Essen-Borbeck. Politikerin, Diplomatin, Industriepionierin – und viel zu oft übersehen: Warum der Frauenrat NRW Essens letzte Fürstäbtissin ehrt.
Der Frauenrat NRW hat Schloss Borbeck als „FrauenOrt NRW“ ausgezeichnet – und würdigt mit dieser Ehrung die historische Bedeutung der letzten Essener Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Sachsen (1740-1826). Geboren als Prinzessin von Polen, Litauen und Sachsen leitete sie das Essener Frauenstift 27 Jahre lang, von 1776 bis zur Säkularisation 1803. In dieser Zeit führte sie zahlreiche Reformen durch und prägte mit bemerkenswertem politischem und diplomatischem Geschick die Institution und die Region. Unter ihrer Führung erfuhr auch Schloss Borbeck tiefgreifende Veränderungen, unter anderem ließ sie den Schlosspark in einen englisch-chinesischen Landschaftspark umgestalten.
Ihre Tatkraft und Entschlossenheit, mit der die Fürstäbtissin sowohl familiäre Interessen durchsetzte als auch dem Land „wegweisende Chancen für die Zukunft“ ermöglichte, wie es in einer Stellungnahme der Stadt heißt, hinterließen Spuren, die bis heute sichtbar sind. Und das auch in der Wirtschaftsgeschichte des Ruhrgebiets: Als kluge Geschäftsfrau investierte Maria Kunigunde schon früh privat in mehrere Eisenhütten, so 1787 in die Hütte „Gute Hoffnung“, 1791 in die Eisenhütte „Neu-Essen“. 1796 kaufte sie die Hütte „St. Antony“. Ihre Hüttenanteile verkaufte sie 1805 für 23.800 Reichstaler an die Brüder Haniel, die auch die Hütte „Gute Hoffnung“ erwarben und den Grundstein für die spätere Gutehoffnungshütte legten.
Essen hat jetzt insgesamt vier „FrauenOrte NRW“
Das landesweite Projekt „FrauenOrte NRW“ läuft seit 2023 und will bis Ende 2025 insgesamt 52 historische Frauenpersönlichkeiten in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, die in NRW gelebt und gewirkt haben. In Essen gibt es bereits drei dieser Orte: die Alte Synagoge Essen steht stellvertretend für die Arbeit der Bewegungspädagogin Dore Jacobs, das Haus der Essener Geschichte für die Leistungen der jüdischen Friedensaktivistin Nelli Neumann und der Domschatz Essen für die ottonische Äbtissin Mathilde.
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Mit Maria Kunigunde steht nun eine zweite Essener Kirchenfrau im Fokus. Und mit ihr Schloss Borbeck. Das Essener Kulturamt hatte das Borbecker Wahrzeichen als sogenannten „FrauenOrt NRW“ vorgeschlagen – „und diesem wunderbaren Vorschlag sind wir nach eingehender Prüfung durch unseren ehrenamtlichen Fachbeirat nun sehr gerne gefolgt“, resümiert Projektleiterin Saskia Bellem.
Anja Herzberg, Leiterin des Kulturamtes der Stadt, zeigte sich begeistert: „Es ist für uns eine große Auszeichnung, dass Schloss Borbeck mit seiner wichtigen Frauengeschichte damit seine Anerkennung findet und somit in Essen und darüber hinaus noch sichtbarer wird. Dieses Anliegen auf Landesebene unterstützt zu wissen, ist großartig.“
Auch Susanne Asche, erste Vorsitzende des Borbecker Bürger- und Verkehrsvereins, begrüßt die Ehrung: „Die über 1000-jährige Herrschaft von Frauen in Essen ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in der geschichtlichen Entwicklung deutscher Städte. Mit dieser Auszeichnung wird nun das Wirken einer bemerkenswerten Frau in der vorindustriellen Zeit hervorgehoben.“
Frauenrat NRW
Der Frauenrat NRW wurde 1970 als unabhängiger, überparteilicher und überkonfessioneller Zusammenschluss aus heute rund 50 Frauenverbänden und -gruppen gemischter Verbände gegründet und vertritt mehr als zwei Millionen Frauen in NRW. Ziel ist es, die Gleichberechtigung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern und zu unterstützen.
Das Projekt „FrauenOrte NRW“ wird durch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.
Weitere Informationen unter www.frauenorte-nrw.de
Und genau darauf zielt das Gesamtprojekt ab. Saskia Bellem: „Über die ,FrauenOrte NRW‘ wollen wir die Leistungen von Frauen in und für das Land NRW sichtbar machen. Und das in ihrer ganzen Vielfalt, etwa in den Bereichen Kunst, Handwerk, Bildung und Politik.“ Denn viel zu oft würden diese Leistungen nach wie vor weder gesehen noch wirklich gewürdigt. Bellem: „Nehmen Sie zum Beispiel Straßennamen. Lediglich zehn Prozent aller nach Menschen benannten Straßen in Europa tragen den Namen einer Frau – und die Straße liegt dann meist am Stadtrand oder in einem Neubaugebiet.“
Mehr Sichtbarkeit für die Leistung von Frauen
Mehr Sichtbarkeit für die Leistung von Frauen im öffentlichen Raum: Dieser Zielsetzung kommt das Projekt zum einen über Schautafeln oder Stelen nach, die an den „FrauenOrten NRW“ installiert werden. Zum anderen über eine eigene Website, auf der alle Orte auf einer Karte gesammelt werden. Und das auch über das Ende des Projektzeitraums hinaus, das zunächst bis Ende 2025 geplant ist. Bellem: „Die Tatsache, dass wir für die letzten zehn Orte stolze 63 Bewerbungen bekommen haben, zeigt jedoch, wie groß das Potenzial im Land ist.“ Über eine Verlängerung des Vorhabens wird daher derzeit diskutiert.
Die Informationstafel an Schloss Borbeck soll in den kommenden Monaten angebracht werden. Und sie wird, versichert Bellem, in „leuchtenden Farben“ gehalten sein, um „dieser berühmten Tochter der Stadt auch wirklich die Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum zukommen zu lassen, die ihr gebührt“.
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