Kleve. Mifgash-Mitglied Ron Manheim fragt sich, warum Kirchenvertreter und Politiker sich erst jetzt einmischen
Mifgash-Mitglied Ron Manheim schreibt: In der jüngsten Debatte über die Pläne für eine das ganze Jahr offene und auch aktive Gedenk- und Erinnerungsstätte am Synagogenplatz in Kleve stechen zwei Aussagen sehr ins Auge. Die eine: Es sei eine breite oder öffentliche Diskussion über eine Nutzungsänderung erforderlich. Die andere: Es handele sich um eine „klaffende Wunde“ (Bürgermeister Gebing), die es zu erhalten gelte.
Man könnte dagegen einfach ins Feld führen, dass die öffentliche Debatte, für diejenigen, die es interessiert hat, schon lange geführt wird, und dass eine sinnvolle Umgestaltung des Synagogenplatzes sogar von der traditionsbewussten Jüdischen Gemeinde in Krefeld – zuständig für jüdisches Leben am Niederrhein – sehr befürwortet wird. Beides ist bei der politischen Öffentlichkeit und der Verwaltungsspitze der Stadt Kleve längst bekannt. Der Verein „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“, der auch jüdische Mitglieder zählt, hat sich – und zwar mit Erfolg – um aktive Beziehungen zum lebendigen Judentum am Niederrhein bemüht! Es ist aber offensichtlich notwendig noch auf weitere Dimensionen dieser Diskussion hinzuweisen.
Der lange Weg zur Gedenkstätte
Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass in vielen öffentlichen Gremien und Organisationen schon seit Jahren intensiv über die Gedenkkultur der Zukunft nachgedacht wird. Der Verein „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“ hat sich selbstverständlich auch mit dieser Frage beschäftigt. Dem Verein nun direkt oder indirekt vorzuwerfen, er handele unüberlegt und respektlos, ist beleidigend.
Wie geht und wie ging man in der Vergangenheit in Kleve mit der Öffentlichkeit und mit der „klaffenden Wunde“ um? Dies ist eine wichtige Frage, um beurteilen zu können, wie tiefschürfend oder wie oberflächlich die heutigen Proteste sind. Jede und jeder weiß, dass man sich in Deutschland vom Ende des Zweiten Weltkriegs an sehr schwer damit getan hat, über die Schuld und die daraus sich ergebende Verpflichtung nachzudenken. In Kleve hat es länger als anderswo gedauert, bis eine würdige Gedenkstätte entstand. Sie wurde erst 2002 eingeweiht, fast ein Menschenleben lang nach Kriegsende; die Metallblöckchen mit den Namen der Ermordeten waren bei der Einweihung noch nicht mal fertig…
Ein sehr bescheidenes, halb öffentliches Gedenken fing nur halbherzig an, als in den 1970er Jahren, die Katholische Kirche im Nordportal der Stiftskirche eine Gedenkstätte für Karl Leisner plante. Erst im Laufe der damaligen Diskussionen kam die Idee auf, man könne doch gleichzeitig auch der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Und dementsprechend wurde dann das Portal eingerichtet. Später kam das Relief am Bleichenberg hinzu. Die Gedenkstätte am Synagogenplatz kam ja erst 2002.
Wo engagieren sich die Kirchen?
Warum melden sich jetzt die skeptischen Stimmen, die eine öffentliche Diskussion wünschen, zumeist mit der Absicht, die Umgestaltung des Synagogenplatzes zu verhindern? Was ist passiert? Und vor allem, wo engagieren sich dieselben Menschen bei sehr verwandten Aufgaben?
Der Verein „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“ hat die Stolperstein-Aktion praktisch ermöglicht und setzt diese bis heute um. Warum haben nicht die Kirchen von sich aus die Aufgabe übernommen, die verlegten Stolpersteine zu pflegen? Es wäre ein Zeichen gewesen! Die Gedenkfeier am 9. November wurde Jahre lang vom Verein „Nachbarn ohne Grenzen“ organisiert, einem Verein mit einer ganz anderen Zielsetzung, nämlich die Wiederherstellung der nachbarlichen guten Kontakten zwischen Deutschen und Niederländern. Warum haben es nicht die Kirchen gemeinsam übernommen, die dazu sehr viel mehr Grund gehabt hätten? Die Stadt übernimmt das Gedenken am sogenannten „Volkstrauertag“. Warum nur dieses Gedenken? Warum nicht auch das Gedenken zum internationalen Holocaust-Gedenktag, das jeweils einer Schule oder einer irgendwie passenden Organisation aufgebürdet wird. Ich habe sehr viele von diesen Gedenkfeiern besucht und habe mich immer wieder darüber gewundert, wie wenige Vertreter der Klever Politik dabei anwesend waren. Solche „Pflichten“ wurden eher verteilt: Gehst Du hierhin, dann gehe ich dorthin, oder das nächste Mal….
