Moers/Essen. In Moers stirbt ein offenbar psychisch kranker Mann durch Polizeikugeln. Psychologe Bay mahnt bessere Schulung der Beamten an.

Am frühen Dienstagnachmittag feuern Polizisten im Moerser Stadtteil Eick sieben Schüsse ab. Zwei Kugeln treffen auf dem Grillparzerweg einen 26-jährigen Mann. Er soll sich den Beamten mit zwei Messern in der Hand bedrohlich genähert haben und nicht auf Aufforderungen reagiert haben, die Waffen fallen zu lassen. Der Deutsche stirbt kurze Zeit später an seinen Verletzungen. Es stellt sich heraus: Der Tote war polizeilich bekannt und soll an einer psychischen Erkrankung gelitten haben. Hätte sein Tod durch bessere polizeiliche Schulung verhindert werden können?

Immer wieder sterben bei Polizeieinsätzen Menschen, die sich in psychischen Ausnahmesituationen befinden. In diesem Jahr wurden in Deutschland bislang elf Menschen durch Polizeikugeln getötet. Sieben von ihnen sollen laut dem Datenportal „Statista“ psychisch krank gewesen sein. Der Klever Psychologe Michael Bay glaubt nicht, dass Polizisten ausreichend auf Situationen wie die in Moers vorbereitet sind. „Wir lassen Polizisten und Patienten allein“, ist er überzeugt.  

Bay nach Schüssen in Moers: „Wir müssen der Polizei beibringen, wie Psychotiker ticken“

Bay hat viele Jahre in der Forensik in der LVR-Klinik in Bedburg-Hau gearbeitet, in der psychisch kranke Straftäter betreut werden. Er sagt: Solche Einsätze gingen immer mit einem enormen Stress für die eingesetzten Beamten einher. Stress könne immer dazu führen, dass Situationen nicht richtig eingeschätzt würden. Aber: „Wir müssen der Polizei beibringen, wie Psychotiker ticken und den Beamten Verhaltenssicherheit geben., damit sie ihre Affekte richtig regulieren können.“

Michael Bay, Psychologe aus Kleve.
Michael Bay, Psychologe aus Kleve. © WAZ FotoPool | Thorsten Lindekamp

Psychische Ausnahmesituationen liefen immer nach ähnlichen Mustern ab. Psychotiker seien nicht in der Lage adäquat auf laute Ansprache zu reagieren. Würden sie gleich von mehreren Beamten angeschrien und aufgefordert, ihre Waffen fallenzulassen, könnten sie das nicht verarbeiten. „Dann fühlt sich dieser Mensch bedroht und reagiert aggressiv.“ Die eingesetzten Polizisten erreichen also das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen. „Das sollte Basiswissen für jeden Polizisten sein.“

Im August 2022 wurde in Dortmund der junge Senegalese Mouhamed Dramé bei einem Polizeieinsatz erschossen. Fünf der beteiligten Polizisten müssen sich derzeit vor Gericht verantworten. Auch der 16-Jährige befand sich am Tag seines Todes in einer psychischen Ausnahmesituation, auch er hantierte mit einem Messer. „Nach dem Einsatz ist eine eintägige Lehrveranstaltung eingeführt worden“, sagt Michael Mertens, Vorsitzender des Landesverbandes der Polizeigewerkschaft GdP.

Mertens: Keine Chance bei schlagartigen Angriffen

Auf dieser Fortbildung erhielten Polizisten dort eine Anleitung, wie sie mit Situationen umgehen können, in die psychisch kranke Menschen involviert sind. „Ein zusätzliches Psychologiestudium werden wir nicht ablegen können“, sagt Mertens. Was auf der Fortbildung gelehrt würde, sei eine Handlungsempfehlung. „In Situationen wie der in Moers ist das aber schwer umsetzbar. Wenn Menschen schlagartig in den Angriff übergehen, bestehen keine Kommunikationsmöglichkeiten.“

Mertens betont: „Ein Gebrauch der Schusswaffe ist alternativlos, wenn es darum geht, das eigene Leben oder das von Kollegen zu schützen.“ Aber jeder Schusswaffengebrauch, der verhindert werden könne, sei ein Gewinn für die Gesellschaft. „Jeder, der geschossen hat, trägt das ein Leben mit sich rum.“ Grundsätzlich, gibt Mertens zu bedenken, führe jedes Einsatztraining immer „zum Personalentzug im Einsatzleben“. Heißt: Wer an einer Fortbildung teilnimmt, fehlt auf der Straße. „Für die Politik und das Innenministerium ist das schwierig.“

Der Tod des 26-Jährigen in Moers wirft laut dem Psychologen Bay auch ein Licht auf die generell schlechte Versorgung psychisch kranker Menschen. „Es gibt viel zu wenige psychotherapeutische Arbeits- und Auffangmöglichkeiten.“ Der getötete Mann soll mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich gehabt haben. „Die gehen in die Klinik, werden medikamentös eingestellt und landen danach bestenfalls im betreuten Wohnen.“ Psychische Erkrankungen bedürften aber einer langwierigen Aufarbeitung, betont Bay. „Dafür ist das Versorgungssystem zu mangelhaft.“

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