Essen. Die Zeit war knapp, aber alles steht an seinem Platz, vom Küchenzelt bis zum Dixi-Klo. Die Demonstranten trudeln im Essener Protestcamp ein.
Der ältere Herr mit Sonnenhut wundert sich doch sehr, als er zur Mittagszeit am Rande des Hörsterfeldes seines Weges geht: „Was wird das denn?“, fragt er und zeigt herüber auf eine weitläufige Wiese, wo junge gerade Leute ein Zirkuszelt aufbauen.
Nein, der Zirkus ist nicht in der Stadt. Auf der Wiese am Rande der Stadt entsteht das „Camp gegen Rassismus“, aus Protest gegen die AfD, die am Wochenende ihren Bundesparteitag in der Grugahalle abhält. 600 Delegierte kommen dafür nach Essen. Und voraussichtlich Tausende, wenn nicht Zehntausende Gegendemonstranten. Was er davon hält? „Protest gegen Rechts finde ich gut“, sagt der ältere Herr und setzt seinen Spaziergang fort. Aber es gibt auch andere Stimmen. Derweil trudeln immer mehr Aktivisten auf dem Gelände ein.
Protestcamp in Essen: Organisatoren mussten nach Gerichtsurteil umdisponieren
Am Mittwochabend (26.6.) haben die ersten ihre Zelte am Hörsterfeld aufgeschlagen. Wenige Stunden zuvor hatte das Oberverwaltungsgericht Münster in letzter Instanz die Entscheidung der Polizei bestätigt, wonach das Löwental in Werden kein geeigneter Ort sei für ein Protestcamp mit mehreren tausend Teilnehmern. Die Organisatoren des Camps mussten also umdisponieren.
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Als Alternative war ihnen die 25.000 Quadratmeter große Freifläche in Steele-Horst nahe der Stadtgrenze zu Bochum angeboten worden. „Wir haben uns diese Fläche nicht ausgesucht“, sagt Johannes, der sich um Anfragen der Medien kümmert. Nun gelte es, mit der Entscheidung des Gerichtes pragmatisch umzugehen.
Augenscheinlich war man darauf vorbereitet. Schlafsack, Zelt und Iso-Matte mag jeder in Keller oder Garage haben. Doch für den Aufbau eines Camps, das mehren tausend Teilnehmern einen Platz bietet, braucht es mehr als das.
Protestcamp in Essen: Anfangs sind es 50 Helferinnen und Helfer, die beim Aufbau mit anpacken
Noch sind es vielleicht 50 Helferinnen und Helfer, die mit anpacken, meist sind es junge Leute, zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt. Man duzt sich und geht freundlich miteinander um. Viele engagieren sich gegen Rechts, für den Klimaschutz oder in einer anderen sozialen Bewegungen. „Wir sind gut vernetzt“, erläutert Johannes.
Das klingt so, als genügte ein Aufruf in den sozialen Medien und ein paar Whatsapp-Nachrichten, um für eine gemeinsame Sache zu mobilisieren. Tatsächlich bedarf es einer möglichst reibungslos funktionierenden Logistik. So transportieren Lkw diverses Equipment heran, während ein geländegängiger Radlader Paletten von A nach B transportiert.
„Früher dauerte so Aufbau mehrere Tage“, erzählt Peter, der aus der Eifel angereist ist. Diesmal muss das Camp binnen 24 Stunden stehen. Und an alles will gedacht sein. An Propangasflaschen fürs Küchenzelt und an genügend Klopapier. 120 Toiletten wollen aufgebaut werden, dazu barrierefreie Duschen und genügend Waschgelegenheiten. Noch sitzt nicht gleich jeder Handgriff, mancher Waschbottich wirkt noch arg wackelig. Aber irgendwann steht sogar das Zirkuszelt, das nicht etwa zum Übernachten dient, sondern als Ort, an dem man zusammenkommt.
