qualitativ gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden, beurteilt Wardel für die Beschäftigten aus der Produktion als schwer. „Der Arbeitsmarkt derzeit ist schwierig“, sagt Wardel. Die Lage in der Metall-Branche sei eine entscheidende Bremse für Einstellungen. „Die allermeisten stahlverarbeitenden Unternehmen sind in Schwierigkeiten.“
Keine der umliegenden Firmen habe Vallourec-Leute aus der Produktion in großer Anzahl aufgenommen, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende: „Die haben sich nur an den Facharbeitern bedient. Wer als Elektroniker und Schlosser bei uns gearbeitet hat, hatte schon einen neuen Arbeitsvertrag, bevor das Werk geschlossen wurde.“
Vallourec-Arbeiter: „War 30 Jahre im Werk, habe aber trotzdem nicht genug Qualifizierungen“
Wardels Prognose für die nahe Zukunft vieler seiner Kollegen aus der Produktion: Wenn die Transfergesellschaft zum Jahreswechsel endet, werde „sich der ein oder andere mit dem Gedanken anfreunden müssen, auch einen Arbeitsplatz anzunehmen, der nicht ganz so gut bezahlt ist. Aber wer arbeiten möchte, findet auch Arbeit.“ Ein Hebel zu einer neuen Anstellung könne für viele die Weiterqualifizierung sein, die durch die Transfergesellschaft geschehe.
Die Erfahrung, dass ihnen bestimmte Qualifizierungen fehlen, machen aktuell auch Robert und Aydin, beide Anfang 50. Die Kollegen haben Jahrzehnte lang im Vallourec-Werk gearbeitet, waren in der Produktion tätig, erzählen sie am Rande der Job-Messe. „Ich hab mal Schlosser gelernt, aber das ist über 30 Jahre her“, blickt Robert zurück und nennt einen möglichen Grund, warum seine Bewerbungen bislang ins Leere laufen: „Schlosser werden etwa als Facharbeiter gesucht, aber ich hab in den vergangenen Jahren nicht mehr die entsprechenden Scheine dazu gemacht, weil ich die in meinem Job im Werk nicht brauchte“.
Vallourec-Beschäftigter hat sich zig Mal beworben - bislang ohne Erfolg
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Auch ihr Kollege sucht nach wie vor eine neue Anstellung. 42 Jahre alt ist er, erzählt von einem siebenjährigen Sohn und einer neunjährigen Tochter, von Eigentum und entsprechenden finanziellen Verpflichtungen. Nicht zuletzt deswegen brauche er eine neue berufliche Perspektive. Aktuell befindet auch er sich in der Transfergesellschaft, ist damit im Großen und Ganzen zufrieden - doch die Zeit läuft. Noch etwa ein halbes Jahr wird diese Auffanggesellschaft Bestand haben - „wer danach leider noch keinen Job hat, kann ins Arbeitslosengeld 1 wechseln“, hatte ein Berater während der Job-Messe gesagt.
Knapp 15 Bewerbungen habe er bereits rausgeschickt, zählt der 42-Jährige auf und ärgert sich: „Auf viele bekommt man noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung, geschweige denn eine richtige Antwort.“ Bei Leihfirmen könne er wohl unterkommen, haben seine Recherchen auf dem Arbeitsmarkt bislang ergeben - „doch das will ich nicht“, sagt der Mülheimer entschieden und spricht von dem Jahrzehnte lang gewachsenen Zusammenhalt, den er in der Vallourec-Belegschaft erlebt habe. „Das prägt einen“, schiebt sein Kollege nachdenklich hinterher. Auch Dominic weiß: „Wenn die Transfergesellschaft endet und ich bis dahin noch nichts Neues gefunden habe, dann ist meine Zukunft ungewiss.“
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