Essen-Steele. 38 Minuten Bietzeit, zehn Gebote: Für zwei Millionen Euro ersteigert ein Essener ein geplantes Seniorenwohnen. Was aus dem Rohbau werden soll.

Seit Jahren schon steht der riesige Rohbau an der Bochumer Landstraße leer, fertig geworden ist das Gebäude nie. Statt der geplanten Seniorenwohnungen und einer Tagespflege stand jetzt beim Gericht die Zwangsversteigerung an. Den Zuschlag hat ein Essener Zahnarzt erhalten – für zwei Millionen Euro. Was der neue Eigentümer plant.

Es ist kurz vor neun Uhr am 24. Januar. Langsam füllt sich der Saal 181 im Essener Amtsgericht an der Zweigertstraße. Hier soll heute ein Rohbau in Steele versteigert werden. Vier Geschosse hat das Gebäude an der Bochumer Landstraße/Am Buschgarten, an dessen Fassade die eingebauten Fenster ebenso zu sehen sind wie die roten Schmierereien. Entstanden ist auch ein Keller und ebenso Feuchtigkeitsschäden, da das Haus ursprünglich im Sommer 2021 fertiggestellt sein sollte und nun stattdessen brach liegt.

Gutachten beziffert die Sanierungskosten des Rohbaus in Essen-Steele mit bis zu 7 Millionen Euro

Ein Gutachten hat den Zustand vor dem Gerichtstermin zusammengefasst, hat auch stehendes Wasser sowie Schimmelpilzbildung beschrieben und die voraussichtlichen Sanierungs- und Fertigstellungskosten mit bis zu 7,4 Millionen beziffert, damit das Gebäude endlich genutzt werden kann.

Inzwischen ist das leer stehende Gebäude in Essen-Steele auch beschmiert worden.
Inzwischen ist das leer stehende Gebäude in Essen-Steele auch beschmiert worden. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Senioren sollten hier einziehen, so sah es das Projekt „Am Buschgarten“ vor, als dessen Projektentwickler die Ultima Ratio Buschgarten GmbH & Co. KG galt. Geplant waren laut Gutachten 29 Seniorenwohnungen, zwei Seniorenwohngemeinschaften mit jeweils zwölf Zimmern sowie Gemeinschaftsräume und Küche. Es sollte Büros, eine Tagespflegeeinrichtung und eine Tiefgarage mit 27 Einstellplätzen geben. Das Gesamtkonzept sollte von einem Pflegedienst betreut werden, so stand es seinerzeit in einer Broschüre, die für das Steeler Projekt und auch private Anleger warb.

Jetzt sitzen mehr als 50 Personen im Gerichtssaal, als die Rechtspflegerin Barbara Niedrich die Sitzung eröffnet. Ein paar Nachzügler trudeln verspätet ein. Als Gläubiger ist unter anderem die Volksbank Ruhr Mitte vertreten. Die Frage der Rechtspflegerin nach einer Vertretung der Eigentümerin bleibt unbeantwortet.

Crowdfunding gehörte zum Wohnprojekt

Das Seniorenwohnprojekt „Am Buschgarten“ in Steele geht auf die Projektgesellschaft Ultima Ratio Buschgarten GmbH & Co. KG zurück. Als Projektentwickler hat diese die „Bonafide Immobilien“ eingesetzt. Beide waren für die Redaktion telefonisch nicht erreichbar, eine Mail blieb unbeantwortet.

Zu dem Steeler Projekt zählte auch ein Crowdfunding-Konzept. Bei diesem investierten Anleger eine Summe zwischen 10 und 20.000 Euro und sollten in diesem Fall etwa für ihr angelegtes Geld eine jährliche Verzinsung von 6,5 Prozent erhalten. Eine entsprechende Broschüre gab es vom Unternehmen Bergfürst AG, das im Auftrag der Ultima Ratio Buschgarten GmbH für das Projekt warb. Laufzeitende der Vermögensanlage: 31. Oktober 2022. 

Ob die Anleger des Steeler Projekts ihr Geld zurückerhalten, ist ungewiss. Denn dafür wird die Summe von zwei Millionen Euro wohl nicht ausreichen, weil andere Darlehen wohl als vorrangig gelten. Da das Erfahrungen sind, die andere Anleger bei weiteren deutschlandweiten Projekten der Unternehmen auch machten, gibt es inzwischen etwa die Plattform Interessengemeinschaft (IG) der Bergfürst-Anleger, auf der 200 Betroffene zusammengefunden haben. Eine weitere Gruppe hat indes einen Anwalt engagiert und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. 85 Menschen sollen sich der IG Bonafide angeschlossen haben. 

