Essen. In Essen wird im Juni 2019 der silberne Mercedes (550 PS) verkauft, der fünf Monate später eine Schlüsselrolle beim Dresdner Juwelendiebstahl spielt.
Der Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden zählt zu den spektakulärsten Fällen der deutschen Kriminalgeschichte. Im November 2019 dringen sechs Männer des berüchtigten Berliner Remmo-Clans in das Dresdener Schloss ein und erbeuten Juwelen im Wert von mehr als Hundert Millionen Euro. Die Flucht in die Hauptstadt gelingt den mittlerweile verurteilten Staatsschatz-Dieben in einer silbernen Mercedes E-Klasse mit 550 PS. Das Besondere an der Luxuskarosse aus Ruhrgebiets-Perspektive: Der Kauf des Fluchtwagens für die Einbrecher des Remmo-Clans war fünf Monate vor dem Millionen-Coup in Essen über die Bühne gegangen, genauer gesagt in Kray.
Der Essener Autoverkäufer fädelt das Geschäft als Freundschaftsdienst für eine „gute Bekannte“ ein
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Der Mann, der den Autoverkauf im Juni 2019 als Freundschaftsdienst für eine gute Bekannte einfädelt, ist ein Essener und in Stoppenberg zuhause. Im Gespräch mit dieser Zeitung berichtet er jetzt zum ersten Mal über Details dieses kriminalistisch brisanten Geschäftes. Und er erklärt, was an dem Mercedes, der eine Schlüsselrolle in dem Dresdner Jahrhundertcoup spielte, so besonders ist.
Allein schon die technischen Daten haben es in sich: Die Mercedes E-Klasse, Baureihe W212, hat 550 PS, 890 Newtonmeter Drehmoment und ist abgeriegelt auf 320 km/h. Die Karosse hat schwarze Ledersitze, aber keine breiten Reifen und tiefergelegt ist sie auch nicht. Rein äußerlich betrachtet also recht unauffällig. Kein Vergleich zu den protzigen AMG- und Lamborghini-Boliden, mit denen libanesische Clan-Mitglieder in Essen gerne posen. „Ein Wolf im Schafspelz“, sagt der Essener, Jahrgang 1950, der nicht mit Bild und Namen erwähnt werden möchte. „Schreiben Sie einfach: ein Autohändler aus Stoppenberg.“
Einige Details aus seinem schillernden Privatleben gibt er dennoch preis. So erzählt er gerne, dass schnelle Autos seit jeher sein Hobby gewesen seien. Schon mit 30 habe er am Steuer seines eigenen Rolls-Royce gesessen. „Und später dann ein Ferrari.“ Aktuell fahre er mit einem 3er-BMW durch Essen. „440 PS und 800 Newtonmeter“, fügt er augenzwinkernd hinzu.
„Wolf im Schafspelz“: 550 PS, 890 Newtonmeter Drehmoment und auf 320 km/h abgeriegelt
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Das Handy des Esseners ist voller Privatfotos, von denen er einige ebenfalls gerne zeigt. Sie zeigen ihn in jungen Jahren braungebrannt beim Ibiza-Urlaub am Strand in reizender Gesellschaft. Bis zu den Hüften im Mittelmeer stehend posiert er mit Bikini-Schönheiten, die er auf den Armen trägt. „Ich hatte ein Luxusleben“, fügt er hinzu.
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Den folgenschweren Verkauf der Mercedes E-Klasse habe er vor fünf Jahren im Auftrag einer „guten Bekannten“ übernommen. „Der Mercedes gehörte ihr, sie hat ihn zwei Jahre gefahren und hat gut 50.000 Kilometer zurückgelegt.“ Nach Informationen dieser Zeitung hat die Autobesitzerin im Rotlicht-Gewerbe des Ruhrgebiets zu tun. Der hochmotorisierte silberne Schlitten, so möchte man hineininterpretieren, dürfte den Status der schillernden Geschäftsfrau unterstreichen.
