Essen-Stoppenberg. Sie besuchen und untersuchen Patienten zu Hause: vor und nach dem Klinik-Aufenthalt. Die leitende Ärztin kann per Kamera zugeschaltet werden.
Ein gepflegtes Wohnzimmer, irgendwo in Stoppenberg. Gerahmte Familienfotos stehen auf einem Sideboard, durch ein großes Fenster fallen Sonnenstrahlen.
Katja Bernhardt und Katharina Salewski haben ihre Tasche mit dem medizinischen Equipment auf dem Teppich abgelegt und bereiten alles vor: Einmal Blutdruck, Temperatur, Puls messen – und Blut abnehmen. Ihre Patientin kennt das Prozedere schon: Es ist der zweite Besuch der beiden „Flying Nurses“. Als solche nämlich sind Bernhardt und Salewski im Einsatz. Das Angebot ist noch recht neu: Anfang April sind zwei Etagen des ehemaligen St. Vincenz-Krankenhauses in Stoppenberg, das vor knapp vier Jahren geschlossen worden war, mit einem neuen Konzept wiedereröffnet worden – eine Besonderheit sind die „Flying Nurses“.
Rettungsdienst brachte die Stoppenberger Seniorin ins St. Vincenz Gesundheitszentrum
„Statamed“ lautet der Projektname, die Kurzform für „stationäre allgemeinmedizinische Versorgung“. Patienten können stationär aufgenommen und behandelt werden, sofern es sich um eher leichte Fälle handelt, die keine intensivmedizinische Betreuung benötigen. Oft geht es um Kurzzeit-Aufenthalte. Eine Notfallambulanz, bei der Patienten selbst vorstellig werden könnten, gibt es nicht: Ihre Aufnahme wird beispielsweise über Haus- und Fachärzte, Pflegedienste oder -Heime geplant, oder sie werden als Notfall von einem Rettungsdienst gebracht. So wie die 85-jährige Stoppenbergerin, die heutige Hausbesuchs-Patientin der „Flying Nurses“.
„Das war an einem Sonntag“, erinnert sich ihr Mann (82). Beim Frühstück habe er schon gemerkt, dass etwas nicht stimmte: „Meine Frau war verwirrt und zittrig.“ Dabei ist die Seniorin, wie ihr Mann auch, noch sehr fit. Nie sei sie krank gewesen, und zuerst habe er sich deshalb gescheut, den Notruf zu wählen, erzählt er. Doch als der Zustand seiner Frau sich zusehends verschlechterte, habe er das Schlimmste befürchtet, seine Tochter verständigt und die wiederum den Rettungsdienst. Mit 40 Grad Fieber und einem bedrohlich niedrigen Blutdruck wurde die Seniorin ins nahegelegene St. Vincenz gebracht. Die Ursache: ein verschleppter Harnwegsinfekt. Mittlerweile ist sie wieder zu Hause. Der Besuch von Katja Bernhardt und Katharina Salewski dient der Nachsorge.
Beide sind gelernte Krankenschwestern, haben Erfahrung in Hausarztpraxen, in der Notaufnahme und in der Altenpflege bzw. Pflegedienstleitung gesammelt. Zudem sind sie für diesen Job besonders geschult worden.
Bei den Hausbesuchen sind auch EKG, Ultraschall und Echtzeit-Befunde möglich
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Zu den Untersuchungen, die sie unterwegs durchführen können, gehören beispielsweise EKG und Ultraschall. Auch ein telemedizinisches Stethoskop und eine Kamera sind Teil ihrer Ausrüstung. „Die Ergebnisse werden in Echtzeit übertragen. Wenn nötig, kann die leitende Ärztin direkt zugeschaltet werden und weitere Anweisungen geben“, erklärt Katja Bernhardt. Beim heutigen Hausbesuch ist das nicht nötig. Der Patientin geht es soweit gut, Schmerzen habe sie nicht, sagt sie, lediglich noch ein paar Fragen zum weiteren Prozedere. Das Paar will den Hausarzt wechseln und sichergehen, dass die Krankenakte inklusive Abschlussbericht auch dort ankommt. Die „Flying Nurses“ beantworten geduldig alle Fragen, loben das System, das sich der Ehemann ausgedacht hat, damit seine Frau, aber auch er, genügend Flüssigkeit zu sich nehmen, und bewundern die Familienfotos.
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Es gehe bei den Besuchen immer auch um die „sozialmedizinischen Aspekte“, erklärt Katja Bernhardt: „Wie geht es den Patienten zu Hause, wie werden sie versorgt, fehlt etwas, was brauchen sie?“ Im Fall des Stoppenberger Paars sehen die beiden keine Probleme: „Der Ehemann kümmert sich rührend“, sagt Katharina Salewski. Und beide seien fit und selbstständig genug, um allein zurechtzukommen. Das sieht auch ihre Patientin so: „Wir machen gemeinsam einen Einkaufsplan, mein Mann geht einkaufen, solange ich noch nicht wieder richtig fit bin, und ich übernehme das Kochen“, sagt sie. „Wir passen aufeinander auf.“
Nicht immer stellt sich die Situation bei den Besuchen derart positiv dar. Manchmal würden sie Patienten besuchen, die in völlig verwahrlosten Wohnungen leben, oder zwar den Haushalt perfekt im Griff haben, sich aber nicht mehr um sich selbst kümmern können, erzählt Katharina Salewski. „Die wenigsten bitten aktiv um Hilfe. Sie wollen ihren Angehörigen nicht zur Last fallen, sagen: ‚Das bekomme ich schon hin‘“.
Konzept ermöglicht mehr Zeit für Hausbesuche und Patienten-Gespräche
Noch sind die „Flying Nurses“ Teil eines Projektes, ebenso wie die Patientenlotsen am St. Vincenz, die zum Beispiel bei Hilfsmittel-Anträgen oder der Suche nach Pflegeheimplätzen unterstützen. Als „Add-on“ bezeichnet Katja Bernhardt ihre Arbeit. Doch sie und ihre Kollegin sind überzeugt: Das „Statamed-Konzept“ verbessere die Zusammenarbeit zwischen dem Klinikpersonal und den Haus- und Fachärzten oder Pflegediensten. Außerdem könnten durch die vorbereitenden Besuche und die Nachsorge unnötig lange Klinikaufenthalte vermieden, gleichzeitig aber eine gute Versorgung der Patienten sichergestellt werden. „Wir planen unsere Touren selbst, und haben mehr Zeit als etwa der Pflegedienst“, sagt Katharina Salewski. „Uns fallen Dinge auf, die der Hausarzt gar nicht merken könnte, wenn der Patient sich nach dem Klinikaufenthalt wie üblich nur einmal bei ihm vorstellt.“
Das Stoppenberger Paar jedenfalls ist zufrieden. Von der Schließung des St. Vincenz und einer Neueröffnung hätten sie zwar erfahren, erzählt der Mann, das Ganze aber für eine Privatklinik gehalten, „wo man für alles extra zahlen muss“. Dass es nicht so ist, habe sie positiv überrascht. „Gut, dass der Sanitäter vom Rettungsdienst Bescheid wusste.“
„Statamed“ ist ein Projekt der AOK Rheinland/Hamburg und der AOK Niedersachsen und wird durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert.
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