Barbara Niedrich verliest den Verkehrswert des Objektes, er beträgt laut Gutachten 1,68 Millionen Euro. Bei einem Gebot unter 50 Prozent des Verkehrswertes, also unter 840 Tausend Euro, werde kein Zuschlag erfolgen. Zu dieser Situation soll es aber nicht kommen.

Um 9.13 Uhr wird die „Bietzeit“ eröffnet – so steht es jetzt auch im Protokoll. Minutenlang geschieht nichts. Niemand wagt den ersten Schritt. Dann, das erste Gebot. 1,176 Millionen Euro – und damit exakt 70 Prozent des Verkehrswertes. Jetzt steht fest: Das Objekt wird heute über den Tisch gehen. Die Gebote steigen, übersteigen den Verkehrswert schließlich beträchtlich.

Wer aus Richtung Bochum über die Bochumer Landstraße nach Steele fährt, kommt an dem großen Rohbau vorbei.
Wer aus Richtung Bochum über die Bochumer Landstraße nach Steele fährt, kommt an dem großen Rohbau vorbei. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Zehn Gebote und fünf Bieter später folgt der Zuschlag. Barbara Niedrich beendet um 9.51 Uhr die Bietzeit. Der Komplex an der Bochumer Landstraße/Am Buschgarten wechselt den Eigentümer. Zwei Millionen Euro beträgt das letzte Gebot. Höchstbietender ist ein 51-jähriger Privatmann aus Essen. Der Rohbau liegt auf seinem Weg zur Arbeit, täglich fährt er auf dem Weg zu seiner Zahnarztpraxis in Freisenbruch dort vorbei. Kaum 1200 Meter Luftlinie trennen die beiden Bauten.

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Remus Ioana hat die Praxis bereits vor Jahren von seinem Vater übernommen, erst um-, dann neu gebaut. Und er hat nicht nur in diesen Neubau an der Bochumer Landstraße investiert. Eine benachbarte Brachfläche hat er nach eigenen Angaben ebenfalls erworben und dort einige Parkplätze erstellt, weitere Flächen in der Nachbarschaft sollen folgen. „Freisenbruch und sein Umfeld sind in den letzten Jahren ein wenig heruntergekommen“, bedauert Remus Ioana. Er möchte etwas dagegen tun – damit nun bei dem ersteigerten Objekt anfangen und die ursprüngliche Idee beibehalten.

Jahrelang habe er zusehen müssen, wie es nicht weiterging und erste Vandalismusschäden aus dem Rohbau einen Schandfleck machten. Nachdem klar war, dass es zu einer Zwangsversteigerung kommen würde, hat er das Gebäude besichtigt. Auch von innen. „Katastrophal“ – beschreibt er seinen ersten Eindruck. Hat Feuchtigkeitsschäden und Schimmel selbst gesehen. Und das Haus doch ersteigert. Für die Summe von zwei Millionen Euro.

Jetzt sollen Architekten und Baufachleute das Gebäude in Essen-Steele begutachten

Wie es nun weitergeht? Die Rechtspflegerin verdeutlicht, dass die Rechtskraft des Beschlusses abgewartet werden müsse. Das könne 14 Tage dauern. „Bis dahin gilt: Nur gucken, nicht bauen“, gibt sie dem neuen Eigentümer der Immobilie noch mit auf den Weg.

Remus Ioana aber denkt noch gar nicht ans Bauen. Der nächste Schritt werde sein, mit einem Architekten und Baufachleuten durch das Objekt zu gehen, um zu schauen, was heraus müsse und wo sofortiger Handlungsbedarf bestehe, damit die Schäden nicht noch größer würden. Danach erst könne mit dem Innenausbau begonnen werden. Dann müssen Handwerker aller Gewerke übernehmen. „Das wird keine leichte Aufgabe, alles zu koordinieren und zeitlich so abzustimmen, dass möglichst viel ineinanderpasst“, glaubt der Zahnarzt.

Die Fenster sind an dem viergeschossigen Gebäude in Essen-Steele eingesetzt worden, dann ist jahrelang nichts passiert.
Die Fenster sind an dem viergeschossigen Gebäude in Essen-Steele eingesetzt worden, dann ist jahrelang nichts passiert. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Wann sein neu erworbenes Projekt mit Leben gefüllt wird, das wisse er nicht. Über Erfahrung in Sachen Seniorenwohnungen oder Kurzzeitpflege verfüge er auch nicht. Aber darüber möchte er sich erst jetzt, also nach dem Gerichtstermin Gedanken machen. „Bis vor wenigen Minuten haben wir nur für den gerade erlebten Augenblick geplant“, gesteht sein Praxismanager und Verwaltungschef Kay Thiele, der Remus Ioana begleitet hat. Alles Weitere werde nun folgen.

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