Kreis Kleve. Kreis soll soziale Bindungen für Ältere steuern. In Schulen und Kitas wächst Personalbedarf durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung.
Eine „Trendwende“ bei den Geburten ist im Kreis Kleve absehbar, die Auswirkungen auf den Bau neuer Kindergärten und folgend Ausbau von Schulklassen hat. Da wachsen nun die Enkel der Baby-Boomer – der geburtenstarken Jahrgänge von 1946 bis 1964 (siehe Grafik) – heran. Doch die Zahl der Alten steigt noch deutlich umfangreicher (wie die NRZ berichtete). Die jetzt steigende Zahl an Kita-Plätzen werde auch nicht mehr auf vormaligen Stand zurück gefahren, prognostizierte Felix Arnold, Gutachter des alp-Instituts für Wohnen und Stadtentwicklung aus Hamburg. Denn Anforderungen an Kindergärten steigen, die betreuten Kinder werden immer jünger, sie bleiben immer längere Stunden in den Einrichtungen.
https://dcx.funkemedien.de/dcx/documents#/doc/doc7hc13gq2zqu1ey97bg0r
Das Auf und Ab der Bevölkerungszahl sei schwierig zu managen, räumte Felix Arnold in seinem Demografiegutachten ein, das er im Kreisgesundheitsausschuss vorstellte. Der Kreis müsse leistungsfähige, professionelle wie informelle Unterstützungsangebote bieten. Die Bindung von Vereinen und Nachbarschaften werde viel an Bedeutung gewinnen.
Verhindern, dass leistungsstarke junge Leute abwandern
Herausforderung für den Kreis sei der langfristig hohe Personalbedarf in Kindergärten und Schulen, denn auch viele Betreuer erreichten nun das Renteneinstiegsalter. Die Bundesregierung hat einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter ab 2026 auf den Weg gebracht. Das mache personelle und räumliche Anpassungen im Kreis Kleve erforderlich.
Die Erwerbsfähigen zwischen 18 und 65 Jahren müssen der wachsend Gruppe Senioren die Rente und Pflege sichern. Die Arbeitnehmer stellen heute 62 Prozent der Bevölkerung. Wenn die „dicke Gruppe der Babyboomer“, die heute 52- bis 65-Jährigen, aber zu Rentnern werde, so Arnold, dann machen die Erwerbsfähigen Kreis Klever im Jahr 2040 nur noch 40 Prozent der Bevölkerung aus. „Viele Menschen in Führungspositionen scheiden außerdem aus“, erinnerte er.
Das sei zwar nicht Aufgabe der Kreispolitik in erster Linie, „sondern da sind Arbeitgeber, Industrie- und Handelskammer und das Handwerk gefordert“, so Felix Arnold. Aber der Kreis steuert es, das Wohlstandsniveau zu halten. Er müsse versuchen zu verhindern, dass leistungsstarke junge Leute abwandern, indem man soziale Bindungen und kulturelle Angebote aufbaue.
Ältere länger im Arbeitsmarkt halten
Es gelte parallel, die Älteren länger im Arbeitsmarkt zu halten, ihre Chancen und das Arbeitsumfeld stärker an die Bedürfnisse anzupassen. Bei den Betreffenden müsste man das Bewusstsein für Prävention und lebenslanges Lernen schärfen, Weiterbildung besser vermarkten, etwa bei der Digitalisierung. Für Frauen könne der Kreis das Arbeitskräftepotenzial mehr ausschöpfen, beispielsweise durch flexibles Betreuungsangebot für ihre Kinder. „Mehr Betreuung ist gesellschaftlich gewollt“, so Arnold. Frauen bekommen zwar inzwischen wieder mehr Kinder als vor zehn Jahren, aber sie werden deutlich später, durchschnittlich erst mit 31 Jahren, schwanger.
http://Bevölkerungsentwicklung_2018_bis_2040{esc#233187227}[xhtml]Eine Steigerung der Berufstätigkeit sei auch bei Menschen mit Migrationshintergrund möglich. Zuwanderung sei nach wie vor nötig fürs Land. „Ohne Zuwanderung hätten wir bereits jetzt einen deutlichen Bevölkerungsrückgang, im Kreis und bundesweit“, so Arnold.
