Essen. Filme vom Sterben und knappen Überleben: Snowdance-Festival in Essen zeigt emotionales Drama aus dem Hospiz. Auch das Massaker von Butscha ist Thema.
Das Kino kann Traumwelten eröffnen. Aber vielleicht träumt nach diesem ersten Abend beim Snowdance Independent Filmfestival mancher auch ein bisschen unruhiger. Es liegt nicht nur an dem aufwühlendem Drama „The Daughter“ des ukrainischen Filmemachers Egor Olesov, der die Schrecken des Massakers von Butscha an diesem Abend mit seinem Film eindringlich in Erinnerung ruft. Auch ein deutscher Spielfilm klingt noch lange nach.
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Der Film „Ich sterbe. Kommst du?“ sorgt zugleich für ein Novum beim Essener Kinofestival, das mittlerweile im dritten Jahr läuft: Präsentiert wird der Wettbewerbsbeitrag an diesem Abend erstmals auswärts, in der Essener Kreuzeskirche.
Kino mit Orgelvorspiel von Kreuzeskirchen-Kustos Andy von Oppenkowski, das ist bei „Snowdance“ keine sanfte Film-Andacht, sondern ein aufwühlendes Seelenprojekt. Regisseur Benjamin Kramme, den manche vielleicht noch als Erfurter Tatort-Kommissar in Erinnerung haben, hat einen Film übers Sterben gedreht.
Eigentlich hat es der etwas zu spät eingereichte Film nur noch als Nachrücker ins Festival-Programm geschafft, weil ein amerikanischer Beitrag ausfiel, verrät Snowdance-Chef Tom Bohn. Inzwischen gilt „Ich sterbe. Kommst du?“ als ein Favorit. Erst wenige Tage zuvor gab es beim renommierten Max Ophüls Festival den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film, dazu den Publikumspreis.
Regisseur Benjamin Kramme hat Erfahrungen mit der Arbeit im Hospiz
Dass die Zuschauer den schmerzlichen Prozess des Abschiednehmens mitgehen, liegt gewiss an der realistischen Erzählweise, der Intensität und Wahrhaftigkeit des Films. Benjamin Kramme hat neben der Filmarbeit auch ein Sozialpädagogik-Studium absolviert und Erfahrungen in der Hospiz-Arbeit. Gedreht wurde denn auch in einem Hospiz, in dem Kramme selber eine Weile gewirkt hat. Dort hat er ein Tagebuch geführt, um die Eindrücke zu verarbeiten, berichtet der Regisseur.
Aus den Momenten ist ein Film geworden, der sehr genau weiß, wovon er erzählt. Die vermeintlichen Alltags-Banalitäten des Hospiz-Lebens mit Tageshoroskop-Vorlesen und heimlich Rauchen hat Kramme genauso im Blick wie die großen Fragen: Wie verabschiedet man sich mit gerade mal Ende 30 von seinem Leben, von allen Zukunftsplänen und vor allem - von seinem kleinen Kind.
Hauptdarstellerin hat für den Film zehn Kilo verloren und ihre Haare abgeschnitten
Jennifer Sabel, Hauptdarstellerin und Co-Autorin, spielt das fein austariert zwischen stacheliger Abwehr gegen die eigene Mutter und einem sensiblen Buhlen um Nähe zu ihrem kleinen Sohn Dexter, der sich immer mehr vor Hospiz-Besuchen fürchtet im Anblick der sterbenden Mutter.
Krammes Film stellt nichts aus, beschönigt aber auch nichts. Jennifer Sabel hat sich für die Rolle der krebskranken Nadine zehn Kilo runtergehungert und die langen Haare abgeschnitten. In Hollywood nennen sie sowas Method Acting, in Krammes Film ist es einfach eine berührende, seelenvolle Darstellung von innerem Aufbegehren, Angst verspüren, Abschied nehmen und der Frage, was man einem Kind hinterlassen und mit auf den Weg geben kann, außer einer letzten Videobotschaft zur Einschulung.
Ukraine-Krieg: Film erinnert an Gräueltaten der russischen Invasoren
„Ich sterbe. Kommst du?“ kann nun auch in Essen auf einen Preis in der Kategorie „Best Feature“ hoffen. Ebenfalls nominiert ist Egor Olesovs „The Daughter“, der sich auf das Massaker von Butscha im Februar 2022 bezieht. Mehr als 400 Menschen sollen damals Opfer der Gräueltaten der russischen Invasoren geworden sein. Olesov macht den Horror des Überfalls spürbar, indem er die Flucht der 17-jährigen, hörgeschädigten Olga mit ihrem Vater, der Stiefmutter und dem Halbbruder als nervenaufreibenden Alptraum voller Brutalität und Härte inszeniert, aber immer auch einen Blick für das hat, was in den Herzen und Köpfen der Opfer - und Täter - vorgeht.
Snowdance-Festival in Essen: Am Samstag werden die Preise vergeben
Welcher Film das Rennen macht, wird am Samstagabend, 1. Februar, bekannt gegeben. Dann sind noch weitere nominierte Filme zu sehen, etwa „The Moment of Eternity“ über den Alltag eines alten, alleinstehenden Neurotikers oder „Silent Notes“, der die Geschichte eines kriminellen, schwerhörigen, homosexuellen Mannes und die Begegnung mit seiner großen Liebe erzählt.
Zum Abschuss zeigt das Snowdance-Festival am 2. Februar die Filme „Bankie Banx“ (15 Uhr, Sabu) und „No Way Home“ (19.30 Uhr, Sabu). Ebenfalls fortgesetzt wird das Kurzfilmprogramm mit dem „Queer Shortz“ (1.2., 19.30 Uhr, Sabu) und den „Lunatic Shortz“ (2.2. 17 Uhr, Sabu).
Alle Infos und Spielorte unter www.snowdance.net
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