Kreis Kleve. Elf Prozent der stationären Pflegeeinrichtungen im Kreis Kleve kündigen Ausbau ihrer Lang- und Kurzzeitpflege in den nächsten drei Jahren an.

Zeitgleich und nur wenige Meter voneinander entfernt haben in Uedem gleich zwei Anbieter neue Häuser für Tagespflege von Senioren an der Mühlenstraße erbaut. Weil in Coronazeiten eine Sitzung abgesagt wurde, erfuhr der Kreisgesundheitsausschuss erst im Nachhinein davon. Die Awo lädt in Uedem jetzt 20 Personen tagsüber ein. Der Caritasverband Geldern-Kevelaer richtet dort für bis zu 15 Senioren – auch dementiell erkrankte – Tagespflege ein. Nebenan im Laurentius-Haus bietet die Caritas zudem 64 Einzelzimmer in sechs Hausgemeinschaften. Das wirkte für den Ausschuss zunächst „überdimensioniert“ für den kleinen Ort. Doch die Nachfrage steigt ja mit der Zahl hochbetagter Einwohner. Nun wird die „Kommunale Konferenz für Alter, Pflege und Gesundheit des Kreises Kleve“ am 8. November über die Fortschreibung des Pflegebedarfsplanes diskutieren.

In der Kommission unter Vorsitz der Landrätin beraten Vertreter von Heimen, Wohlfahrtsverbänden, Krankenversicherungen, Ärzten, Apotheken, Netzwerk Demenz und andere. „Ich bin gespannt auf die Ergebnisse. Daraus sind Punkte zu generieren, was für die Kommunalpolitik wichtig wird“, meint Gerd Engler, Vorsitzender des Kreisgesundheitsausschusses, und ahnt: „Das wird Geld kosten.“

Bei der Dauerpflege und der Tagesbetreuung steigen die Nachfragen

Elf Prozent der stationären Pflegeeinrichtungen im Kreis Kleve kündigten in einer kreisweiten Befragung zum Pflegebedarfs-Gutachten einen Ausbau ihrer vollstationären und Kurzzeitpflegeplätze in den nächsten drei Jahren an. Sowohl bei der Dauerpflege als auch der Tagesbetreuung sind steigende Nachfragen sicher. Aktuell stellen 20 Einrichtungen 281 Tagespflegeplätze zur Verfügung. Acht weitere Einrichtungen sind im Bau oder in der Planung. Das erweitert das bisherige Angebot um 123 auf dann 404 Tagespflegeplätze. Kurzfristig sei von einer Entspannung der Situation auszugehen, so das Gutachten. Aber der Bedarf wachse stetig, selbst wenn man voraussehe, dass mit besserer Gesundheits-Vorsorge und -Versorgung die „pflegefreie Lebenszeit“ ansteige.

Nur vier Kommunen im Kreis – Kranenburg, Rees, Kerken und Wachtendonk – bieten keine Tagespflege. Kalkar hat eine noch „geringe Versorgungsdichte“. Der Gutachter rät, der Kreis Kleve solle auf kommunaler Ebene in regelmäßigen Abständen die Auslastung der Angebote und bestehende Wartelisten abfragen.

Von den 52 Altenpflegeeinrichtungen mit 3280 Plätzen sind drei Kurzzeitpflegeeinrichtungen mit 36 Plätzen, 19 Tagespflegeeinrichtungen (fünf mehr als vor zwei Jahren) mit jetzt 266 Plätzen, zwei Hospize mit 26 Plätze sowie 31 Alten-Wohngemeinschaften (fünf mehr als vor zwei Jahren) mit 197 Plätzen (ein Plus von 24 Plätzen). Gutachter Felix Arnold riet dem Kreis dringend, mehr alternative Pflegeformen wie Pflege-WGs baulich und inhaltlich zu fördern.

In der Bedarfsprognose gibt es mehr Nachfrage als Plätze. Dieser Überhang beträgt bis zum Jahr 2025 im Kreis 479 Plätze, bis 2030 dann 843 und im Jahr 2040 wären 1566 Plätze mehr nötig. Könnte man aber künftig die Pflege stärker in ambulante Pflegearrangements lenken (der Pflegebedarfsplan nennt das „Szenario Ambulantisierung“), würde der Bedarf deutlich geringer ausfallen: auf 942 Plätze bis 2040. Bei der Pflege gilt in Deutschland der Leitsatz „ambulant vor stationär“, so steht es im Sozialgesetzbuch: Kurzzeitpflege geht vor.

Die Nachfrage nach Kurzzeitpflegeplätzen wachse, gerade im Szenario Ambulantisierung. Man geht übrigens von konstanter Verteilung der Pflegebedürftigen auf die einzelnen Pflegegrade auch in Zukunft aus.

