Mülheim. Eine junge Mülheimerin (19) hilft in Tansania Gleichaltrigen, die Genitalverstümmelung erlitten haben oder als Kind zwangsverheiratet wurden.
Es sind die Schicksale, von denen sie hautnah erfährt, wenn sie mit den Frauen in Tansania spricht, die sie zutiefst berühren. Nicht wenige der weiblichen Opfer sind kaum älter als sie selbst und haben doch schon schreckliche Erfahrungen gemacht wie Zwangsehen und Genitalverstümmelung. Ihnen will die Mülheimerin Helena Beckers helfen. Die 19-Jährige will darüber aufklären, welche Gräueltaten den Frauen widerfahren und durch wessen Hilfe die Betroffenen Schutz finden.
Sakai ist eines der Kinder, die aktuell sicher sind unter dem Dach der Hilfsorganisation Eripoto, bei der die 19-jährige Helena Beckers aus Mülheim Freiwilligenarbeit leistet. Sakai, das achtjährige Mädchen, gehört einem traditionellen Massai-Stamm an und wuchs zuletzt gemeinsam mit ihren Geschwistern bei ihrer Großmutter auf, nachdem ihre Eltern an Covid gestorben waren. Die ältere Schwester sollte verheiratet werden, der Brautpreis war nach traditioneller Sitte schon bezahlt, als die Hilfsorganisation Eripoto auf das Schicksal der jungen Frau aufmerksam wurde und sie vor der Zwangsehe bewahrte. Weil aber der Preis für die Braut bereits beglichen war, sollte als Nächstes die kleine Sakai an den Bräutigam gehen.
Ein achtjähriges Mädchen sollte verheiratet werden
Auch das wussten die Mitarbeitenden von Eripoto mit aller Entschiedenheit zu verhindern, berichtet Helena Beckers. Das Kind lebt nun im „Safe House“ der Organisation, einem sicheren Ort, der den Betroffenen nicht nur Schutz bietet, sondern sie auch auf eine selbstbestimmte Zukunft vorbereitet. Am Beispiel von Sakai, so berichtet Helena Beckers, bedeutet das, neben der Sprache ihres Massai-Stammes auch Swahili und Englisch zu lernen. „Wenn sie heute vor mir steht und Englisch mit mir spricht, bin ich begeistert und fasziniert. Sie ist eine unglaubliche Persönlichkeit“, zeichnet die Mülheimerin ein Bild von dem Mädchen, das als Angehörige der Massai die traditionellen Narben auf den Wangen trägt.
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„Sakai ist mir sehr ans Herz gewachsen“, sagt Helena Beckers, die vor einem Jahr Abitur gemacht hat und danach zunächst durch Südamerika gereist ist, bevor sie nach Tansania kam. Eigentlich wollte die 19-Jährige nur vier Wochen bleiben, der Rückflug nach Deutschland war schon gebucht. „Aber ich hab schnell gemerkt, dass mich dieses Projekt so begeistert, dass ich Eripoto weiter unterstützen will.“ Sie kam zurück - und blieb für weitere zehn Wochen.
Ein Jahr nach ihrem Abi an der Mülheimer Luisenschule hilft sie Frauen in Afrika
Die ehemalige Luisenschülerin unterstützt die Nichtregierungsorganisation (NGO) bei der täglichen Arbeit, indem sie im Büro hilft, Flyer gestaltet, die Website aktualisiert, Newsletter schreibt und das Online-Banking so einrichtet, dass auch Transaktionen aus Deutschland einfacher sind, um zu spenden für Eripoto. In der Sprache der Massai bedeutet der Name Sicherheit und Geborgenheit. Und das ist es, was die Frauen und Mädchen, denen die NGO hilft, bitter nötig haben.
Im Safe House, dem geschützten Ort, einer Art Frauenhaus, leben derzeit rund 15 Frauen mit vier Kleinkindern. Dort können die Betroffen „in Ruhe alles verarbeiten, was sie erlebt haben und erhalten medizinische Versorgung“, berichtet Helena Beckers. Dabei sind die jungen Frauen oft in ihrem Alter: „Ich bin 19 Jahre alt, die Mädchen auch - aber sie haben schon drei- oder vierjährige Kinder. Ich frage mich: Wie wäre das, wenn mir das passiert wäre.“ Zwar wusste sie im Vorfeld von den Widrigkeiten afrikanischer Sitten wie der Zwangsehe und Genitalverstümmelung. „Doch diese Frauen dann zu treffen, hat mich wirklich schockiert.“ Umso wichtiger ist es ihr, die Hilfsangebote von Eripoto so bekannt wie möglich zu machen.
