Neukirchen-Vluyn/Moers. Ein Rentnerpaar aus Bad Münstereifel hat bei der Flut fast die ganze Habe verloren. In Neukirchen-Vluyn und Moers erlebt es viel Solidarität.

In den 25 Apartments des Hotels Dampfmühle in Neukirchen-Vluyn kommen üblicherweise Kurzurlauber unter, Monteure oder Berater auf Zeit, auch Menschen, die eine neue Arbeitsstelle antreten und sich erst nach der Probezeit am Niederrhein eine Wohnung suchen. All das trifft auf Elfriede und Edgar Kaiser nicht zu, und doch ist Apartment Nummer 429 in der vierten Etage an der Krefelder Straße seit drei Monaten ihr Zuhause. Das Rentnerehepaar kann nicht in seine Wohnung in Bad Münstereifel, es ist Opfer der Erft-Flut. In der Nacht des 14. Juli hat das Hochwasser ihnen fast ihre gesamte Habe genommen. Bei allem Verdruss spüren Elfriede und Edgar Kaiser vor allem eines: Dankbarkeit – insbesondere gegenüber der Dampfmühle. Der Reihe nach.

Die Heimat von Elfriede (68) und Edgar (74) Kaiser ist Iversheim, ein Ortsteil von Bad Münstereifel. Die Erft fließt direkt an ihrem Grundstück vorbei. In der Flutnacht überschwemmt sie den Garten, dann den Keller. Binnen weniger Minuten steht das Wasser 40 Zentimeter hoch in der Erdgeschosswohnung. Die beiden retten sich in die erste Etage, wo eine ihrer vier Töchter mit ihrer Familie lebt. Ihre Wohnungseinrichtung aber wird zerstört oder fortgeschwemmt, Teile des Hauses sind schwer beschädigt, im Garten reißt das Wasser das Gewächshaus, 17 Obstbäume und 16 Rhododendren mit sich. Zwei weiteren Töchtern in der Nachbarschaft ergeht es ähnlich, ebenso einem Neffen in derselben Straße, der sich und seine einjährige Tochter knapp vorm Ertrinken retten kann.

Der größte Teil der Habe von Elfriede und Edgar Kaiser aus Bad Münstereifel wurde zerstört oder fortgeschwemmt, als die Erft im Juli das Haus flutete.
Der größte Teil der Habe von Elfriede und Edgar Kaiser aus Bad Münstereifel wurde zerstört oder fortgeschwemmt, als die Erft im Juli das Haus flutete. © Unbekannt | Foto: Julia Kaiser

Was sich in die Erinnerung des Ehepaars eingebrannt hat, ist das furchterregende Rauschen des Wassers: „Das war so laut, das hörte nicht auf, das ging die ganze Nacht durch“, sagt Edgar Kaiser. „Dieses Geräusch werde ich mein’ Lebtag nicht vergessen.“ Und das Wasser kommt rasend schnell, so schnell, dass die Kaisers bei der Flucht aus ihrer Wohnung nichts mitnehmen können als die Kleidung, die sie am Leib haben und immer noch tragen, als ihre in Moers lebende Tochter Julia sie zwei Tage später an den Niederrhein holt.

„Wir fühlen uns hier so gut aufgehoben“

Den Schrecken haben da alle noch in den Knochen, aber nun erlebt die Familie auch rührende Solidarität. Da Edgar Kaiser an den Rollstuhl gebunden ist, kommt Julias Wohnung in der vierten Etage eines Hauses ohne Aufzug als Bleibe nicht in Frage. Die 25-Jährige sucht vergeblich nach schnell realisierbaren Alternativen und schildert ihre Not schließlich dem Chef der Dampfmühle, in der die Eltern bei früheren Besuchen gewohnt haben. Das Hotel hilft sofort, das Ehepaar kann ein Apartment beziehen – mietfrei seit dem ersten Tag. Ebenfalls kostenlos wird eine Tochter mit ihren Kindern für ein paar Tage in einem Apartment untergebracht. „Es ist unglaublich, was die alles für uns tun“, sagt Elfriede Kaiser und ergänzt: „Wir fühlen uns hier so gut aufgehoben.“

Das Haus der Kaisers wurde bei der Erft-Flut stark beschädigt.
Das Haus der Kaisers wurde bei der Erft-Flut stark beschädigt. © Unbekannt | Foto: Julia Kaiser

