Essen. Alarmruf der Kliniken: Gewaltausbruch durch Angehörige eines Patienten im Essener St.Elisabeth-Krankenhaus soll gesetzliche Folgen haben

Nach dem schweren Übergriff auf Klinikpersonal im Essener St. Elisabeth-Krankenhaus werden die Rufe nach härteren Strafen lauter. Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, fordert, dass alle körperliche Gewalt gegen Rettungskräfte, gegen Krankenhauspersonal und andere Helferinnen und Helfer harte Konsequenzen haben müsse. „Es liegt in der Verantwortung der Politik, hier mit einem Mindeststrafmaß von sechs Monaten Haft entschlossen zu reagieren. Diese Übergriffe gegen Menschen, die anderen Menschen helfen wollen, brauchen eine klare Antwort, die heißt: Null Toleranz“, so Blum.

Sechs Mitarbeitende des Krankenhauses sind verletzt worden

Im Essener Elisabeth-Krankenhaus haben Angehörige eines verstorbenen Patienten am Freitag Klinikpersonal angegriffen. Ein medizinisches Team hatte sich am Nachmittag um die Versorgung eines schwerkranken Patienten gekümmert, der trotz aller Bemühungen und Reanimationsversuche verstorben ist. Nach Angaben der Klinik ist es nahezu zeitgleich zu einem unvermittelten Angriff auf das Reanimationsteam gekommen. Sechs Mitarbeitende des Krankenhauses sind verletzt worden, eine 23-jährige Frau sogar schwer. Die Polizei hat einen 41-jährigen Tatverdächtigen türkisch-libanesischer Herkunft festgenommen.

Fordert härtere Strafen: Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen
Fordert härtere Strafen: Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen © Handout | Wilfried Meyer/KGNW

Blum findet angesichts der Tat harte Worte. Es sei nicht nur respektlos, es sei in jeder Hinsicht „verachtend, Pflegekräfte und Ärztinnen oder Ärzte anzugreifen“. Sie haben sich als Beruf und als Berufung gewählt, dass sie Menschen in Not und Krankheit helfen wollen. „Dass sie immer wieder von körperlicher Gewalt und ebenso von psychischer Gewalt – sei es mit Worten oder Gesten – betroffen sind, ist nicht hinnehmbar“, so der Geschäftsführer der Interessensvertretung der rund 330 Kliniken in NRW. 

Am häufigsten ist die Notaufnahme der Tatort

Beschäftigte von Krankenhäusern sind nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft aber immer häufiger von Gewalt, Anfeindungen und Bedrohungen betroffen. In einer Umfrage gaben 73 Prozent der Kranken­häuser an, dass die Zahl der Übergriffe in den Häusern in den vergangenen fünf Jahren mäßig oder deutlich gestiegen ist. In den allermeisten Fällen sind Pflegekräfte von der Gewalt betroffen und am häufigsten ist die Notaufnahme der Tatort. In NRW hat das Landeskriminalamt 2022 über 1500 sogenannte Rohheitsdelikte wie Drohungen oder Nötigungen gezählt, die sich an oder in Einrichtungen wie Krankenhäusern abgespielt haben - 29 Prozent mehr als im Vor-Coronajahr 2019. 2023 wurden über 1700 Delikte gezählt.


Im Essener Elisabeth-Krankenhaus kam es zu einem Großeinsatz der Polizei.
Im Essener Elisabeth-Krankenhaus kam es zu einem Großeinsatz der Polizei. © Justin Brosch

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Den Gelsenkirchener Chefarzt Norman Hecker wundert es nicht, dass die Übergriffe in den Kliniken nicht enden. „Man merkt an allen Ecken und Enden, dass es brodelt. Die Menschen haben eine viel kürzere Zündschnur“, sagt der Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin am Evangelischen Klinikum Gelsenkirchen. Oft reichten schon leichte emotionale Auslöser. „Und in der Notfallmedizin geht es oft um starke emotionale Auslöser. Da verlieren die Leute schneller die Kontrolle. Und wir beobachten generell einen deutlichen Verlust an Respekt vor Helfern.“

