Duisburg. Der Kita-Kollaps ist längst da, glauben viele. Wie es Eltern in Duisburg geht, wie Träger reagieren und warum die Stadt Aldi und Bunker prüft.
„Wir sind am Ende“, sagen Eltern, die in Duisburg Kinder im Kindergartenalter haben. Notfallpläne, kompletter Betreuungsausfall, Personalmangel – die Liste der Probleme ist lang.
Über 150 Minusstunden hat der Vater, der in einem Hotel arbeitet. Sein Chef findet das „gar nicht lustig“, weshalb er seine Kinder sogar mit zur Arbeit nimmt. Ein anderer Vater sagt, dass seine Frau darüber nachdenkt, ihren Job zu kündigen: „Wir schaffen es einfach nicht!“ Die 45-Stunden-Betreuung bezahlen sie zwar, seit August 2023 habe es die aber noch keinen Tag gegeben. Eine Mutter berichtet, dass ihr Kind im laufenden Kindergartenjahr lediglich vier Wochen durchbetreut wurde. Eine andere sitzt seit Monaten regelmäßig mit ihren Zwillingen im Homeoffice und fürchtet sich schon jetzt vor dem Herbst.
Kinderbetreuung in Duisburg ist „ein Wahnsinn“
Die Verzweiflung ist an diesem Abend mit Händen zu greifen. Da sitzen sie in ihren Fußballtrikots und können sich doch nicht mitfreuen über den Torjubel, der von draußen vom EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn hereinschallt. Hier stehen Existenzen auf dem Spiel.
Auf der anderen Seite sieht es nicht besser aus. Die Eltern berichten von Kindergartenleiterinnen, die unter dem Druck zusammengebrochen seien, von Auszubildenden, die hinwerfen, weil sie sich den Job anders vorgestellt haben. Träger werden von Arbeitgebern angerufen, weil diese für ihre Mitarbeiter eine Betreuungsgarantie einholen wollen. „Ein Wahnsinn!“
85 Prozent der städtischen Kitas im Notbetrieb
Und Anlass für eine Podiumsdiskussion, zu der der Jugendamtselternbeirat mit dem Vorsitzenden Christian Pollmann eingeladen hatte. Jugenddezernent Paul Bischof, Edeltraud Klabuhn (SPD), Dr. Sebastian Ritter (Grüne), Peter Ibe (CDU) und Dr. Marcel Fischell vom Evangelischen Bildungswerk als Trägervertreter stellten sich dem geballten Unmut.
Michael Letsch vom Beirat dokumentierte mit einer neuen Statistik, wie groß die Not allein in den 80 städtischen Kitas ist: Nur 13 von ihnen waren in diesem Kindergartenjahr regulär offen, drei waren 60 Tage lang geschlossen, zwei über 50 Tage, acht über 20 Tage. Der Jugendamtselternbeirat betont, dass diese „enormen Zahlen“ zustande kommen, obwohl die Stadt einen Springerpool vorhält, um krankheitsbedingte Ausfälle auffangen zu können. Es wäre sonst noch krasser.
Neue Kitas auf Discounter-Dächern?
Peter Ibe betonte, dass Duisburg zwar den Rechtsanspruch erfüllen könne, allerdings auf Kosten der Kinder. Alle Gruppen seien überbelegt, allein zur Behebung dieses Missstandes brauche es 900 zusätzliche Plätze. Insgesamt müsse die Stadt 20 weitere Kitas bauen und suche dafür Grundstücke.
Die Stadt lasse nichts unversucht, sagte Paul Bischof: „Wir denken ernsthaft darüber nach, Kitas auf Discounter-Dächern zu bauen.“ Aldi habe das mal propagiert, aber noch nicht umgesetzt. Auch ein Bunker werde als Standort in Betracht gezogen. Unterm Strich sei die Kinderbetreuung „extrem teuer“, im Stadthaushalt schlage sie mit 200 Millionen Euro zu Buche. Ein Sponsoring, wie es manche Eltern vorschlagen, helfe da nicht viel.
