Essen. Seit Freitagfrüh sind weite Teile von Essen-Rüttenscheid abgeriegelt. Über die Straßen legt sich eine Ruhe, die Viele für trügerisch halten.

Um 9.45 Uhr öffnet eine blonde Frau ein Fenster ihrer Erdgeschosswohnung an der Alfredstraße und lehnt sich entspannt auf die Fensterbank. „So eine Ruhe gab es hier noch nie“, sagt sie. „Normalerweise muss ich sofort das Zimmer verlassen, wenn ich das Fenster öffne, wegen des Lärms.“

Die B 224 (40.000 Autos täglich) ist seit sechs Uhr früh zwischen A52 und Martinstraße komplett für Autos und Motorräder gesperrt. Genau wie die Rüttenscheider Straße und die gesamten südlichen Wohnquartiere von Rüttenscheid, die nahe der Grugahalle liegen. Über die Straßen legt sich eine seltsame Ruhe, die viele für trügerisch halten an diesem Tag.

Polizeiband flattert an einem Gehweg an der Essener Alfredstraße.
Polizeiband flattert an einem Gehweg an der Essener Alfredstraße. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

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Viele haben Angst, dass es zu Ausschreitungen kommt. Auch, wenn diese Angst nicht direkt ausgesprochen wird. Nachbarn, die ihren Plausch vor der Haustür beenden, sagen an diesem Tag: „Hoffentlich geht alles gut.“ Ein Satz, der häufig fällt an diesem ungewöhnlichen Freitag, lautet: „Das ist nur die Ruhe vor dem Sturm.“ Denn niemand weiß, was am Samstag wirklich passieren wird.

100 Autos aus der Sperrzone in Rüttenscheid abgeschleppt

Polizisten erkunden die Wohnquartiere rund um die Grugahalle in Essen. Wegen ihres eng bebauten Umfelds gilt die Halle als denkbar schlechter Ort für mögliche Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Autonomen und den Einsatzkräften.
Polizisten erkunden die Wohnquartiere rund um die Grugahalle in Essen. Wegen ihres eng bebauten Umfelds gilt die Halle als denkbar schlechter Ort für mögliche Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Autonomen und den Einsatzkräften. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Seit 6 Uhr stehen an 45 Stellen im Stadtteil Polizisten und Einsatzkräfte der städtischen Firma RGE. Durchgelassen werden nur noch jene Auto- und Motorradfahrer, die nachweisen können, dass sie vor Ort wohnen oder arbeiten. Von bedeutenden Diskussionen oder gar Eskalationen an einem der Sperrungsposten wird bis in die Nachmittagsstunden nichts bekannt. Offenbar haben die Rüttenscheider auch bis Freitagfrüh brav ihre Autos weggestellt, denn weite Teile der Sperrzonen wurden auch zu Halteverbots-Zonen erklärt. Allein auf der Alfredstraße wird in der Nähe der Grugahalle am Vormittag noch ein Geländewagen aus einer Parkbucht gezogen. Insgesamt stellt das Ordnungsamt bis Freitagnachmittag 100 solcher Verstöße fest, was bei mehr als 30.000 Einwohnern in Rüttenscheid verschwindend wenig ist.

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Grundsätzlich ist es erstaunlich, wie wenig Verkehrsprobleme entstehen angesichts der vielen Sperrungen; nur wenige Autofahrer halten an den großen Barrieren auf der Alfredstraße und müssen umdrehen, die meisten Leute haben es dann wohl doch vorher mitbekommen. Die meiste Wut an diesem Vormittag hat vermutlich Nicole Strohschenk aus Heiligenhaus: Sie steht nämlich gegen 11 Uhr vor einer verschlossenen Arztpraxis an der Girardetstraße. „Jetzt fällt mein Termin aus, und keiner hat mir Bescheid gesagt. Und das wegen so einem Mist wie der AfD.“ Jetzt muss sie mehr als einen Kilometer mit ihrem kaputten Fuß zurück zum Parkplatz des Krupp-Krankenhauses humpeln, einen näher gelegenen Parkplatz hat sie wegen der Sperrungen natürlich nicht bekommen.

Polizeiwagen bestimmen das Bild im Stadtteil Rüttenscheid.
Polizeiwagen bestimmen das Bild im Stadtteil Rüttenscheid. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Es schließt nicht nur die Arztpraxis an der Girardetstraße, es schließt auch das eine oder andere Geschäft auf der Rüttenscheider Straße; die Zahl der heruntergelassenen Jalousien hält sich an diesem Freitag allerdings in engen Grenzen. Auffällig ist nur, dass eine Secondhand-Boutique ihre Schaufenster mit Holz verbarrikadiert hat. Aber das liegt daran, dass dieses Geschäft bis zum Jahr 2020 von Stefanie Brecklinghaus betrieben wurde, einer AfD-Ratsfrau.

Und während es an der Alfredstraße, direkt vor der Grugahalle, so leise ist, dass man das Flügelschlagen der Tauben hört, die in den Himmel steigen, fahren aufsehenerrende Gefährte vor: Polizisten lenken hausgroße Wasserwerfer-Fahrzeuge und Räumpanzer, die bedrohlich aussehen, über die Rüttenscheider Straße. Über den Grugaplatz und dann direkt zur Halle. Dort, wo am Samstag hoffentlich alles gut gehen wird.

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