Essen. Die Finanzkrise kommt mit voller Wucht zurück, nur mit Mühe gelingt der Stadt der Etat-Ausgleich 2025 – dennoch plant sie eine Offensive.
Sie hatten das Vokabular schon eingemottet: die Klagen über wegbrechende Einnahmen und notwendige Sparrunden, über Leistungen auf dem Prüfstand und dass „ein simples ,Weiter so!‘ auf Dauer nicht finanzierbar“ sei. Denn seit sieben Jahren ist der Essener Stadt-Etat in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen, seit drei Jahren auch die bilanzielle Überschuldung überwunden.
Essen stellt wie früher manches in Frage und sucht neue Antworten
Jetzt kommen sie zurück – die alten Sorgen um städtische Finanzen an der Belastungsgrenze und einen Etat im Krisenmodus. Doch wenn die Stadt an diesem Mittwoch (25. September) in ihrem Zahlenwerk für 2025 und 2026 auch manches in Frage stellt, sie findet zugleich Antworten, die einige überraschen dürften.
Ablesbar ist dies an der Steuerpolitik, denn um den Stadt-Etat des kommenden Jahres mit seinem Volumen von rund 3,9 Milliarden Euro auszugleichen, dreht Essen an mehreren Stellen die Steuerschraube fester. Davon allerdings werden die Bürgerinnen und Bürger allenfalls dosiert etwas merken, denn erhöht werden zunächst nur die Sätze für die Vergnügungssteuer von 19 bzw. 22 auf dann einheitlich 24 Prozent sowie die Zweitwohnungssteuer von derzeit 10 auf 12 Prozent.
Immerhin sieben Millionen soll die Übernachtungssteuer einbringen
Außerdem will die Stadt dem Beispiel vieler Nachbarkommunen folgen und ab Juli 2025 eine sogenannte Bettensteuer für auswärtige Gäste einführen. Während die beiden erstgenannten Steuererhöhungen Mehreinnahmen von etwa 1,3 Millionen Euro bescheren, dürfte die von den Gästen in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen zu zahlende Bettensteuer nach ersten Berechnungen der Stadt immerhin etwa sieben Millionen Euro in die klamme Stadtkasse spülen.
Da mutet es fast widersprüchlich an, dass die Stadt im Gegenzug bei einer ihrer wichtigsten Einnahmequellen den umgekehrten Weg geht: Die Gewerbesteuer soll erstmals seit fast drei Jahrzehnten gesenkt werden, und zwar ab dem Jahr 2026 vom derzeitigen Hebesatz von 480 Prozent auf 475 Prozent im Jahre 2030. Die homöopathisch dosierte Steuerentlastung, geplant in fünf Jahres-Etappen um je einen Prozentpunkt, gilt als Signal in die lokale Wirtschaft, das sich nach Überzeugung von Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp „mittelfristig positiv (...) auswirken wird“.
Dem Kämmerer schwant: Manche Kürzung wird zu Ärger führen
Denn die Wirtschaft schwächelt spürbar. Und die enttäuschenden Konjunkturdaten führen geradewegs zu gedämpften Steuer-Erwartungen: Im kommenden Jahr könne die Stadt Essen nur noch mit Erträgen aus der Gewerbesteuer von rund 513 Millionen Euro brutto rechnen, heißt es. Auch beim Gemeindeanteil an der Einkommensteuer, bei der Umsatzsteuer und bei den Zuschüssen des Landes („Schlüsselzuweisungen“) summieren sich die Ausfälle auf zweistellige Millionensummen gegenüber der bisherigen Planung.
Essens Etat – so geht es weiter
Der jetzt vorgelegte Etat-Entwurf enthält das Zahlenwerk für gleich zwei Jahre, 2025 und 2026, denn erst im Spätherbst kommenden Jahres nimmt der zur Kommunalwahl neugewählte Stadtrat seine Arbeit auf.
In den kommenden Wochen wird der Haushalt in den verschiedenen Fachausschüssen des Rates und den Bezirksvertretungen diskutiert und in Details auch korrigiert. Auch die Steuerpläne müssen dann eine Mehrheit finden. Änderungen im großen Stil sind dagegen unwahrscheinlich.