Die Zahl der Pflegebedürftigen, die vollstationär versorgt werden, steigt auch nach Einschätzung der Pflegeeinrichtungen in den nächsten fünf Jahren weiter: laut Gutachten – wie berichtet – bis zum Jahr 2040 um circa 52 Prozent auf 4600 Personen (plus 1570). Stärke man die ambulante Versorgung, wären 4120 Personen vollstationär zu versorgen.

Für die ambulante Versorgung von Demenzkranken reicht die Pflegeversicherung nicht

Für den Kreis ist auch der finanzielle Aspekt wichtig. Die Zahl der Pflegegeld-Empfänger steige wohl bis 2040 um circa 36 Prozent auf 15.000 Personen an.

Allerdings: „Für eine ambulante Versorgung von Demenzkranken, die bereits heute rund dreiviertel der stationären Pflegebedürftigen stellen, werden die verbesserten Leistungen der Pflegeversicherung allein nicht ausreichen“, so das Gutachten. Die Versorgung Demenzkranker sei ambulant nur bedingt leistbar. Dazu zählen vor allem Angebote für demenziell erkrankte Menschen auch in ambulant betreuten Wohngemeinschaften sowie Tages- und Nachtpflege. Das Gutachten rät, die Unterstützungsstrukturen für häusliche Pflege, insbesondere das Angebot für Demenzkranke, auszuweiten.

Auch die stationären Pflegeeinrichtungen sollten sich noch stärker auf die weiter wachsende Klientel von demenziell erkrankten Menschen spezialisieren. Es müssen sowohl bauliche wie auch konzeptionelle Anpassungen in den stationären Einrichtungen erfolgen und das Personal entsprechend geschult werden.

Darüber hinaus müssten Kreis und Kommunen altengerechte Wohnungsangebote ausbauen, Angebote im Quartier anstoßen, Netzwerke und Beratung für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige stärken. Das Gutachten bemerkt, dass es für pflegebedürftige Kinder und junge Erwachsene „in den bestehenden Einrichtungen wenige passende Angebote“ gibt.

Die Einführung einer digitalen Patientenakte könne zu einer höheren Effizienz sowie einer Steigerung der Behandlungsqualität beitragen.

In den letzten Jahren war der SPD-Wunsch nach einem Büro für Pflegeberatung stets abgelehnt worden. Das Gutachten summierte: Beim Telefonangebot „Virtueller Pflegestützpunkt“ des Kreis Kleve ließen sich im Zeitraum 2013 bis 2018 zwei Personen beraten.

Personalbedarf wächst zusätzlich durchs Geld für häusliche Pflege

Wenn sich der Pflegebedarf stationär und ambulant so entwickelt, wie vorausgesagt (Bericht oben), dann entsteht nach dem zurzeit gültigen Personalschlüssel bis 2025 ein zusätzlicher Bedarf von rund 300 Fachkräften und 180 Pflegehilfskräften, ambulant und stationär.

In der langfristigen Perspektive werde sich der Bedarf nochmals erhöhen: Bis 2040 würden 1024 Fach- mehr benötigt (304 Pflegefachkräfte mehr bis 2025 sowie 535 bis 2030). Dazu kommen 613 nötige Pflegehilfskräfte mehr im Jahr 2040 (plus 183 in 2025 und plus 324 in 2030). Durch die Einführung des „Entlastungsbetrags“ (Geld für Pflegebedürftige in häuslicher Pflege) wachse der Bedarf an Pflegehilfskräften zusätzlich. Bei einer Verstärkung der ambulanten Hilfen („Ambulantisierung“) sinke für beide Gruppen der Bedarf etwa um 150 Personen. Ambulante Pflege erfordere meist weniger professionelles Pflegepersonal, was aber Angehörige oder nachbarschaftliche Hilfen kompensieren müssten.

Gutachter rät, starre Fachkraftquote in der stationären Pflege aufzulösen

Der Gutachter rät: „Eine Auflösung der starren Fachkraftquote in der stationären Pflege könnte zu einer größeren Flexibilität im Personalbereich beitragen.“ Doch sieht er die Gefahr einer verringerten Qualität der pflegerischen Betreuung. Die befragten stationären Pflegeeinrichtungen im Kreis Kleve seien in Bezug auf die Einführung eines flexiblen Fachkräftemodells mehrheitlich skeptisch. 41 Prozent der Einrichtungen stimmen neuen flexibleren Personalmodellen zu.

Die Heimaufsicht (offiziell WTG-Behörde) lobt: Die Einrichtungen mit umfassendem Leistungsangebot im Kreis Kleve gewährleisteten trotz allem 50 Prozent Fachkraftquote. Aber wo etwas Bürokratie entfalle, entsteht neue. So muss seit 2020 die tag-genaue Meldung der Belegungszahlen durch die stationären Pflegeeinrichtungen von der Heimaufsicht überprüft werden.

Ergebnisse der Regelprüfungen: www.kreis-kleve.de/de/fachbereich4/pflege-heimaufsicht/.