Mülheim. Tempo 30 und wildes Parken: Zu vielen Autofahrern ist das offenbar egal. Mülheim hat Verstöße oft nicht geahndet. Wo das gerade für Ärger sorgt.

Die einen sorgen sich um ihre Außenspiegel, die anderen um Autos, die ihnen das Gehen auf dem Bürgersteig unmöglich machen. Vor allem mit Rollator, Kinderwagen oder Rollstuhl. Das illegale Gehwegparken ist eben auch in Mülheim ein Dauerdilemma, wo Straßen zu schmal geworden sind, um die stetig steigende Zahl von Fahrzeugen aufzunehmen. Und nicht selten sind Betroffene sich selbst überlassen, werden von der Behörde sogar angehalten, Verstöße selbst zu melden. Denn eine Kontrolle fehlt.

Das betrifft seit Jahren auch die Borbecker Straße in Dümpten, wo noch ein zweiter Faktor hinzukommt: Es wird viel zu schnell gefahren. Dabei hat die Stadt schon vor einiger Zeit kurz vor der Zufahrt Denkhauser Höfe das Tempo auf 30 durch eine Zone begrenzt. Ohnehin sind die Straßen hier recht eng. Kleine Einbuchtungen hier und da sowie quer angelegte Parkplätze sollen zusätzlich verhindern, dass man hier die Pedale zu Boden tritt.

Borbecker Straße in Mülheim: Weniger als die Hälfte hält sich an Tempo 30

Doch weniger als die Hälfte hält sich daran, wie Messungen der Stadt belegen. Die Mehrzahl ist hier eher mit 40 bis 60 Km/h unterwegs. Und jeder Zehnte geht weit über das Limit - teils sogar jenseits der 70 Km/h. Hinzu kommt, dass auch eine Buslinie durch die 30er-Zone gondelt. All das hat Folgen.

Auch der Bus soll an der Borbecker Straße regelmäßig zu schnell unterwegs sein, beobachten Anwohner.
Auch der Bus soll an der Borbecker Straße regelmäßig zu schnell unterwegs sein, beobachten Anwohner. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

Zum Beispiel das Gehwegparken: Ausgewiesen ist es hier nicht und somit illegal. Offenkundig aber haben manche das Gefühl, dem Verkehr mit ihren parkenden Boliden im Weg zu stehen. Also setzen sie Bürgersteige mit zwei Rädern zu. Nicht überall, aber oft dort, wo sie ohnehin schon schmal sind, um der Straße mehr Platz einräumen zu können. Etwa an der Ecke zur Gerhardstraße und dahinter. Und wo ein Auto eben noch Platz findet, steht mancher sogar ganz auf dem Bürgersteig.

Warum es im Mülheimer Viertel an Platz fehlt

Wie viel Bebauung und wie viel Auto hält ein Stadtteil aber aus? Denn es gibt inzwischen augenscheinlich viel zu viele Fahrzeuge, Transporter, Wohnwagen und Anhänger im beliebten Wohnviertel, das sich sichtbar von seinen Ursprüngen als bäuerliche Streusiedlung entfernt. In dem immer weiter gebaut - im städtebaulichen Jargon „nachverdichtet“ - wird. Doch nicht nur viele Mietshäuser sorgen dafür, dass sich in den engen Straßen davor mehr und mehr Autos knubbeln, es gibt einfach zu viele Fahrzeuge im Viertel.

Weil die Straße eng ist und Parkraum fehlt, stellen manche ihr Fahrzeug illegal auf dem Gehweg ab. Die Stadt hat das lange Zeit auch geduldet.
Weil die Straße eng ist und Parkraum fehlt, stellen manche ihr Fahrzeug illegal auf dem Gehweg ab. Die Stadt hat das lange Zeit auch geduldet. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

Anwohner Joachim Wach hat die Bau- und Verkehrsentwicklungen in seinem Stadtteil seit vielen Jahren im Blick. Mit einiger Sorge auch im Sinne guter Nachbarschaft: „Ich habe den Eindruck, einige fahren schnell rein zu ihren Eigenheimen und schnell wieder raus.“

Den Eindruck bestätigen auch andere: „Ich wohne erst seit 2014 hier, aber der Verkehr ist stark gestiegen. Es wird viel gerast, auch die Busse brettern hier durch“, schildert ein Anwohner der Borbecker Straße. Der Parkdruck sei enorm, schon seit gut fünf Jahren, schätzt er, „weil viele inzwischen mehr als ein oder zwei Autos haben. Ab 19 Uhr muss man nach Parkplätzen lange suchen“.

Stadt Mülheim räumt ein: „Das Geschwindigkeitsniveau ist zu hoch“

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Über die Raserei ist Wach mit der Stadt schon ins Gespräch gekommen. Dort stieß er auf Verständnis. So hat die Stadt Verkehrszeichen inzwischen angepasst. Neuerlich hat sie auch Piktogramme auf die Straße zeichnen lassen, um bei den Autofahrern das Tempolimit bewusst zu machen.

„Das Geschwindigkeitsniveau ist dennoch zu hoch“, räumt die Stadt durchaus ein. Sogenannte scharfe Messungen würden daher auch in Zukunft dort durchgeführt. Doch: Was nützt eine Tempo-30-Zone, die von den meisten offenkundig ignoriert wird? Wach ist mit den bisherigen Lösungen nicht zufrieden: Ohne Kontrolle könne man sich Tempo-Limits auch gleich sparen, sagt er.

