Duisburg. Seit 20 Jahren ist Michael Steindl Schauspiel-Intendant in Duisburg. Ist das nicht frustrierend, in einem Haus ohne eigenes Ensemble und eigene Produktion?
Zufrieden sei er auf jeden Fall mit den vergangenen 20 Jahren, sagt Michael Steindl, und grinst. „Es war gut, an ein runtergerocktes Haus zu kommen“, und das meint der Intendant des Duisburger Schauspiels nicht so böse, wie es vielleicht klingen mag. Am 2. November macht Steindl die 20 Jahre als Intendant voll, als Chef eines Schauspiels ohne eigenes Ensemble und eigene Produktion – zumindest im klassischen Sinne.
Zwei Jahrzehnte in einer Position, an einem Haus, das ist bei Intendanten, bei Generalmusikdirektoren, bei anderen kreativen Leitungsposten eher ungewöhnlich. „Das war auch meine erste Überraschung hier“, erinnert sich Michael Steindl, „dass ich ja bei der Stadt angestellt bin, unbefristet. Aber als Vater von drei Kindern ist das natürlich auch ein Vorteil, so lange an einem Ort bleiben zu können.“
Aus der „vagabundierenden Lehrerfamilie“ ans Theater
Dabei wurde ihm eigentlich ein gegenteiliges Modell in die Wiege gelegt. Der 58-Jährige wurde in Traunstein in Bayern geboren, allerdings in eine „vagabundierende Lehrerfamilie“, wie er selbst sagt. „Wir sind oft umgezogen. Das passt dann wieder, bei Schauspielern spricht man ja oft von ‚fahrendem Volk‘. So aufzuwachsen, hat mich Flexibilität gelehrt.“
Seine Ausbildung zum Dramaturgen absolviert er in Ulm, es folgt ein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Frankfurt bei Hans-Thies Lehmann. Unter der Intendanz von Jürgen Bosse arbeitete er ab 1998 als Dramaturg am Grillo-Theater in Essen. „Als Jürgen Bosse dann sagte, dass er zwischen 2003 und 2005 seine Intendanz beenden wird, war mir klar, dass ich mich umgucken muss. Es ist sehr unüblich, dass ein neuer Intendant das alte Dramaturgenteam übernimmt.“
Aussicht auf den Intendanten-Posten: „Was soll ich denn in Duisburg?“
Als über Essener Verbindungen die Intendanten-Stelle in Duisburg ins Spiel kommt, stellt sich Michael Steindl eine nachvollziehbare Frage: „Was soll ich denn in Duisburg, hab ich mir gedacht, die produzieren ja gar nicht. Das Vorstellungsgespräch habe ich trotzdem mitgenommen, ich wollte es als eine Art Übung sehen. Aber dann ging es darum, in Duisburg einen Jugendclub zu gründen, wie ich ihn schon in Essen betreut habe.“
Und dann war da noch das Foyer III. Der kleinste, der atmosphärischste Saal des Theaters besiegelte schließlich Michael Steindls berufliches Schicksal. „Ich wurde hier durch die engen Gänge geführt, die wollten gar nicht mehr aufhören. Aber dann kam das Foyer III und es war um mich geschehen.“
„Das Schönste am Beruf sind die Menschen“
Seit jenem Tag im Jahr 2004 ist die Kammer unter dem Dach mit ihren nackten Backsteinmauern das Zuhause des Jugendclubs „Spieltrieb“, den Steindl gegründet hat. Bis heute ist der Jugendclub ein Höhepunkt in seiner Duisburger Zeit, sagt der Intendant, der sich ja auch um Gastspiele und das Theaterfestival Akzente kümmert. „Wobei die wahren Höhepunkte, das Schönste an diesem Beruf, für mich immer die Menschen waren und sind. Die großen Bögen, die sich gespannt haben, von Leuten, die ich in Essen kennengelernt habe, als Mitglieder des Jugendclubs dort. Die sind heute Regisseure, Kostümbildner und mehr hier im ‚Spieltrieb‘. Oder Kai Bettermann, den ich noch aus Ulm kenne. Oder die Freundschaften, die im ‚Spieltrieb‘ entstanden sind.“