Nach der Schicht haben sie ihr auf dem Weg zum Parkhaus aufgelauert

Insbesondere Beinahe-Übergriffe würden mehr. Hecker berichtet von einem Moment im Schockraum der Gelsenkirchener Notaufnahme, in dem eine ganze Gruppe von Angehörigen die Arbeit der Fachkräfte behindert habe. Eine Pflegekraft habe die Angehörigen ermahnt. Sie hätten die Frau nicht nur beleidigt. „Nach der Schicht haben sie ihr auf dem Weg zum Parkhaus aufgelauert.“ Passiert sei zum Glück nichts, weil sie nicht allein gewesen sei. „Es ist aber doch perfide, dass gerade die, die Menschenleben retten wollen, Übergriffe, Bedrohungen und Anfeindungen erleben“, sagt Hecker.

In Gelsenkirchen sind einige Gegenmaßnahmen ergriffen worden, darunter Deeskalationstrainings, ein offensiver Umgang mit dem Problem und ein neues Türensystem, mit dem Aggressoren innerhalb der Notaufnahme aufgehalten werden. Zweimal habe man das bereits nutzen müssen, um zerstrittene Gruppen zu trennen, so Hecker. Insgesamt sei die Zahl der Gefahrenmeldungen aus dem Team der Notaufnahme zurückgegangen, auch habe er den Eindruck, dass Kolleginnen und Kollegen Anfeindungen nicht mehr so sehr an sich heranließen. „Aber wir haben auch erst Sommer, der ist immer etwas entspannter“, sagt Hecker.

Pflegende müssen geschützt werden

Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer NRW, hält viel von solchen systemischen Maßnahmen. „Gewalt ist ein zunehmendes Problem, auch auf den regulären Stationen in den Kliniken und sogar in der ambulanten Pflege. Pflegende müssen geschützt werden, und da sind Klinikleitungen in der Pflicht.“ So wisse man sehr genau, dass eine Überfüllung der Notaufnahme und das Gefühl von Patienten, nicht gesehen zu werden, Situationen eskalieren ließen. Dem könne man durch Umbauten und Schulungen vorgreifen.

Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer, fordert Gegenmaßnahmen.
Sandra Postel, Präsidentin der Pflegekammer, fordert Gegenmaßnahmen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

„Den Übergriff in Essen verurteilen wir aufs Schärfste und fordern null Toleranz gegen jede Form von Gewalt“, so Postel. „Jetzt muss erst einmal die Straftat verfolgt werden und unsere Aufmerksamkeit den Opfern gelten.“ Nötig sei aber in einem zweiten Schritt, über Gegenmaßnahmen zu sprechen. Dazu gehöre auch eine Meldestelle, an die sich betroffene Klinikkräfte wenden können. „Wir haben keinen validen Überblick, da ist bislang zu wenig passiert.“ Wenig hält Postel von Kameras oder sogar Bodycams für Pflegefachpersonen, die anderswo diskutiert würden.

Kampfsport-Training für das Klinikpersonal

Vielerorts reagieren die Kliniken bereits. Es gibt Diensthandys mit Notruftaste, Gegensprechanlagen an den Notaufnahmen, mancherorts auch Wachpersonal, das die Kliniken aus eigener Tasche zahlen müssen. Und die Häuser werden offensiver. Sie schützen ihr Personal nicht nur, sondern schulen es in Verteidigungsstrategien. Die Berliner Kliniken des Deutschen Roten Kreuzes bieten ihrem Personal seit September Kampfsport-Training an, ähnliche Angebote gibt es in NRW. Inzwischen gibt es sogar Kampfsportschulen, die gezielt Selbstverteidigungskurse für Personal in Arztpraxen oder Kliniken anbieten. Die Nachfrage sei hoch, heißt es auf den Internetseiten von den Anbietern.