Duisburg. Schüler haben mit Schauspielern das Stück „Stabil, Habibi“ über ihre Sorgen und Nöte entworfen. Warum die Gratwanderung nicht immer funktioniert.
Da hat sich Katharina Böhrke was vorgenommen. Die Theaterpädagogin entwickelt für das Duisburger Theater das Schauspiel „Stabil, Habibi“, in den Hauptrollen sie selbst, Lulu Feuser und Patrick Dollas. Soweit erstmal nicht ungewöhnlich, bemerkenswert ist die Entstehungsgeschichte des Stücks. Böhrke hat sich nämlich mehrfach mit Schülern siebter, achter und neunter Klassen sechs Duisburger Schulen getroffen – um mit ihnen über Themen zu sprechen, die sie in ihrem Alltag, in ihrem Leben wirklich bewegen, und so im Idealfall ein Theaterstück von Jugendlichen, für Jugendliche zu produzieren.
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Nun ist es immer ein Drahtseilakt, wenn sich Menschen, gerade Künstler, in Kulturen und Szenen bewegen, deren Teil sie nicht sind. Ganz gleich wie tiefgehend die Recherche, wie groß das Empathievermögen, das Bild von außen kann unmöglich deckungsgleich mit der Erfahrung eines Menschen sein, der durch diese Kultur geformt wurde – größtmögliche Annäherung ist das Ziel. Und deswegen die gute Nachricht schonmal vorneweg: „Stabil, Habibi“ kommt ziemlich oft ziemlich nah ran, auch wenn das Stück ein paar Mal am Ziel vorbeischießt.
Theater Duisburg greift Sorgen von Jugendlichen auf: War das cringe?
Das sagen zumindest die Schüler, die das Schauspiel konzipiert haben. Am Freitag schauen sich Klassen der Sekundarschule Am Biegerpark, der Erich-Kästner-Gesamtschule und des Max-Planck-Gymnasiums im Foyer III des Stadttheaters nämlich das erste Drittel „ihres“ Stücks an. Im Anschluss fragen die drei Schauspieler ihr junges Publikum aus: Was war gut, was geht besser, und, ganz wichtig – was war cringe?
Was bedeuten diese ganzen Wörter?
cringe: etwas Peinliches und Unangenehmes, das jemand tut oder sagt. Meistens ist mit dem Wort „Fremdscham“ gemeint.
Habibi: kommt aus dem arabischen und bedeutet „Geliebter“, „Liebling“ oder „Schatz“. Wird im Deutschen vor allem verwendet, um Freunde anzusprechen.
Bodyshaming: Verurteilung und Diskriminierung aufgrund des Körpertyps eines Menschen, ganz gleich, ob dick, dünn, groß, klein oder andere Merkmale.
Bratan: kommt vom russischen „Brat“ und beutetet „Bruder“. Wird aber eher selten für leibliche Brüder verwendet, sondern für enge, männliche Freunde. Mittlerweile gibt es auch den Neologismus „Bratina“: Eine Frau, mit der man gut befreundet, aber an der man nicht romantisch interessiert ist.
Bevor es ans Eingemachte geht, ein kurzer Überblick des Szenarios: „Stabil, Habibi“ spielt in einem Boxstudio in Duisburg, dort treffen Amy (Böhrke), Mare (Feuser) und Lupo (Dollas) aufeinander. Drei Schüler mit drei unterschiedlichen sozialen Vorgeschichten, mit unterschiedlichen Herausforderungen und Problemen. Diese Probleme kommen von den Schülern, die das Stück konzipiert haben, etwa „Bodyshaming“. „Das war ein Thema an allen Schulen“, sagt Böhrke im Nachgespräch, „Gewicht, sich im eigenen Körper wohlfühlen.“ Ihr Charakter Amy versucht deswegen, das Wiegen vor dem Boxkampf um jeden Preis zu vermeiden.
Lupo und Mare: Zwei Pole, viele Probleme
Patrick Dollas‘ „Lupo“ hingegen übertüncht seine Ängste, seine Unzulänglichkeiten, das Desinteresse seiner Eltern, mit dem größtmöglichen Prollgehabe. Er stellt fest: „Ich bin der Einzige mit ‘nem Schwanz hier“. Beantwortet jede zweite Frage mit „Halt die Fresse“. Und kommentiert die Herkunft von Mares italienischem Namen damit, dass er es ja lieber französisch möge.
Mare wiederum hat auf den ersten Blick gar keine großen Probleme. Ihre Eltern haben sie beim Boxtraining angemeldet, ihre Eltern sorgen dafür, dass sie alles für die Schule hat, und natürlich geht Mare aufs Gymnasium. Damit ist sie wahrscheinlich der Charakter mit der härtesten Schale. Eine Schülerin im Publikum hat die aber selbst nach einem Drittel des Stücks geknackt und freut sich hörbar, dass es der Aspekt ins Schauspiel geschafft hat: „Das ist dieses ‚Mach uns stolz‘, dieser Leistungsdruck. Finde ich gut, dass ihr das aufgegriffen habt.“
„Stabil, Habibi“ funktioniert oft – aber noch nicht immer
In den besten Momenten gelingt es „Stabil, Habibi“, diese Alltagssorgen der Jugendlichen unaufdringlich und natürlich zu vermitteln – „Show, don‘t tell“. Aber eben nicht immer. Der exzessive Gebrauch des Wörtchens „Alter“ entlockt den Schülern ein verfremdschämtes Grinsen, konstruktiv bleiben sie trotzdem. „Vielleicht ein paar mal ‚Digga‘ stattdessen. Oder ‚Bratan‘.“
Die Schüler haben auch noch andere Verbesserungsvorschläge, die Katharina Böhrke fleißig mitschreibt – schließlich ist das Stück ja noch nicht fertig und offen für Verbesserungen. Weil das Ensemble regelmäßig die vierte Wand durchbricht, „war es schwer zu trennen, was zum Stück gehört und was nicht“, sagt eine Schülerin. Eine Sequenz, die eigentlich eine Rückblende hätte sein sollen, fühlte sich für die Jugendlichen im Publikum wie eine Szene der Gegenwart an. Die Musikauswahl sei hier und da mal cringe gewesen. Mares Kostüm ein bisschen zu sehr Achtziger. Und Lupo hätte noch eine „fette Goldkette“ vertragen können. Und dann ein Satz wie ein Leberhaken, der trotzdem zuckersüß und voller Anerkennung gesprochen wird: „Man hat manchmal gemerkt, dass ihr ältere Leute seid.“
>> WANN ES „STABIL, HABIBI“ IM THEATER DUISBURG ZU SEHEN GIBT
- „Stabil, Habibi“ feiert am Sonntag, 29. September, um 18 Uhr im Foyer III Premiere. Die Karten kosten zehn Euro.
- Bis in den November hinein gibt es danach sieben Schulvorstellungen, jeweils um 10 Uhr. Für Schulklassen kosten die Karten fünf Euro pro Kopf.
- Alle Daten, noch mehr Informationen und die Ticketbuchung gibt es im Internet unter theater-duisburg.de.