Kamp-Lintfort. Wegen sexueller Nötigung steht ein 54-jähriger Kamp-Lintforter vor Gericht. Er hat eine kriminelle Vergangenheit - über die er viel erzählt.

Es waren sehr emotionale Momente im Saal 106 des Moerser Amtsgerichts. Yvonne S. sollte als Geschädigte aussagen. Sie kam begleitet von einer psychosozialen Betreuerin in den Raum, verheult, zitternd, schluchzend, die Hände in ein kleines Stofftierchen gekrallt. „Wir hatten eine tolle Zeit. Ich dachte, ich hätte den Mann fürs Leben gefunden“, sagt sie. Und: „Thomas war immer lieb zu mir.“ Bis zum 12. September des vergangenen Jahres anscheinend. Denn da soll er, so der Vorwurf, versucht haben, seine Ex-Partnerin mit Gewalt zum Oralverkehr zu zwingen.

Der Angeklagte sitzt zusammengesunken im Stuhl, Blickkontakt mit der Ex vermeidet er. Aber auch bei ihm fließen die Tränen, als Yvonne S. sagt: „Ich habe immer gerne mit ihm geschlafen.“ Fatal: Die 53-Jährige sucht bei sich die Schuld, warum Thomas H. sich immerhin vor der auswärtigen großen Strafkammer verantworten muss. Und es steht nicht weniger als die Sicherungsverwahrung für ihn im Raum. „Vielleicht hat er es ja gar nicht böse gemeint.“ Oder: „Ich weiß auch nicht, was ich falsch gemacht habe.“

„Ich sagte, hör‘ auf. Das war nicht mehr mein Thomas. So brutal war er noch nie. “

Die Geschädigte Yvonne S.

Laut Staatsanwaltschaft soll Thomas H. eine Woche nach der Trennung von Yvonne S. nachts in ihre Wohnung gekommen sein. Womöglich hat er dort Wodka getrunken und sich dann nackt zu der ebenfalls nackt im Bett liegenden, schlafenden Frau gelegt haben. Dort soll er sie zunächst mit der flachen Hand geschlagen haben. „Ich sagte, hör‘ auf. Das war nicht mehr mein Thomas. So brutal war er noch nie. Der war gar nicht mehr ansprechbar“, erklärt die gelernte Erzieherin am Montag dem Gericht. Letzteres mag auch mit den 2,65 Promille zusammenhängen, die die Ärzte später feststellen sollten. Der Mann war sturzbetrunken. Irgendwie konnte sich Yvonne S. befreien, im Treppenhaus laut um Hilfe rufen, in die Küche rennen und sich mit einem Messer bewaffnen. Eine Nachbarin kam zu Hilfe, die beiden flüchteten ins Schlafzimmer und wählten den Notruf.

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Die Polizisten fackelten nicht lange und nahmen Thomas H. fest. Am Montag wurde er in Handschellen vorgeführt. Ein Gefühl, das ihm nicht unbekannt sein dürfte. Satte 23 Einträge umfasst sein Strafregister, angefangen hat sein problematisches Verhältnis zum Gesetz, da war er gerade 15 Jahre alt. Es geht einmal quer durchs Strafgesetzbuch: Diebstahl, Fahren ohne Führerschein, Hehlerei, Körperverletzung, Sachbeschädigung, schwere Körperverletzung - da hat er mit einem Baseballschläger zugeschlagen. Und zweimal ist er einschlägig vorbestraft wegen sexualisierter Gewalt.

Während sich Thomas H. zu den Vorwürfen nicht äußert, sondern seinen Verteidiger eine Erklärung vortragen lässt, ist der Mann mit dem rheinischen Zungenschlag sehr freigiebig mit Informationen über sein bisheriges Leben. Das lässt sich kurz zusammenfassen: Da ist vieles schiefgelaufen in den letzten 54 Jahren. Sucht ist ein großes Thema. „In der Techno-Zeit habe ich gefeiert ohne Ende.“ LSD, Ecstasy, Amphetamine, Cannabis, Alkohol reichlich - das ganze Programm. Er war Ende 20, da kam er auf Heroin. Er ist aktuell im Methadonprogramm.

Viele Gründe für ein verkorkstes Leben

Gründe gab es aus seiner Sicht viele für sein Verhalten: toxische Beziehungen, das falsche soziale Umfeld, der Drogentod seines jüngeren Bruders, eine Mutter, die ihn nie habe Konsequenzen spüren lassen. Gut zwei Stunden erzählt er aus einem verkorksten Leben, das aber auch immer wieder Phasen bot, in denen er hart arbeitete und seinen Drogenkonsum einigermaßen im Griff hatte. Zuletzt beschränkte sich sein Konsum ausschließlich auf Alkohol, die Szene hatte er augenscheinlich dank eines Maßregelvollzugs verlassen.

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Die ihm zur Last gelegten Taten gegenüber der Yvonne S. lässt er über seinen Verteidiger weitestgehend einräumen. Wenngleich er sich an kaum etwas erinnern könne. Allerdings gibt es für die Verteidigung eine Steilvorlage: Das Paar habe durchaus zur Belebung ihres Sexuallebens über Rollenspiele, ja auch über Vergewaltigungsfantasien gesprochen. „S. mag die härtere Gangart“, erklärt der Rechtsanwalt. Das alles bestätigte die Geschädigte in ihrer Zeugenaussage. Auch, dass Sex in ihrer Beziehung eine große Rolle gespielt habe.

Als sie herausbekommt, dass Thomas H. während der Beziehung zu ihr auch großes Interesse an anderen Frauen hatte, konnte es ihre Liebe nicht erschüttern. „Da habe ich mehrmals beide Augen zugedrückt.“ Aber aus ihrer Wohnung sollte er ausziehen, in die er direkt nach der letzten Haftentlassung gezogen war. Was er auch tat.

Das Opfer war auch vor der Tat psychisch angeschlagen

Die schon vor der in Rede stehenden Tat psychisch angeschlagene Kamp-Lintforterin leidet nun an einer posttraumatischen Belastungsstörung, schlafen kann sie auch nicht: „Ich habe einfach immer Angst“, schildert sie dem Gericht. Albträume quälen sie. Mit Antidepressiva geht sie schon länger durch den Tag. „Das ist nicht alles seine Schuld, wenn es mir schlecht geht“, will sie dem Gericht zu wissen geben.

Der psychiatrische Gutachter hatte es schwer, darüber zu befinden, ob ein neuerlicher Maßregelvollzug für den 54-Jährigen in Frage kommt. Der Maßregelvollzug ist bei Suchtproblematiken durchaus angezeigt. Aber Maßregel direkt nach Maßregel sei schwer begründbar, zumal Thomas H. eine „interpersonelle Unaufrichtigkeit“ habe, mit anderen Worten: Er mache sich was vor. Auch der Staatsanwältin gefällt die Vorstellung nicht, dass Thomas H. irgendwann wieder auf freiem Fuß sein könnte: „Was hat die nächste Frau zu erwarten?“, fragt sie.

Der Prozess wird am Mittwoch, 19. Juni, 9.30 Uhr, im Saal 106 im Amtsgericht Moers voraussichtlich mit einem Urteil zu Ende gehen.