Moers/Neukirchen-Vluyn/Kamp-Lintfort. Franziska Liebhardt kämpfte schon mit Mitte 20 gegen den Tod. Eine dramatische Zeit. Warum sie heute dankbar ist - und anderen Mut machen will.
Sie hat überragende sportliche Erfolge erzielt. Bei den Paralympics in Rio im Jahr 2016 hat Franziska Liebhardt das Kugelstoßen in der Klasse F37 mit einer Weite von 13,96 Metern gewonnen: Weltrekord. Im Weitsprung bekam sie eine Silbermedaille. Auf dem Höhepunkt ihres sportlichen Erfolges hat Franziska Liebhardt dann ihre aktive Laufbahn beendet – und widmet sich seitdem einer anderen Aufgabe: Sie engagiert sich im Bereich Organspende; informiert, wirbt, sammelt Spenden, hilft.
„Das ist eine Herzenssache von mir“, sagt sie im Gespräch mit der Redaktion. Die 42-Jährige weiß sehr genau, wovon sie spricht, und warum es so enorm wichtig ist, hier Aufklärungsarbeit zu leisten. Denn: Sie ist mehrfach auf Spenderorgane angewiesen gewesen. 2009 musste sie sich erstmals einer Lungentransplantation unterziehen. 2012 bekam sie eine neue Niere. Und 2020 wurde eine weitere, die zweite Lungentransplantation notwendig. Klingt nach einem echten Alptraum.
Aber wenn Franziska Liebhardt erzählt, schwingt kein bisschen Bitterkeit mit. Die sympathische Frau sagt sogar: „Mir ist so viel Gutes passiert, ich bin ein Glückskind.“ Das ist bemerkenswert, es macht jedoch gleichermaßen deutlich, welchen Stellenwert eine Organspende für die Empfänger hat.
Die Sportlerin benötigt eine neue Lunge
Franziska ist Anfang 20, als sie beim Volleyballspielen merkt, dass ihr schneller als bisher die Puste ausgeht. „Man schiebt es auf alles mögliche“, sagt sie heute. 2005 kommt die niederschmetternde Diagnose, dass das Immunsystem nicht funktioniert und insbesondere die Lunge davon betroffen ist: eine schwere systemische Autoimmunerkrankung mit multiplem Organbefall. Wie Rheuma in den Organen, sagt Liebhardt. Eine Beteiligung des Gehirns an der Erkrankung führt außerdem zu einer spastischen Lähmung.
Es geht noch eine Weile gut. 2007 ist kein Sport mehr möglich; die Lunge versagt in weiten Teilen ihren Dienst. Die Ärzte versuchen es mit verschiedenen Therapien. Nichts funktioniert. Die Nebenwirkungen sind unangenehm. Die letzte Option: eine Organtransplantation. Franziska ist zu dem Zeitpunkt 25 Jahre alt. Treppensteigen fällt ihr schwer. „Ein Riesenschock“, sagt sie heute.
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Die junge Frau überlegt, ob das der richtige Weg für sie ist, ob sie sich nicht auch „bewusst für das Sterben entscheiden“ sollte, statt für fünf bis sieben Jahre die Strapazen der OP samt Folgeschäden auf sich zu nehmen. Sie liest viel, spricht mit ihrer Familie und Freunden – und entscheidet sich für die Transplantation.
Innerhalb eines halben Jahres verschlechtert sich ihr Zustand rapide. Es ist eine Zeit, in der sie nicht weiß, ob sie überhaupt den nächsten Tag überlebt. Schnell wird sie auf die dringlichste Stufe für die Transplantation gehoben. Die 27-Jährige hängt über Wochen an einem Beatmungsgerät. Die Zeit drängt. Dann geht alles ganz schnell. Nach der Transplantation raten ihr die Ärzte vom Volleyball ab. Zu gefährlich, weil verletzungsanfällig. Also orientiert sich Franziska Liebhardt um und trainiert in der Leichtathletik. Die Erfolge geben ihr Recht. Und ganz viel Kraft.
„Man trägt diesen Menschen ja in seinem Herzen.“
Dann der nächste Tiefpunkt: 2010 erleidet sie einen Schlaganfall. 2012 benötigt sie eine neue Niere. Die bekommt sie von ihrem Vater als Lebendspende. Und schließlich muss die transplantierte Lunge im Jahr 2020 ersetzt werden. Jeder Schritt in der Wohnung fällt schwer. Zu der Zeit tobt auch noch Corona durch die Welt und Franziska Liebhardt ist mit sich und den Ärzten in der Klinik allein mit diesem Schicksal. „Völlig surreal“, sagt sie heute. Immerhin: Die erste Lunge hat deutlich länger funktioniert als erwartet. Und auf das neue Organ muss sie nur sieben Monate warten.
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„Heute bin ich total froh“, sagt die 42-Jährige rückblickend über ihre damalige Entscheidung. „Mit Mitte zwanzig stirbt man nicht in Frieden.“ Als der Entschluss seinerzeit gefallen war, sei es leichter gewesen. Ob sie die Familie ihrer Organspenderin oder des -spenders nicht gerne kennengelernt hätte? Sicher. „Man trägt diesen Menschen ja in seinem Herzen“, sagt Franziska Liebhardt. Aber dann ist es doch wieder gut, dass es keine Bekanntschaft gibt. Einmal jährlich schreibt sie zum Jahrestag einen Brief an die unbekannte Familie. Über die Stiftung Organtransplantation wird der weitergegeben. „Als Signal, dass der Mensch nicht vergessen ist“, sagt die frühere Leistungssportlerin. Ein emotionaler Spagat. Schließlich ist der Tag, der für sie mit Leben verbunden ist, für diese Familie ein Tag, der den Tod gebracht hat.
Die frühere Leistungssportlerin kommt nach Neukirchen-Vluyn
Franziska Liebhardt ist ein gutes Beispiel für einen Menschen, der das Schicksal meistert. Der Sport hat ihr dabei immer Kraft gegeben. Durchhaltevermögen. Ganz wichtig. Davon berichtet sie. Hier im Kreis Wesel am nächsten Dienstag, 18. Juni, auf der Vertreterversammlung der Volksbank Niederrhein in Neukirchen-Vluyn.
Dort wird sie sich auch zur aktuellen Diskussion um die Widerspruchslösung äußern. Als die im ersten Aufschlag bundespolitisch abgelehnt wurde, sei sie enttäuscht gewesen. Sie weiß: Für viele Menschen ist das Thema weit weg. Sie weiß aber auch: Das Thema kann sehr schnell sehr nahe kommen. Für Franziska Liebhardt ist klar: „Es ist jedem zuzumuten, eine Entscheidung zu treffen, die über Leben und Tod von anderen Menschen bestimmt.“
Neben all dem Engagement für die Großen ist ihr eines für die Kleinen wichtig: Franziska Liebhardt ist aktiv im Verein Kinderhilfe Organtransplantation - Sportler für Organspende, wo sie sich als Vorstandsvorsitzende für lebensrettende Organspenden für Kinder einsetzt.