Apropos „Spieltrieb“, da muss Steindl wieder grinsen. „Es hat sich natürlich schon etwas verändert. In den letzten Jahren siezen die Teilnehmer mich plötzlich.“ Der Intendant grübelt. „Ich habe mich aber auch verändert. Früher haben wir hier teilweise elf Stunden geprobt. Mittlerweile denke ich mir aber: vier Stunden tun’s doch auch.“
Kein Ensemble, aber dafür große Freiheit
Keine Reue also, nach 20 Jahren ohne eigenes Ensemble? Michael Steindl kratzt sich am Kinn, aber braucht nicht lange, um zu antworten. „Reue nicht, nein. Natürlich habe ich immer mal wieder überlegt, ob ich Dinge versäumt habe, ob ich Dinge noch weiter hätte vorantreiben müssen, ob ich mich zu sehr arrangiert habe. Aber es war gut, an ein runtergerocktes Haus zu kommen – und das Schauspiel war 2004 wirklich runtergerockt.“
„Es war gut, an ein runtergerocktes Haus zu kommen“
Das bedeutete aber eben auch: große Freiheit. Gerade für den „Spieltrieb“, dank dem das Duisburger Schauspiel ja doch so etwas wie eine eigene Produktion hat. Die Probleme will Michael Steindl trotzdem nicht wegargumentieren. „Über Gastspiele wird ja zum Beispiel erst geschrieben, wenn das Gastspiel schon wieder weg ist. Und Mundpropaganda funktioniert natürlich auch nicht, wenn es nur einen Termin gibt, an dem das Stück zu sehen ist.“
Theater in Zeiten von Netflix: „Live-Moment ist nicht totzukriegen“
Michael Steindl schmunzelt wieder. „Hat aber auch Vorteile. Wenn ich den Schauspielern von Gastensembles in der Kantine so zuhöre. Schauspieler sind Rennpferde, und jeder will laufen. Da kommt dann Shakespeare auf den Plan und nur einer kann Hamlet sein. Dann ist einer glücklich und zwölf sind stinkig.“
Bleibt zum Abschluss noch eine ganz große Frage: Was kann Schauspiel im Zeitalter von Netflix noch bieten? Oder, fieser gefragt, braucht es Schauspiel heute noch? Die Antwort hat Michael Steindl schnell parat, mal wieder. „Dieser Live-Moment ist nicht totzukriegen. Schauspiel kann die Zuschauer emotional packen. Da muss man sich nur mal nach einer Spieltrieb-Aufführung an die Tür stellen und die Leute beobachten: Mit denen ist etwas passiert.“
Bis zur Rente in Duisburg? So will Michael Steindl weitermachen
Außerdem, sagt Steindl, gebe das Schauspiel dem Zuschauer den Blick nicht vor, anders als das Kino. „Aber beim Schauspiel reagieren viele Leute piksiger als beim Kino. Wenn der Film nicht gefallen hat, stellt ja keiner die Institution Kino infrage, sondern den Film. Das ist beim Schauspiel oft anders.“ Ja, gibt Steindl zu, das Theaterpublikum sei vielleicht nicht das jüngste und hipste. „Aber seit ich mich mit Theater beschäftige, seit 1989, wird das Theater totgeschrieben. Und es ist immer noch da.“
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Und Michael Steindl auch, 20 Jahre nach seinem Startschuss in Duisburg. Bleibt er denn, bis zur Rente? Der Intendant grinst mal wieder. „Ich glaube, ich komm’ hier nicht mehr weg“, sagt er, und meint das gar nicht böse, im Gegenteil, Michael Steindl klingt zufrieden. Und motiviert, weiterhin. „Ein paar Pfeile habe ich für Duisburg noch im Köcher.“