Duisburg. Der Duisburger Aaron kann nicht mehr sprechen oder laufen. Mutter schildert dramatische Stunden und schöpft doch Hoffnung. Wie Sie helfen können.
Das Wort „Albtraum“ fällt sehr oft. Dabei reicht es eigentlich gar nicht für das, was die Duisburgerin Melina Carl gerade durchlebt. „Mein Sohn Aaron würde nach den Sommerferien in die dritte Klasse kommen“, erzählt sie. Aber Aaron kann nicht mehr auf die Gemeinschaftsgrundschule Böhmer Straße in Buchholz gehen. Der Neunjährige kann nicht mehr reden, nicht mehr laufen, blinzeln geht so gerade noch.
Die Katastrophe begann kurz vor Weihnachten 2023, ganz harmlos. „Aaron hatte Schnupfen, hat über Kopfschmerzen geklagt. Es sah alles nach einer Kindererkältung aus.“ Mit den Tagen wurden die Symptome schlimmer, am Abend des 23. Dezembers rief Melina Carl schließlich den Rettungswagen. „Die Sanitäter hatten einen grippalen Infekt in Verdacht, aber mitgenommen haben sie Aaron nicht. Er konnte noch sitzen, trinken, hat noch mit den Rettern gesprochen.“
Duisburger Aaron erholt sich kurz, doch dann kommt „der Rückschlag“
Sechs Stunden später kann er das nicht mehr, „da fing mein Albtraum an“, sagt Carl. In der Nacht auf Heiligabend bringt sie Aaron in die Sana-Kliniken nach Wedau, und schnell steht fest, dass er eine Hirnhautentzündung hat. Eine bakterielle, die schlimmere Variante. Er kommt auf die Kinder-Intensivstation der Uniklinik Essen, sofort wird ein Stent im Kopf gesetzt, um den Hirndruck zur verringern, die Nebenhöhlen geweitet, um das Sekret abzusaugen.
„Er wurde beatmet, war eigentlich an sämtliche Geräte angeschlossen“, erinnert sich seine Mutter, „nach zwei, drei Tagen kam er dann aus der Narkose und auf die ‚normale‘ Kinderstation.“ Aaron konnte sprechen, trinken, sogar ein paar Löffel Kartoffelbrei bekam er herunter. Der 29. Dezember aber war der Tag des „Rückschlags“, so formuliert es Melina Carl.
Viele, kleine Schlaganfälle schädigen Aarons Gehirn
Aaron bekommt plötzlich Krampfanfälle, reagiert nicht mehr auf seine Mutter, später stellt sich heraus: Der Neunjährige hat viele, kleine Schlaganfälle. „Er wurde dann ‚schlafen gelegt‘, kein künstliches Koma, aber für ein Kind sehr stark sediert“, sagt Carl, „damit sein Gehirn sich erholen kann, damit so etwas nicht nochmal passiert.“ Noch dazu arbeitet Aarons Immunsystem gegen ihn, greift seine eigenen Zellen an, Autoimmunerkrankung nennt man das. Ein Spezialist wird konsultiert, er überlegt, wie man Aarons Gehirn unterstützen kann.
