Kreis Wesel. Der VdK Niederrhein kämpft mit KI und neuerdings auch mit Krankenkassen. Für den Kampf gegen Kinderarmut fordert er jetzt einen eigenen Gipfel.

Die Baustellen in der Sozial- und Gesundheitspolitik werden nicht kleiner – im Gegenteil. Kinderarmut sowie Kosten- und Versorgungsdruck in der Pflege und der Gesundheitsversorgung sind sozialpolitische Dauerbrenner. Hinzu kommen Herausforderungen wie Künstliche Intelligenz (KI) und ein steigendes Konfliktpotenzial mit den Krankenkassen.

Das machte der Vdk-Kreisverband Niederrhein jetzt in seiner Sommerpressekonferenz deutlich, in der Vorsitzender Horst Vöge, Geschäftsführerin Svenja Weuster und Vorstandsmitglied Dietmar Hohmt aktuelle Zahlen und Forderungen zu altbekannten Problemen sowie neue Entwicklungen präsentierten, auf die der Sozialverband in Zukunft reagieren muss.

Darum streitet der VdK Niederrhein immer öfter mit Krankenkassen

Die Mitgliederentwicklung sei weiterhin gut, sagt Svenja Weuster. Mehr als 900 Neumitglieder habe man seit Beginn des Jahres hinzugewonnen. Mittlerweile liegt der VdK Niederrhein mit den Kreisen Wesel und Kleve sowie der Stadt Duisburg bei 31.781 Mitgliedern. Den Anstieg merke man auch in den Rechtsberatungen, so Weuster weiter.

Mehr als 50 Prozent der Verfahren schließt der Sozialverband laut eigener Aussage erfolgreich für seine Mitglieder ab. Schwerbehinderung und Erwerbsminderungsrente sind noch immer die Hauptstreitfälle, stark zugenommen hat aber mittlerweile die Zahl der Widerspruchsverfahren im Zusammenhang mit den Pflegesätzen. Rund 650.000 Euro an nachträglichen Zuzahlungen in diesem Bereich habe man im vergangenen Jahr erstritten, sagte die VdK-Geschäftsführerin.

Kündigt eine eigene KI-Strategie an, um weiterhin ebenbürtig zu sein: VdK-Kreisverbandsvorsitzender Horst Vöge.
Kündigt eine eigene KI-Strategie an, um weiterhin ebenbürtig zu sein: VdK-Kreisverbandsvorsitzender Horst Vöge. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Insgesamt kam der VdK 2023 auf erstrittene Nachzahlungsbeträge in Höhe von 4,6 Millionen Euro. Ein Trend, der sich auch in diesem Jahr fortsetzen dürfte. Konkrete Zahlen könne man noch nicht liefern, aber bereits jetzt liege man mit den erstrittenen Nachzahlungen etwa auf der Hälfte des Vorjahresniveaus, so Svenja Weuster, die auch einen weiteren bedenklichen Trend bemerkt. Demnach sei die Zahl der Probleme von Mitgliedern mit ihren Krankenkassen angestiegen.

Medikamente und Behandlungsmethoden würden mittlerweile verstärkt abgelehnt, genauso wie Folgeoperationen nach schweren Erkrankungen, sagt Geschäftsführerin Weuster. Ein Muster sei nicht erkennbar, manchmal habe sie das Gefühl, dass Krankenkassen Leistungen nach dem Gießkannenprinzip ablehnten, um irgendwie Geld zu sparen, denn „nicht jeder strengt ein Widerspruchsverfahren an“.

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Generell beobachtet der VdK eine veränderte Strategie, bei Krankenkassen, aber auch bei Behörden. Diese setzten mittlerweile verstärkt auf Künstliche Intelligenz, um ihre Ablehnungsbescheide möglichst juristisch wasserdicht zu machen. „Die haben dann schon alle aktuellen Urteile und Beschlüsse vorliegen, während wir noch im Internet nach der neuesten Rechtsprechung suchen“, erklärt Horst Vöge das Dilemma, das allerdings bald Vergangenheit sein soll. So arbeite man derzeit selbst an entsprechenden KI-Formaten, um den Behörden etwas entgegenzusetzen. „Wir müssen ein ebenbürtiger Gegner bleiben“, so Vöge weiter.