Finanziert wird das Ganze von den Protest-Campern. Johannes sammelt das Geld ein, maximal 30 Euro von jedem. Wenn jemand nichts gibt, sei das auch in Ordnung.
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Die Organisatoren des Essener Protest-Camps erwarten bis zu 4000 Teilnehmer
Und wer wird einziehen ins Protest-Camp? 2000 bis 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden erwartet. Das gefällt nicht jedem, der in der Nähe wohnt. Er habe nichts gegen den Protest, sagt ein Spaziergänger. Von der Stadt fühle er sich nicht informiert. „Das ging alles Knall auf Fall.“ Und leider sei für das Camp eine Wildblumenwiese abgemäht worden, bedauert er.
Ein anderer Mann, der mit einem großen Hund des Weges kommt, trägt ein T-Shirt einer in der rechten Szene beliebten Streetweare-Marke. Mit seinem Handy macht er Fotos von den Zelten und den Aktivisten. Als ihn einer aus dem Orga-Team darauf anspricht, entgegnet er, es sei sein gutes Recht, zu fotografieren, schließlich sei das eine öffentliche Veranstaltung. „Ich will euch hier nicht haben“, sagt er noch, gefolgt von einem: „Verpiss dich.“ Die Polizei ist vor Ort und hat ein Auge auf das Lager und das Geschehen.
Am nächsten Morgen steht das Camp dank vieler Hände, die mit angepackt haben „Sie haben es gerockt“, heißt es anerkennend aus dem Orga-Team. Neben dem Zirkuszelt haben sie noch mehrere große Zelte aufgebaut, die sind fest verankert und sollten auch Sturm, Wind und Regen trotzen. Am Mittag verheißt der Wetterbericht für den nächsten Tag nichts Gutes. Noch ist der Himmel himmelblau. Die Stimmung ist gelöst. Allein der Polizeihubschrauber, der über dem Camp eine Schleife dreht, stört. „Das geht dreimal am Tag so“, klagt Johannes.
Bis zum Mittag haben sich etwa 350 Aktivisten auf dem Gelände im Essener Hörsterfeld eingefunden
Derweil kommen immer mehr Aktivisten an, in kleinen Gruppen oder allein wie Maria. Sie kommt vom Fusion Festival aus Mecklenburg-Vorpommern und ist gleich durchgefahren nach Essen. Auf dem Rücken trägt sie einen großen, schweren Rucksack. Die junge Frau sieht erschöpft aus. „Der Weg hierher war anstrengend“, erzählt sie. Ihr Eindruck: „Es sieht schon so aus, als hätte man uns bewusst Steine in den Weg gelegt.“ Zur Stärkung gibt es Pizza frisch aus dem Ofen.
Otto und Jenna haben ihr Zelt schon aufgebaut. Sie sind aus Niedersachsen angereist. Nun ruhen sie sich in der Sonne aus. Dem Protestzug zur Grugahalle blicken beide optimistisch entgegen. Er hoffe, dass es gelingen wird, „der AfD den Tag zu vermiesen“, sagt Otto. Es gehe auch darum zu zeigen, dass es etwas bringt, sich zusammenzuschließen. „Der morgige Tag bietet Potenzial dafür“, ist er überzeugt.
Am Info-Point nimmt Johannes weitere Neuankömmlinge in Empfang. Etwa 350 Demonstranten dürften sich inzwischen am Rande des Hörsterfeldes eingefunden haben. Auf der Wiese ist noch reichlich Platz, wie auch auf dem Flipchart, auf dem man sich für den Küchen- und den Toilettendienst eintragen kann. Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen, gibt es einen wichtigen Hinweis auch in englischer Sprache: „No Kitchen shift after Shitbrigade!“. Oder: „Wenn du eine Klo-Schicht gemacht hast: keine Küche.“
Im Laufe des Sonntags werden die Demonstranten ihre Zelte wieder abbrechen. Die Grünfläche wollen sie so verlassen, wie sie sie vorgefunden haben. „Das ist der ökologische Anspruch“, sagt Dieter.
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