Extravagant ist allein schon die Fußraumbeleuchtung des 500ers, die je nach Stimmung von Rot auf Blau wechselt. Ebenfalls auffällig sind die silbernen Fünf-Arm-Doppelspeichenfelgen. Die Berliner Publizisten Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer (Spiegel-TV) haben sich intensiv mit dem Dresdener Juwelendiebstahl befasst und darüber den Bestseller „Der Jahrhundertcoup“ (DVA, 352 Seiten, 24 Euro) geschrieben. Sie sprechen von einem „Adrenalin-Geschoss“ und der Essener Autoverkäufer formuliert es so: „Die Karre ging ab wie ein Flugzeug.“
Der Käufer zahlt die 18.900 Euro in 100 Euro-Scheinen - ohne Probefahrt und ohne Vertrag
Der Verkauf sei ein „reiner Freundschaftsdienst“ gewesen und für ihn ein leichtes Spiel, fährt der Mann aus Stoppenberg fort. Er ist im Autohandel mit allen Wassern gewaschen, lange Zeit hatte er sich auf Wagen spezialisiert, die nicht mehr über den TÜV gegangen waren. Die Wagen in Einzelteilen zu verscherbeln habe sich sogar als weitaus lukrativer erwiesen. Der silberne Mercedes 500 ist im Juni 2019 bereits abgemeldet gewesen, er steht damals vor einem Wohnhaus in Essen-Kray.
Das Inserat bei mobile.de („Mercedes-Benz E500 Bi Turbo 4matic“) weckt auf Anhieb Interesse, ein Anrufer aus Dresden habe sich gemeldet. Das Geschäft sei per Internet und Telefon abgewickelt worden, man wird schnell handelseinig. Verkäufer und Interessent treffen sich bei 18.900 Euro. Der Anrufer kündigt an, einen Mann vorbeizuschicken, der tatsächlich vorbeikommt. Es ist der 17. Juni 2019, ein Montag. „Ich habe ihn in meinem Bentley am Essener Hauptbahnhof abgeholt.“ Der Essener zeigt ein Handyfoto des „Bentley Continental“ und gerät ins Schwärmen: „700 PS - ein Traum in Taubenblau.“
Der gekaufte Wagen bleibt noch einige Stunden in Kray stehen, dann ist er weg
Der Entsandte sei ein junger Mann Anfang 20 gewesen. „Er sprach kaum Deutsch.“ Probefahrt gefällig? Der Mann habe den Kopf geschüttelt und die 18.900 Euro anstandslos in bar gezahlt - „alles in Hunderter-Scheinen“. Kaufvertrag? Auch dies verneint der vorgeschickte Käufer. Es dauert nicht lange, da wechseln auf der Straße in Kray Auto, Kfz-Brief, Kfz-Schein und Autoschlüssel den Besitzer.
Der Deal ist perfekt, die Remmos in Berlin haben den Fluchtwagen für ihren geplanten Jahrhundertcoup. Doch anstatt mit dem soeben gekauften Wagen abzurauschen, lässt sich der Käufer in der Mittagszeit im schicken Bentley wieder zurück zum Essener Hauptbahnhof kutschieren. „Den Wagen hat er stehenlassen, erst ein paar Stunden später war er dann weg.“
Monate später, am 25. November 2019, hat die silberne Mercedes 500-Limousine aus Essen-Kray dann ihren großen Auftritt: Mit einem Taxischild auf dem Dach und den erbeuteten Juwelen August des Starken an Bord brettern die Remmos über die Autobahn 13 von Dresden nach Berlin - und entkommen zunächst unerkannt.
Per Zufall findet die Berliner Polizei den Fluchtwagen - und die Verbindung nach Essen
Doch dann begeht die Bande einen folgenschweren Fehler. Der Essener Flucht-Mercedes wird gut drei Wochen nach der Tat am 17. Dezember 2019 von der Berliner Polizei per Zufall sichergestellt. Und die Kriminaltechnische Untersuchung bringt die Fahnder auf eine Spur, die immer heißer wird. Denn sie entdecken im Innenraum die DNA von zwei Remmos. Von Remmos, die 2023 wegen des Dresdner Juwelendiebstahls verurteilt werden.