Zu den altbekannten Problemfeldern zählt unterdessen der Pflegesektor. 100.000 Menschen haben im Verbreitungsgebiet des VdK Niederrhein einen Pflegegrad. „86 Prozent davon werden zu Hause gepflegt“, sagt Horst Vöge. Kein Wunder, angesichts des immensen Eigenanteils für die vollstationäre Pflege. 3200 Euro im Monat müsse man mittlerweile in NRW für einen Heimplatz zahlen, das sei der bundesweite Spitzenplatz, so Vöge weiter.

Mitglieder treten schneller wieder aus

Von den 31.781 Mitgliedern im VdK Niederrhein sind 51 Prozent weiblich und 48 Prozent männlich. Das Durchschnittsalter beträgt 63 Jahre. Zwar kann sich der VdK Niederrhein über einen steigenden Mitgliederbestand freuen, gleichzeitig ist aber auch die generelle Verweildauer gesunken. Als sie beim VdK angefangen habe, habe die durchschnittliche Mitgliedsdauer bei etwa zehn Jahren gelegen, sagt Svenja Weuster, mittlerweile liege sie bei drei bis vier Jahren. Während früher der Solidaritätsgedanke noch weitverbreitet gewesen sei, stehe heute vor allem der Dienstleistungsgedanke im Vordergrund. Von den erstrittenen Nachzahlungen sieht der VdK ürbigens nichts. Die Mitglieder zahlten nur ihren Beitrag und die Kosten für die Rechtsberatung.

Der hohe Kostendruck führe geradewegs in die Armut, sagt der Vorsitzende. Das gelte für Pflegebedürftige genauso wie für Angehörige und für die Kommunen, die Beitragslücken ausgleichen. So habe der Kreis Wesel im vergangenen Jahr insgesamt 23 Millionen Euro an Pflegeeinrichtungen überwiesen, die ihrerseits keine Möglichkeiten hätten, den personellen Bedarf zu decken. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in den kommenden Jahren in Rente, gleichzeitig fehlt der Nachwuchs, während die Bevölkerung immer älter und pflegebedürftiger wird. In den kommenden zehn Jahren steige die Zahl der hochaltrigen Menschen im Kreis Wesel um 40 bis 60 Prozent, prognostiziert Horst Vöge, der seine Forderungen nach einer Pflegevollversicherung sowie einer Anrechnung der Pflegezeit analog zur Elternzeit erneuert.

Beinahe schon mantraartig trägt der VdK seinen Mahnungen vor, wenn es um die Kinderarmut geht – „eine sozialpolitische Großbaustelle“, so Dietmar Hohmt. Allein im Kreis Wesel wachsen 15,5 Prozent der Kinder in Armut auf. Die Lage sei prekär, gleichzeitig fehle das politische Werkzeug, um das Problem endlich in den Griff zu kriegen. Im vergangenen Jahr habe die Stiftung „Kinderglück“ 350.000 Euro zur Verfügung gestellt, um mehr als 8000 bedürftige Kinder mit Schulranzen auszustatten. Ausgehend von 30 Kindern je Klasse wurden insgesamt 266 Schulklassen mit Tornistern versorgt. „Von Chancengleichheit kann man da nicht sprechen“, so Hohmt, der einen Sozialgipfel fordert, bei dem die Kommunen im Kreis Wesel gemeinsam überlegen, was überhaupt möglich ist, um das Problem anzugehen.

Städte und Gemeinden hätten schließlich selbst gar keine Luft, „um zielorientiert arbeiten zu können“, sagt Dietmar Hohmt angesichts der schwierigen Haushaltslage in den Kommunen. „Aber wenn wir sagen, Kinder sind unsere Zukunft, dann müssen wir jetzt handeln.“