Große Sorgen bereite ihm der Geburtentrend in Duisburg. „Hier sind es plus 8 Prozent, in Düsseldorf minus 12“, so der Dezernent. Und schließlich müssten immer mehr Kinder inkludiert werden. „Selbst gestandene Erzieherinnen sagen inzwischen, die Situation kriege ich nicht mehr gebacken“, so Bischof. In die Kitas müssten dringend weitere Kräfte, für die Verwaltungsarbeit etwa, auch ein Hausmeister könne entlasten. Aber insgesamt werde ihm bei der Aussicht auf noch mehr Kinder „Angst und Bange“.
Kita-Kollaps: Er passiert leise, nicht mit einem großen Knall
Die aktuelle Situation bezeichnet Fischell als Kita-Kollaps. Der komme nicht mit einem großen Knall, sondern zeichne sich durch permanente Flickschusterei aus. Im Winter habe nur die Hälfte der 16 evangelischen Kitas eine Regelbetreuung leisten können, die andere Hälfte war in der Notbetreuung. Das EBW hat keinen Springerpool, besetzt Kitas aber mit mehr Personal als vom Land vorgesehen, um sich gegenseitig stützen zu können.
Grundsätzlich sieht er das Land in der Pflicht, das selbst nach den großen Demos im April keine Regung gezeigt habe. Er fordert mehr Flexibilität bei der Besetzung von Notgruppen. Den Fachkraftschlüssel könne er in solchen Situationen nicht aufrechterhalten. Die Qualität sei dann zwar nicht mehr die gleiche, „aber ohne Zeit im Kindergarten erfährt ein Kind gar keine Bildung“.
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Bei Engpässen: Weniger gut ausgebildete Kräfte in die Kitas
Dezernent Bischof sieht das ähnlich. Trotz neu geschaffener Ausbildungsmöglichkeiten werde man den Kitabetrieb nicht so aufrechterhalten können, „wir brauchen auch weniger gut ausgebildete Kräfte“. In der Elternschaft hört man Aufstöhnen. Ritter sagt jedoch: „Wegen des Personalmangels sind wir gezwungen, kreativer zu werden, multiprofessionelle Teams einzusetzen.“
Es müsse auch mehr investiert werden in Schüler, die nach Klasse 10 noch nicht fit genug sind, um in den Erzieherberuf einzusteigen. Für sie müsse es flexiblere Wege geben. Edeltraud Klabuhn, selbst Erzieherin, hält dagegen: „Wir haben verdammt viele Eltern, die nicht in der Lage sind, ihrem Nachwuchs ausreichende Bildung mitzugeben.“ Für diese Kinder brauche es ausgebildete Fachkräfte.
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Da viele Eltern die 45-Stunden-Betreuung zwar bezahlen, aber nicht erhalten, wird auch dieses Modell diskutiert. Es entspricht zwar dem Bedarf berufstätiger Eltern, bindet aber viel Personal. In Bonn soll das Modell sogar aufgegeben werden. In der städtischen Arbeitsgruppe AG78 komme derzeit alles auf den Prüfstand, berichtet Fischell. Noch im Sommer soll es zumindest für das Thema Notbetreuung einen Handlungsleitfaden geben.
>> WAS SICH KINDERGARTENELTERN IN DUISBURG WÜNSCHEN:
Eltern von Kindergartenkindern haben klar Vorstellungen, was alles besser werden muss. Sie fordern:
- Mehr Kommunikation bei Engpässen in Kitas, schnellere und transparentere Entscheidungen unter Einbeziehung der Elternbeiräte.
- Mehr Flexibilität bei der Organisation von Notgruppen inklusive Nachrückmöglichkeiten.
- Mehr Druck auf die Landespolitik, um konstruktive oder pragmatische Lösungen bei Engpässen möglich zu machen.
- Mehr Geld ins System, weil frühkindliche Bildung Grundlagen schafft.