Es dauert nach der Entdeckung der Remmo-Spur nicht lange, da stehen die Ermittler auch beim Essener Autoverkäufer auf der Matte. Anhand der Fahrzeugnummer finden die Ermittler schnell heraus, dass der Fluchtwagen vorher in Essen gestanden hatte. „Meine Bekannte und ich haben zig Vorladungen erhalten“, berichtet der Essener. Etliche Mal habe man aussagen müssen. Auch seinen schicken taubenblauen Bentley muss er vorübergehend abgeben, er wird von der Kriminaltechnik auf DNA-Spuren untersucht. Und die Frage lautet: War der junge Autokäufer am 17. Juni 2019 nur ein Handlanger oder möglicherweise doch ein Remmo?
Die Berliner Remmos und die Essener Remmos
Ist es ein Zufall, dass die Berliner Remmos ihren Fluchtwagen in Essen besorgt haben? Diese Frage drängt sich auf, zumal die verwandtschaftlichen Bande zwischen dem Berliner Remmo-Clan und ihren Essener Verwandten sind eng. Wenn schwere Limousinen mit Berliner Kennzeichen und getönten Scheiben durch Essen rollen, findet wahrscheinlich in einem der großen Essener Festsäle wieder eine Hochzeit statt. Eheschließungen, aber auch Beerdigungen sind immer Anlass für nationale Sippentreffen.
Essen ist genauso wie Berlin eine Hochburg der Clankriminalität. In den Lageberichten des Düsseldorfer LKA zur Clankriminalität taucht der Name Remmo immer wieder auf. Die Berliner Remmos, so heißt es, eilen aber auch schon mal an die Ruhr, wenn ihre „Brüder“ Ärger mit anderen Clans haben und Hilfe benötigen.
So wie möglicherweise am 4. Juli 2019: keine drei Wochen nach dem verschleierten Kauf des Fluchtwagen-Mercedes. An diesem Tag halten sich zwei Berliner Remmos in Essen auf, die vier Monate später in das Dresdner Schloss einsteigen und die Juwelen stehlen werden. Der eine ist dafür im Mai 2023 zu einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verurteilt worden, der andere bekam fünf Jahre aufgebrummt.
Berliner Remmos zu Besuch: Polizei kontrolliert bei Razzia im Chocolate im Juli 2019 zwei spätere Juwelendiebe
Die beiden Remmos werden an besagtem 4. Juli im Rahmen einer großangelegten Clan-Razzia in der polizeibekannten Shisha-Bar „Chocolate“ auf der Kastanienallee kontrolliert. Der Inhaber der Bar ist ihr Cousin. In jenen Tagen sorgt ein brutales Video für eine aufgeheizte Stimmung in der Stadt. Es zeigt, wie ein wehrloses Mitglied des Essener Remmo-Clans, der Sohn des Bar-Besitzers, auf einem Altendorfer Schulhof von einer Gruppe Gleichaltriger übelst verprügelt wird. Es ist deutlich zu sehen, wie einer nach dem anderen gegen den Kopf des jungen Remmo tritt, so als handele es sich um einen Fußball. Die Polizei befürchtet damals eine Eskalation unter rivalisierenden Clans.
Es gibt zur Berlin-Essen-Connection der Remmos Mutmaßungen, aber zumindest in punkto Fluchtwagen nichts Konkretes.
Ende Januar 2022 gehen die Fahnder in Essen einer vermeintlich heißen Spur im Juwelenraub nach, sie durchsuchen ein Haus in Bredeney. Jedoch ohne Ergebnis.
„Das musste sein, die Sache in Dresden war ja kein Eierdiebstahl.““
Auch der Essener Autoverkäufer und seine Bekannte können den Ermittlern nichts Belastendes an die Hand geben. „Mir sind damals jede Menge Fotos von Personen vorgelegt worden.“ Aber eine interessante Spur habe sich daraus nicht ergeben. Der Käufer mit den Hundert-Euro-Scheinen, erinnert sich der Mann aus Stoppenberg noch, sei ein „Typ syrischer Flüchting“ gewesen.
Auf den Wirbel um den berühmt gewordenen Fluchtwagen reagiert der Essener gelassen. Er sei eben zufällig in die Sache hineingeraten, aber eine Randfigur in diesem Jahrhundert-Krimi geblieben. Er kann glaubhaft versichern, nichts mit dem Remmo-Clan zu tun zu haben. Die Vernehmungen durch die Polizei habe er, nun ja, ohne zu murren über sich ergehen gelassen: „Das musste sein, die Sache in Dresden war ja kein Eierdiebstahl.“
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