Dann liest Edgar Kaiser in der NRZ einen Bericht über den Moerser Badsanierer Charles Bad. Tochter Julia ruft an, fragt, ob man kurzfristig bei der Sanierung helfen könne. Die Firma kann – und macht sich flott ans Werk, gibt Rabatte der Lieferanten auf Material von bis zu 70 Prozent komplett weiter. „Die haben einfach ihre Leute losgeschickt. Die Rohbauten von Badezimmer und Gästetoilette sind schon fertig“, berichtet Julia überglücklich. Ihr Arbeitgeber, die Drogeriekette Rossmann, gibt ihr ruckzuck zwei Wochen Urlaub und vier Sonderurlaubstage dazu, damit sich die Moerserin um die verwüstete Wohnung kümmern kann.

Hilfe von Leuten, die sie nicht kennt

Dort wohnt sie in einem Wohnwagen, den ihr ein Bekannter aufs Grundstück zieht: „Es sind Freunde zum Helfen gekommen, die haben wiederum ihre Freunde mitgebracht, Leute, die ich gar nicht kenne und die trotzdem mitgemacht haben.“ Die Hilfsmittel, die sie dazu benötigen, hat zuvor der Obi-Markt in Kamp-Lintfort spendiert: „Schippen, Eimer, Wasserschieber und mehr – diese Sachen konntest Du in den Eifel-Baumärkten ja gar nicht mehr bekommen“, sagt die Einzelhandelskauffrau dankbar.

Die Straße, an der die Kaisers und weitere Familienmitglieder in Bad Münstereifel leben, wurde überschwemmt.
Die Straße, an der die Kaisers und weitere Familienmitglieder in Bad Münstereifel leben, wurde überschwemmt. © Unbekannt | Foto: Julia Kaiser

Trotz so viel Unterstützung ist das Leben für Julia Kaiser derzeit nicht leicht. Sie pendelt permanent zwischen Iversheim, ihren Eltern in Neukirchen-Vluyn, ihrer Wohnung in Moers und ihrem Arbeitsplatz in Kamp-Lintfort. Handwerker und Fachleute zur Schadensbegutachtung im Katastrophengebiet zu bekommen, kostet Nerven und Zeit. Und als Eigentümerin der Wohnung, in der ihre Eltern bis Mitte Juli gelebt haben, ist sie diejenige, die gerade einen Kredit über 70.000 Euro aufgenommen hat, um die Schäden zu beseitigen. „Das ist kein Pappenstiel für mich“, erklärt sie. Sicher, für einen Teil der Ausgaben kann sie auf die Hilfen von Land und Bund hoffen. Aber ihr schaudert beim Gedanken an die Anträge, sie fürchtet, dabei Fehler zu machen, die sie am Ende viel Geld kosten könnten. Doch auch jetzt gibt es Solidarität: Eine Mitarbeiterin der Stadt Moers, die mit zwei Kollegen der Sozialverwaltung genau zu diesem Zweck eine Woche im Katastrophengebiet des Rhein-Sieg-Kreises gewesen ist, wird Julia Kaiser beim Ausfüllen der Formulare unterstützen.

Auch der Garten wurde vom Hochwasser zerstört.
Auch der Garten wurde vom Hochwasser zerstört. © Unbekannt | Foto: Julia Kaiser

Elfriede und Edgar Kaiser werden noch Monate in ihrem Dampfmühl-Apartment verbringen, möglicherweise bis April. Soeben haben sie mit dem Hotel-Chef vereinbart, dass sie ab November eine Miete zahlen. Es ist ihr eigener Wunsch, dies zu tun: „Dass wir hier kostenlos wohnen können, ist großartig. Aber das Haus tut genug für uns, und wir bekommen ja auch beide Rente. Wir wollen das nicht länger in Anspruch nehmen.“

„Wir haben doch eigentlich alles“

Es ist wohl das Erleben von Mitgefühl, Hilfe und offenbar selbstverständlicher Solidarität in einem Ausmaß, mit dem das Ehepaar nicht gerechnet hat, das ihm und der ganzen großen Familie Kraft gibt und es zuversichtlich in die Zukunft schauen lässt. „Wir haben viel verloren, ja. Aber wir haben unser Leben“, sagt Elfriede Kaiser. Das Wichtigste: „Keines unserer Kinder, Enkel und Urenkel ist zu Schaden gekommen, und wir beide auch nicht. Wir haben doch eigentlich alles.“