Einbuchtungen und Querparken sollen Autofahrer zur Entschleunigung zwingen. Das gelingt überwiegend nicht, wie Messungen belegen.
Einbuchtungen und Querparken sollen Autofahrer zur Entschleunigung zwingen. Das gelingt überwiegend nicht, wie Messungen belegen. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

Das betrifft auch das illegale Gehwegparken. In Bremen hatte das Bundesverwaltungsgericht kürzlich einer Klage von Bürgern stattgegeben und entschieden, dass Betroffene Anspruch darauf haben, dass die Kommune diese Verstöße auch ahndet. Die Deutsche Umwelthilfe sieht darin eine Stärkung der Rechte von Fußgängern. Doch in der Praxis sieht die Sache anders aus.

Illegal auf dem Gehweg parken - warum die Stadt es oft duldet

Denn als Joachim Wach erst die Polizei und dann das Ordnungsamt auf solche Verstöße aufmerksam macht, erklären sich die einen als nicht zuständig, die anderen wiegeln ab, geben an, „im Nachhinein nicht viel tun“ zu können. Ihm bliebe aber die Möglichkeit, eine Privatanzeige bei der Bußgeldstelle zu stellen.

Gehwegparken ist nur dort erlaubt, wo Schilder darauf hinweisen. Auf der Borbecker Straße in Mülheim hält sich nicht jeder daran.
Gehwegparken ist nur dort erlaubt, wo Schilder darauf hinweisen. Auf der Borbecker Straße in Mülheim hält sich nicht jeder daran. © Dennis Vollmer | Dennis Vollmer

Doch weiterhin wird wie selbstverständlich falsch geparkt. Hat die Stadt zu lange weggesehen? Im Mülheimer Ausschuss für Bürgerangelegenheiten, Sicherheit und Ordnung räumte die Stadt in einem Bericht von 2023 ein, dass die Verkehrsüberwachung in der Vergangenheit nur darin bestand, dem Auto den Vorrang zu geben und eine möglichst unbeschwerte Nutzung der Straße zu ermöglichen. „Zu einem großen Teil wurde aus der Sicht des Fahrzeugführers gedacht“, heißt es dort. Deshalb seien Verstöße wie Geh- und Radwegparken zu Gunsten des Autos geduldet worden, wenn der Parkdruck im Viertel groß war.

So hoch ist die allein Zahl der aufgeklärten Verstöße in Mülheim

Wie stark jedoch inzwischen die Verstöße in Mülheim gewachsen sind, lassen aktuelle Zahlen erahnen: Bis Ende Mai hat die Stadt 1390 Anzeigen zu Parkverstößen festgehalten, im Vorjahr waren es insgesamt 3674. Hinzu kommen 9224 Kontrollen des ruhenden Verkehrs allein im Jahr 2023. Ordnungsamtsleiterin Kerstin Kunadt hatte daraufhin erklärt, man wolle mittelfristig ein neues Konzept für die Verkehrsüberwachung entwickeln.

Doch auch wenn sich die Sicht auf das Autofahren sich allmählich zu wanden und die Vorrangstellung des Autos langsam an Akzeptanz zu verlieren scheint: Kommunen sind zwar verpflichtet, den ruhenden Verkehr zu überwachen - aber niemand schreibt ihnen vor, in welchem Maß. Einen Anspruch, alle straßenverkehrsrechtlichen Verstöße zu ahnden, gibt es nicht. Und so entscheidet jede Stadt selbst, welchen Verstößen sie nachgeht - und ob überhaupt. Denn Personalmangel herrscht nicht nur in Mülheim, sondern vielerorts.

Sind Fußgänger in Mülheim gezwungen, ihre Rechte per Anzeige durchzusetzen?

Müssen Fußgänger in Mülheim also zu „Anzeigenhauptmeister“ werden, um gleichberechtigt im Straßenverkehr unterwegs sein zu können? Auch diese vermeintliche Lösung hat Hürden. So ist die Privatanzeige formal keine einfache Angelegenheit: Ein beweiskräftiges Foto reicht keinesfalls. Man muss Datum und Uhrzeit festhalten, den genauen Ort, Fahrzeugtyp, Kennzeichen, genauer Tatvorwurf und seine ladungsfähige Anschrift. Sonst werden die Anzeigen erst gar nicht bearbeitet.

Denn bei einem Einspruch muss man als Anzeigenerstatter vor Gericht aussagen. Spätestens da überlegen sich das viele zweimal und gehen lieber verärgert einen Umweg.

Und in Dümpten? Auch hier scheint die Verantwortung bei den Betroffenen hängenzubleiben: „Aktuell ist Gehwegparken mit Blick auf den ansonsten ungedeckten Flächenbedarf für die Fahrzeuge so weit geduldet, solange sich keine Gefahren dadurch ergeben“, sagt die Stadt auf Anfrage der Redaktion. Es müsse etwa eine Mindestdurchfahrtsbreite, etwa für Feuerwehrfahrzeuge und Müllfahrzeuge, geben. Geprüft werde das aber nicht. Gefährdungssituationen, heißt es, können die Anwohner auch selber melden. 

Mülheim und sein Verkehr: die Debatten

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