Die Bevölkerung im Kreis Kleve ist stabil. Sie nahm seit 2011 um 3,8 Prozent, das 11.300 Personen, zu – in NRW nur um 2,3 Prozent. Bis zum Jahr 2040 wird die Anzahl der Bürger um 9 Prozent steigen.
Das verdankt der Kreis den Wohn-Verlockungen in Weeze, Wachtendonk und Straelen (siehe Landkarten-Grafik), wertete Arnold aus. Kleve, Goch, Weeze und Kranenburg nahmen seit 2011 stark an Bevölkerung zu, bis 2040 wachsen dann Kranenburg und Bedburg-Hau mehr als Kleve und Emmerich. Aber auch die legen noch zu. Ein wenig Bevölkerung verlieren werden im Nordkreis Goch und Kalkar, deutlich mehr Rees und Uedem (siehe Box oben).
Im Jahr 2040 stellen die Über-66-Jährigen 29 Prozent der Bevölkerung im Kreis. Aufgeteilt nach Kommunen:
Bedburg-Hau 57,1 %,
Emmerich 27,6 %,
Geldern 39,9 %,
Goch 35,8%,
Issum 35,0%,
Kalkar 32,3%,
Kerken 16,7%,
Kevelaer 26,0%,
Kleve 20,6%,
Kranenburg 47,1%,
Rees 36,9%,
Rheurdt 29,7%,
Straelen 56,7%,
Uedem 29,4%,
Wachtendonk 31,7%,
Weeze 25,0%,
kreissweit 31,8%,
NRW 29,3% der Einwohner.
Bei der Befragung der Älteren hatte das Team des alp-Instituts auch nach nötiger Hilfe bei einzelnen Tätigkeiten gefragt: Reparaturen im Haus, Einkaufen, Putzen, Finanzangelegenheiten, Behördengänge, um dem Kreisausschuss auch da Orientierung für künftige Verbesserungen zu geben.
Neubaugebieten droht Leerstand, sieht der Gutachter voraus
elix Arnold regte Pilotprojekte an, weil familiäre Unterstützungsstrukturen abnähmen. Seine Schlagworte: Bürgerhäuser, Nachbarschaftstreffs, Mehrgenerationenhäuser, Gemeinschaftsgärten stärken, generationsübergreifende Wohnangebote im bekannten Wohnumfeld ausbauen. Er warnte: „Früheren Neubaugebieten droht Leerstand“. Er riet dringend zur interkommunalen Abstimmung der wohnbaulichen Entwicklung und erschwinglichem Mietwohnungsbau. „Ein dickes Brett zu bohren“.
Die Mobilität streifte er nur, weil ein eigenes Mobilitätskonzept erstellt wird. Seine Meinung: Perspektivisch sinkt die Zahl der Schüler. Die Senioren als wachsende Zielgruppe nutzen bestehende Bus-Angebote kaum. Es brauche flächendeckend im Kreis flexible On-Demand-Angebote (Bus auf Bestellung). Die Fahrradinfrastruktur, insbesondere innerorts, müsse ausgebaut werden, denn das Fahrrad sei auch für Ältere die gute Alternative zum Auto. Ein nötiges lebendiges Kulturangebot für Jung und Alt gehe einher mit guter Erreichbarkeit der Veranstaltungen.
Fast Hundert Prozent der Älteren finden: Schule und Betreuung sind sehr wichtig
Für sein Demografie-Konzept hatte das alp-Institut für Wohnen und Stadtentwicklung im Auftrag des Kreises gezielt 4000 Personen über 60 Jahren befragt – auch zu deren Einschätzung, welches die wichtigsten Aufgaben ihrer Kommune seien.
„Sehr wichtig“ und „wichtig“ fanden zu fast 100 Prozent die Befragten das Thema Schulentwicklung, gefolgt von Kinderbetreuung und Förderung Jugendlicher.
„Sehr wichtig“ ist demnach auch bezahlbarer Wohnraum, danach erst altersgerechtes Wohnen. Finanzen, Stärkung und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft rangieren von 24 abgefragten Themen mit ganz weit oben in der Skala. Auf dem letzten Platz landete die Erwachsenenbildung.
Zur Auswertung befragt wurden obendrein alle Alteneinrichtungen (Rücklauf 50 Prozent), auch politische Vertreter und sogenannte Experten – welche und wie viele das waren, konnte der Referent Felix Arnold im Kreisgesundheitsausschuss nicht spontan beantworten.