Moers. Am 27. Januar jährt sich die Befreiung des KZ Auschwitz zum 80. Mal. Konrad Göke erklärt, was Musiker wie Richard Strauss damit zu tun haben.
„Die Versuchung“, so lautet der Titel eines Konzerts zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, dem 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee. Das Konzert findet in Moers in der Stadtkirche statt am Sonntag, 26. Januar, um 17 Uhr. Einen Tag später sind Stella Louise Göke (Sopran), Giulio Alvise Caselli (Bariton), Shuri Tomita (am Flügel, Dozentin, Hochschule für Musik und Tanz in Köln) dann auch in der Friedenskirche Krefeld um 18 Uhr zu hören. Moderation: Konrad Göke. Wir haben ihn im Vorfeld der Konzerte befragt.
Warum der Titel „Die Versuchung“?
Wir wollen mit diesem Konzert thematisieren, wie sehr sich renommierte und auch international berühmte Größen aus der Kultur zu „Steigbügelhaltern“ der Nationalsozialisten hergaben, diesem Regime auch außenpolitische Reputation verschafften, sich ihm andienten. Ein riesiger Propagandaerfolg der Nationalsozialisten waren die Olympischen Spiele 1936, für die Richard Strauss die Hymne zur Eröffnung durch Adolf Hitler komponierte und im Olympiastadion persönlich dirigierte.
Welche Musik wird gespielt?
Einerseits Lieder von Richard Strauss, der keine Skrupel hatte, für den Generalgouverneur Hans Frank eine Hymne zu komponieren, die den „Schlächter von Polen“ mit Lohengrin gleichsetzte, auf der anderen Seite fast vergessene Lieder der Komponistin Maria Herz aus Köln, die vor den Nazis ins Ausland floh, und in ihrem Lied „Schatten-Marsch“ so eindringlich die Angst vor den schweren Stiefeln beschreibt, die im Treppenhaus emporstürmen, in die Wohnungen einbrechen, die Familien aus dem Schlaf reißen und auf eine Reise in den Tod schicken.
Nach welchen Kriterien wurden die Stücke und Komponisten ausgewählt?
Die Lieder von Richard Strauss gehören bis heute zum Konzertalltag, Lieder von großer Schönheit und Intimität, wie beispielsweise das Lied „Breit über ein Haupt dein schönes Haar“; ausgeblendet wird sein Leben und Wirken in den zwölf Jahren von 1933 bis 1945, zeitweilig als Präsident der Reichsmusikkammer. So wie Richard Strauss immer „im Licht stand“, wurde Maria Herz in den Schatten gestoßen, ihre wiederentdeckten Lieder beschreiben so eindringlich die Sehnsucht, die gute Zeit vor 1933 festzuhalten und auch das Grauen, die Angst nach 1933.
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Warum wird Musik von Richard Strauss gespielt?
Weil es großartige, einzigartige Kompositionen sind. Dennoch war Richard Strauss auch ein fanatischer Nationalsozialist mit direktem Zugang zu Adolf Hitler und Joseph Goebbels, dem er das Lied „Das Bächlein“ widmete. Richard Strauss stand, wie Gustaf Gründgens, wie die Dirigenten Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Herbert von Karajan und viele andere auch, auf der sogenannten „Gottbegnadeten Liste des Führers“, die sie vom Kriegsdienst als „unersetzbare Künstler“ bis kurz vor dem Untergang freistellte. Wie viele andere konnten auch die hier genannten ihre Karriere nach 1945 ungeschmälert fortsetzen.
Sie nennen auch Gustaf Gründgens. Warum?
Gründgens wurde von Hermann Göring zum preußischen Staatsrat ernannt; er war bis 1945 General-Intendant der Preußischen Staatstheater und nach dem Krieg wiederum gefeierter Leiter und Schauspieler des Düsseldorfer Schauspiels. Gustaf Gründgens, der gefeierte „Hamlet“ der Weimarer Republik, war zunächst im linken Künstlermilieu zuhause, er war mit Klaus und Erika Mann eng befreundet, stand mit ihnen auf der Bühne und heiratete Erika Mann 1926, die Ehe wurde 1929 geschieden. Klaus Mann schrieb in seiner Autobiographie „Wendepunkt“ über Gustaf Gründgens: „Wie hatte man mit ihm gelebt, gearbeitet, diskutiert, gezecht, und nun zechte, spielte, diskutierte er mit den Mördern?“
Wie lassen sich Stücke wie beispielsweise „Und Morgen wird die Sonne wieder scheinen“ von Strauss einordnen? Darf man bei Konzerten zu solchen Anlässen fröhliche Lieder spielen?
Man darf, wenn man auf die Hoffnung der polnischen Nachkriegsliteratur verweist, den Zeitzeugen Tadeusz Borowski, ihn zitiert: „Glaubst Du, wir würden im Lager auch nur einen Tag überleben, wenn nicht die Hoffnung wäre, dass diese andere Welt kommen wird, dass die Menschenrechte wiederhergestellt werden?“ und auch an die letzten Worte der Widerstandskämpferin Sophie Scholl vor ihrer Hinrichtung erinnert: „Die Sonne scheint immer noch.“
Mit welchen Erwartungen blickt der Moderator auf das Konzert?
Es wird ein „Spagat“ sein, durch ein Programm zu führen, bei dem man sich nicht mit bewährten musikalischen Beiträgen auf die sichere Seite begibt, sondern den Schritt wagt, an den Beginn zurückzukehren und sich fragt, wie es sein konnte, dass sich namhafte Vertreter aus der Welt der Kunst und Kultur bereitwillig zum Türöffner für die Nationalsozialisten, auch als „Werbeträger“ für diese Schreckensherrschaft hergaben. Künstlerische Werke, künstlerisches Schaffen entsprechen in ihrer Aussage, den vermittelten Werten nicht zwangsläufig dem Leben und Handeln ihrer Schöpfer. Es ist eben, wie bei Richard Strauss, durchaus möglich und kein Einzelfall, ein genialer Künstler mit einem zweifelhaften Charakter zu sein.
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Kann man mit diesem so konzipierten Konzert anlässlich dieses wichtigen Datums auch neue Zielgruppen erreichen?
Nicht unbedingt neue Zielgruppen, aber bewusst machen, dass Künstler sich nicht in einem „Elfenbeinturm“ verbarrikadieren dürfen, sondern dass sie aufgerufen sind, Haltung zu zeigen, so wie Heinrich Mann bereits 1911 in seinem provokanten Essay „Geist und Tat“ die politische Gleichgültigkeit, Innerlichkeit und Obrigkeitshörigkeit seiner deutschen Kollegen scharf kritisierte. Es gab aber auch die anderen, im Leben und Werk Anständigen, die sich nicht haben „kaufen“ lassen, die nicht darüber hinwegsahen, was um sie herum geschah.
Warum sind Konzerte anlässlich solcher Daten so wichtig?
Weil wir gerade heute wieder erleben müssen, wie eine Sprache, wie Worte, Raum greifen, im öffentlichen Raum zu hören sind, die uns daran erinnern, dass Worte auch zu Steinen werden, eine Waffe sind. Wie oft erleben wir heute Diskussionen, Konfrontationen, die jeden Anstand, jeden Respekt voreinander, vor anderen Meinungen und Ansichten vermissen lassen und nur ein Ziel haben, diese Demokratie zu beschädigen, in Frage zu stellen.