Die endgültige Verabschiedung des Essener Stadt-Etats ist dann für die Ratssitzung am 27. November geplant.
Die Folge: Es droht eine beachtliche Millionenlücke, der Kämmerer Grabenkamp neben den Steuererhöhungen mit dem Instrument des sogenannten „Globalen Minderaufwands“ begegnet. Es handelt sich dabei um eine Einsparverpflichtung in der Größenordnung von 45 Millionen Euro (2026: 70 Millionen Euro), bei der die jeweiligen Fachbereiche der Stadtverwaltung einen nennenswerten Anteil durch eigenverantwortlich eingestielte Sparmaßnahmen oder zusätzliche Erträge ausgleichen sollen. „Das führt zu viel Ärger“, schwant Grabenkamp schon jetzt, „das will ich nicht verhehlen“.
Ein Vier-Milliarden-Haushalt mit einem Plus an der Nachweisgrenze
Aber nur so gelinge es, die angepeilte „schwarze Null“ im Stadt-Etat zu erreichen, also einen Haushalt, bei dem die Einnahmen die Ausgaben knapp übertreffen. 2025 steht danach unterm Strich ein Plus von 3,4 Millionen Euro, im Jahr drauf sollen es 3,5 Millionen sein, 2027 und 2028 gar nur 14.000 bzw. 19.000 Euro. Bei einem Haushalts-Volumen von dann über vier Milliarden Euro ist das ein Anteil von mickrigen 0,00035 bzw. 0,00047 Prozent. Eine bloße rechnerische Größe, bei einem Etat mit über 10.000 Positionen nicht der Rede wert.
Und doch bietet sie die Chance, das Heft des Handelns nicht aus der Hand zu geben, den eigenen finanziellen Gestaltungsspielraum nicht wie früher höherenorts zur Genehmigung vorlegen zu müssen. Und bei aller Klage, gestalten lässt sich in Essen nach wie vor: 783 Millionen Euro werden allein im kommenden Jahr investiert, davon 215 Millionen in Schulen und Schulsporthallen, 69 Millionen in Straßen, 72 Millionen in die Feuerwehr, 51 Millionen in den Sport und 20 Millionen in den Kita-Ausbau, um nur einige Posten zu nennen.
Immer noch ist die Lösung der Altschulden-Frage in der Schwebe
Dabei schwebt über alledem der hohe Schuldenstand der Stadt: Ins Auge sticht dabei neben 1,6 Milliarden Euro an Investitions-Krediten das nach wie vor gewaltige Volumen an Liquiditätskrediten, also dem städtische „Dispo“. Auch wenn der seit 2017 um fast 900 Millionen Euro gesenkt werden konnte, liegt der Schuldenstand dort noch bei gut 1,5 Milliarden Euro. Und nach wie vor steht die versprochene Lösung für die Altschulden noch aus. Er habe, sagt Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp „absolut kein Verständnis dafür und es macht mich auch wütend“. Zugleich nimmt er die Politik in die Pflicht, die ja den Etat als Ganzes wie auch die detaillierten Pläne, etwa zu den Steuern noch absegnen muss.
Einen größeren Bogen über die Finanzlage hinaus spannt Oberbürgermeister Thomas Kufen, der an die Essenerinnen und Essener appelliert, trotz aller Sorgen und Probleme, Konflikte und Krisen, trotz Meinungsverschiedenheiten und Debatten das Gemeinsame zu suchen. In einer Welt, die im Großen wie im Kleinen aus den Fugen zu geraten scheine, könne eine wohlverstandene Form von Essener Lokalpatriotismus „Halt und Wurzeln“ geben und eine gemeinsame Identität stiften. „Die eigene Stadt zu lieben“, nicht gleichgültig zu werden, sondern vor der Haustür das Leben besser zu machen, „das kann das Band sein, das den Süden genauso umspannt wie den Norden, Osten und West der Stadt“.