Kein Konzept gegen Antisemitismus
Vor zwei Jahren hat der Rat am Schluss eines langen Diskussionsprozesses anlässlich der Frage, wie man mit dem Namen „Beuthstraße“ umzugehen habe, beschlossen (!!!) dass die Stadt selbst Initiativen gegen Antisemitismus entwickeln wird. Was ist seither passiert? Nichts! Kein Konzept über den Umgang mit ab und an sichtbaren antisemitischen Schmierereien in der Stadt, kein Konzept zum Umgang mit jungen Immigranten aus Ländern mit einer traditionellen antisemitischen Kultur. Es passiert nichts! Die „klaffende Wunde“ betrifft natürlich nicht nur die Synagoge: Wo wurde bisher an die jüdische Schule erinnert? Nirgendwo! Es hat keinen Kirchendiener und keinen Politiker in Kleve beschäftigt.
Und wie steht es mit der oh so wichtigen jüdischen Tradition in Kleve, an die doch erinnert werden soll? Eine einzige Straße wurde nach einem jüdischen Klever benannt: die Ernst Goldschmidt Straße. Wie ein Feigenblatt! Zu lesen ist da, Goldschmidt sei Jude, Widerstandskämpfer und Literat gewesen. Wie bitte? Ernst Goldschmidt war tatsächlich unmittelbar jüdischer Abstammung, aber ob er sich selbst als Jude definierte, ist nicht belegt. Wohl, dass er Kommunist war. Dafür hat er sich entschieden, und so kam er zum Widerstand. Dies wird aber auf dem Namensschild verschwiegen! Warum gibt es noch immer keine Emanuel Gompertz Straße, eine Julius Meyer Straße, oder eine Glickel von Hameln Anlage, um nur wenige Möglichkeiten aus vielen zu erwähnen?
„Es ist geradezu ärgerlich“
Und noch etwas: Welchem Kirchenvertreter ist es aufgefallen, dass das Relief am Synagogenplatz die Tür des jüdischen Gotteshauses mit einem christlichen Kreuz zeigt? Auf meine Bitte hin hat es Sonja Northing als Bürgermeisterin ändern lassen, ebenso, wie sie (erst nach wie vielen Jahren uninteressierter Politiker?) dafür gesorgt hat, dass das Eisentor zum jüdischen Friedhof keine christlichen Kreuze mehr trägt.
Aber jetzt, wo der Verein „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“ sich aktiv dafür einsetzt, dass am Synagogenplatz das Gedenken und Erinnern nicht allmählich herunterkommen und in Vergessenheit geraten, erst jetzt fühlen sich viele berufen, sich für „Gedenken“, für Erinnerung an die „klaffende Wunde“ und für eine breite öffentliche Diskussion einzusetzen.
Geradezu ärgerlich ist es, wenn immer wieder suggeriert wird, der Verein „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“ wolle sich dort am Synagogenplatz ein „Vereinshaus“ bauen. Nein, das will er nicht! Der Verein wurde nicht zuletzt deswegen gegründet, dass dort ein breit getragenes Haus des Gedenkens, der Erinnerung und der Begegnung entsteht!
Warum an der Finanzierung zweifeln?
Zum Schluss: Warum wird immer wieder, auch in der aktuellen Diskussion, die Finanzierbarkeit der vom Verein „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“ entwickelten Pläne angezweifelt? Warum wird dieser Zweifel in die Öffentlichkeit getragen? Warum nicht Zuversicht, weil so ein Zentrum für Gedenken, Erinnern und gleichzeitig für ein vorurteilsfreies Zusammenleben dringend erforderlich ist und gerade dort, wo Synagoge, Schule und Restaurant gestanden haben, ein Symbol von großer Tragweite sein kann? Aus der Geschichte lernen und die richtigen Konsequenzen ziehen! Aber jetzt über Finanzierungsprobleme zu reden, hat eine völlig unnötige Bremswirkung. Zunächst ist nämlich ein Beschluss der Stadt erforderlich, dass sie, wenn in allernächster Zukunft das Geld zur Umsetzung zusammengetragen ist, bereit sein wird, die stadteigenen Grundstücke in eine Trägerstiftung einzubringen, in der sie selbst vertreten ist oder sein kann. So kann es gelingen! Erst verlässliche Sicherheit über die Bauperspektiven, dann kommt das Geld. Es kommt!
Ron Manheim ist Mitglied und Gründer des Vereins „Haus der Begegnung – Beth HaMifgash“.