Hilfsorganisation verteilt in Tansania Periodenprodukte
Neben dem Safe House bietet die NGO zudem Workshops und Seminare an in Schulen oder an Orten, die weit außerhalb der Hauptstadt Arusha liegen und nicht an die Zivilisation angeschlossen sind. „Viele Kinder gehen nicht zur Schule, weil es für ihre Familien wichtiger ist, dass sie auf das Vieh aufpassen.“ Zum einen ist der Schutz vor Übergriffen eines der Ziele der Organisation, zum anderen die Befähigung der Frauen zur Selbstbestimmung. Zudem stellt Eripoto auch Periodenprodukte bereit - „für Frauen, die sonst keinen Zugang dazu hätten.“
Ein wichtiges Puzzlestück der Hilfe bilde auch das Nähprojekt, durch das die Schutzbedürftigen Handarbeiten lernen und so Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit erfahren. Zugleich stelle das Nähprojekt auch eine Einnahmequelle dar, sagt Beckers - über die Website www.eripoto.org können etwa Taschen, gefertigt aus traditionellen farbenfrohen afrikanische Stoffen, und Schmuck geordert werden. Im Kampf gegen die Bildungsarmut hat Eripoto in Arusha zudem eine Art Vorschule etabliert, in der schon die Kleinsten Englisch lernen. „Eines der Mädchen aus dem Safe House, mit denen ich viel Zeit verbringe, möchte Lehrerin werden“, erzählt die Mülheimerin und schildert: „Sie möchte darüber aufklären, wie es besser geht. Das war ein Moment, der mir viel Hoffnung gegeben hat. Und ich weiß, dass diese Mädchen das alles schaffen können und mit ihrer Bildung so viel Gutes tun können.“
19-Jährige aus Mülheim trifft auf Gleichaltrige, die Schlimmes erlebt haben
Diese Frauen und Kinder wie die achtjährige Sakai sind eine riesengroße Familie für Helena Beckers. „Die Gründerin ist wie eine Mama für jeden und nimmt jeden herzlich auf. Es ist eine Gemeinschaft, die mich so unglaublich berührt, weil man füreinander da ist.“ Die 19-Jährige berichtet von vielen berührenden Situationen, „in denen ich gar nicht so richtig wusste, wohin mit meinen Emotionen.“
Einer dieser Moment spielte sich in einer Schule weit entfernt von der Hauptstadt ab, „mitten im Nirgendwo“, erinnert sich die Mülheimerin. „Dort stand ein elfjähriges Mädchen vor uns und hat weinend erzählt, dass sie die sechste Klasse nicht zu Ende machen kann, weil sie schon verheiratet ist. Meine Schwester ist auch in diesem Alter - einfach unvorstellbar. Das war bei meinem ersten Aufenthalt und für mich der Punkt, an dem ich wusste: Ich möchte weiterhelfen.“ Ihre Zukunft sieht die Mülheimerin daher auch in der humanitären Hilfe, strebt ein entsprechendes Studium an.
Junge Mülheimerin strebt schon die nächste Freiwilligenarbeit in Afrika an
Die Arbeit, die Hilfe, die Eripoto leistet, geschehe allein durch Spenden- und Fördergelder, schildert die Helena Beckers. Ihr erklärtes Ziel ist es, weitere Unterstützer zu finden, damit Frauen in Tansania eine bessere Zukunft haben. Doch das Engagement von Helena Beckers endet nicht an der tansanischen Grenze.
Afrika hat sich in ihr Herz gebrannt. Nur für fünf Wochen wird sie bald zu Hause in Mülheim sein. Anschließend zieht sie wieder los, fliegt zurück nach Afrika. Helena Beckers wird ein freiwilliges soziales Jahr in Ruanda machen und ein Projekt für Straßenkinder unterstützen. Ein Stück ihres Herzens aber bleibt in Tansania, bei Eripoto. „Die Busverbindung ist gar nicht so schlecht, daher denke ich, dass ich schon bald wieder in Arusha sein werde.“
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