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Am 25. Januar wird Aaron wieder aufgeweckt und kommt sofort in eine spezielle Reha-Einrichtung nach Münster, „er muss ja weiterhin überwacht werden.“ Seit dem 6. Mai ist der Schüler in Meerbusch in einer Reha-Einrichtung, ganz langsam arbeitet er sich hier zurück. Sprechen, gehen, das funktioniert immer noch nicht. „Aber Aaron geht es aktuell gut“, sagt seine Mutter, „wir machen Fortschritte. Kleine Fortschritte, aber Fortschritte. Aaron gibt sich so viel Mühe.“
Aarons Mutter hat Hoffnung: „Das ist mein Wunder“
Melina Carl hat gelernt, dass die Herzfrequenz ihres Sohnes eine Art der Kommunikation ist. „Wenn sie hochgeht, weiß ich, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dann ist ihm zum Beispiel zu warm.“ Manchmal kann sich Aaron mit Blinzeln verständlich machen – einmal für „Ja“, zweimal für „Nein“ – manchmal grummelt er, wenn ihm etwas nicht passt. „Da merkt man: er will sprechen, aber der Körper lässt ihn nicht. Aber wenn er so grummelt, sage ich ihm: ‚Das ist deine Stimme! Jetzt musst du nur noch die Worte finden.‘“
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Melina Carls Hoffnung ist Aarons junges Alter. „Die Schlaganfälle haben Schäden im Hirn hinterlassen, es hat sich Narbengewebe gebildet. Vielleicht können sich neue Brücken bilden, vielleicht können andere Hirnbereiche Aufgaben übernehmen. Das ist mein Wunder, das ich mir wünsche. Er wird nie ganz geheilt sein. Aber ich hoffe, dass er mal einen selbstständigen Alltag haben kann, laufen, selber essen.“
Klassenkameraden wünschen sich Aaron zurück
Roland Kohnen ist Aarons Klassenlehrer und erinnert sich gerne daran, als Aaron zur zweiten Klasse auf die GGS Böhmer Straße wechselte. „Das ging rasend schnell, er war sofort voll integriert, nicht nur sozial, auch leistungstechnisch.“ Mit dem Einverständnis von Aarons Mutter erklärte Kohnen seiner Klasse, wie krank Aaron ist. „Ich hab ihnen das ganz sachlich erzählt, und die Betroffenheit war natürlich sehr groß. Aber es war auch toll zu sehen, dass sofort die Frage gestellt wurde: Was können wir machen?“
Passend zum Thema „Brief“ im Deutschunterricht schrieben die Schüler geschlossen einen Brief an ihren Klassenkameraden. „Jeden Freitag ist in der letzten Stunde ‚Klassenrat‘, da sprechen die Kinder über alles, was so anliegt. Es vergeht keine Woche, in der sich nicht mindestens ein Schüler wünscht, dass Aaron zurückkommt.“
So will Melina Carl anderen Kindern helfen
Schulleiterin Veronika Klefges und das Lehrerkollegium kamen schließlich auf die Idee eines Sponsorenlaufs, um Aaron zu unterstützen. Ende Juni rannten die Schüler wie besessen auf dem Schulhof ihre Runden, wie viel Geld zusammengekommen ist, steht noch nicht fest, aber es dürfte einiges sein: Alleine die Schüler aus Aarons Klasse haben zusammen 170 Kilometer geschafft.
Melina Carl freut sich sichtlich über die Unterstützung – und will gleichzeitig anderen helfen. „Als wir in Münster waren, habe ich mir alle Rettungssanitäter geschnappt und ihnen Aarons Geschichte erzählt. Einfach mit der Bitte, ein Kind ins Krankenhaus zu bringen, wenn es in einer Situation ist, wie es Aaron am 23. Dezember war. Wenn ich damit nur ein Kind retten kann, hat es sich gelohnt.“
Sie selbst versucht, nicht mehr in „Was-wäre-wenn“-Mustern zu denken. „Ich habe mich gefragt, was gewesen wäre, wenn Aaron direkt in die Klinik gekommen wäre, nicht erst nach sechs Stunden. Das darf ich mich nicht mehr fragen.“ Dann holt Melina Carl tief Luft. „Ich hätte ihn auch verlieren können.“
>> EXPERTEN GESUCHT: WER KANN HELFEN, SPENDEN FÜR AARON ZU SAMMELN
- Mittlerweile hat die Familie eine neue Wohnung, die auf Aarons Anforderungen zugeschnitten ist, gefunden. Nach langem Ringen hat die Krankenkasse auch den benötigten Spezialrollstuhl genehmigt.
- Doch Melina Carl wird auf lange Sicht auch ein neues Auto brauchen, mit Rollstuhlvorrichtung und Rampe. Dafür hofft sie nun auf Spenden.
- Auf der Plattform „GoFundMe“ sammelt Melina Carl Spenden für das Auto. Nach wenigen Tagen sind schon 5542 Euro von 148 Spendern zusammengekommen. Wenn auch Sie helfen möchten, geht das unter gofundme.com.