Düsseldorf. Vor der Premiere von Moby Dick spricht Hauptdarstellerin Rosa Enskat über eine besondere Theaterliebe und warum Robert Wilson ihr Briefe schrieb.
- Am Samstag, 7. September, hat „Moby Dick“ in der Inszenierung des amerikanischen Star-Regisseurs Robert Wilson am Schauspielhaus Düsseldorf Premiere.
- Die Schauspielerin Rosa Enskat ist die einzige Frau im Ensemble. Sie spielt den Kapitän Ahab.
- Wir haben die Hauptdarstellerin während der Proben-Phase getroffen und mit ihr über die herausfordernde Arbeit mit Robert Wilson gesprochen. Rosa Enskat hat schon mehrfach mit dem Amerikaner gearbeitet und die beiden verbindet eine besondere Beziehung.
Eigentlich wollte sie nicht mehr. Nach dem Riesenerfolg von „Der Sandmann“, dem Meisterwerk von Robert Wilson, das seit sieben Jahren ein Dauerbrenner im Schauspielhaus Düsseldorf ist, wollte Rosa Enskat beim neuen Projekt des amerikanischen Regiestars nicht mehr mit von der Partie sein. Vor allem wegen der Fahrerei. Seit 2016 pendelt die Schauspielerin zwischen Berlin und Düsseldorf. In manchen Monaten kommt sie auf 20 Fahrten. Sie wollte ihre aktuellen Stücke wie „Cabaret“ und „Der Besuch der alten Dame“ noch fertig spielen und sich dann vom Gast-Engagement in Düsseldorf und einem Leben in ICEs und Hotels verabschieden.
Soweit der Plan, der über den Haufen geworfen wurde. Weil Bob, wie sie Robert Wilson nennt, ihr so liebe Briefe geschrieben hat. Der 82-Jährige wollte seine Rosa unbedingt dabeihaben, wenn er am 7. September Moby Dick auf die Düsseldorfer Bühne bringt. „Tja“, sagt Rosa Enskat und atmet hörbar aus. „Da konnte ich nicht nein sagen.“
Bei unserem Treffen im Juni steckt sie seit zwei Wochen im Kostüm des Kapitän Ahab und kommt an ihrem einzigen freien Sonntag zum Interview in die Kantine des Schauspielhauses. Sie bestellt Cappuccino und legt für einen Moment die Hände auf die Augen: „Ich bin so müde.“ Die Proben mit dem Bühnenmagier Robert Wilson sind für das Ensemble eine geistige und körperliche Grenzerfahrung. „Wenn man mit Bob arbeitet, hat man keine Zeit mehr für irgendetwas anderes.“
Kräftezehrende Proben mit Robert Wilson für das neue Stück „Moby Dick“
Wilson lebt für seine Kunst. Gut zu Fuß ist der Senior nicht mehr, aber wenn er es zum Regietisch geschafft hat, das erzählt seine Hauptdarstellerin, dann hat er eine beeindruckende Kondition. „Der versteht nicht, dass die Leute auch mal eine Pause brauchen“, sagt Rosa Enskat und dreht den Kaffeebecher in ihren Händen. Geprobt wird stets im vollen Ornat. Sonst kann der Regisseur seine penibel arrangierten Bilderwelten nicht auf die Bühne malen. Alle tragen ab Tag eins die kompletten Kostüme, sind geschminkt, haben die Haare toupiert.
Rosa Enskat beschreibt, wie ehrfürchtig still es bei den Proben ist, obwohl 60 Menschen beteiligt sind. „Wenn Mr. Wilson im Haus ist, springen alle.“ Wer zum ersten Mal mit ihm arbeitet, müsse lernen, nichts persönlich zu nehmen. Auch ihr sind schon die Tränen gekommen nach einer Probe, die dem Amerikaner nicht gepasst hat. „Unzufriedenheit ist sein Motor.“ Sie macht mit dunkler Stimme nach, wie er seinen Unmut mit Einwort-Sätzen in den Raum pfeffern kann: „Noooo!“ oder „Again!“ gehören zum Repertoire. „Ich kann mit Drill umgehen, mein Vater war bei der Armee“, sagt Rosa Enskat und lacht.
Regiestar Robert Wilson: Dem Genie bei der Arbeit zusehen
Anders als die, die neu dabei sind, fühlt sie schon jetzt, wie bereichernd auch diese Arbeit mit Wilson am Ende wieder sein wird. Sie weiß, dass der Tag kommt, an dem ein „Great!“ durch die Luft fliegt. Was bedeutet, dass er so richtig zufrieden ist. „Wenn ich, so wie jetzt, wieder Feuer gefangen habe und diesem Genie bei der Arbeit zusehe, dann will ich eigentlich nur noch so arbeiten.“
Dass sie einmal als Muse des großen Robert Wilson auf der Bühne stehen würde, war nicht absehbar. „Ich wollte Krankenschwester werden.“ Damals, als Mädchen in Neubrandenburg. Aber das erlaubte die Mutter nicht. „Du wirst technische Zeichnerin, da hast du um 16 Uhr Feierabend“, hat sie gesagt. Und so beschäftigte sich Rosa Enskat in den 80ern als Maschinenbauzeichnerin mit Rohrleitungen und Panzern. Bis sie spürte, dass sie damit ganz andere Talente übermalte, die in ihr schlummerten. Die galt es zu finden.
Führungen im Berliner Pergamonmuseum und Studium an der Musikhochschule Hanns Eisler
Sie begann mit Führungen im Berliner Pergamonmuseum und ergatterte einen der raren Studienplätze an der Musikhochschule Hanns Eisler. Aber nach dem Studium spürte die Sängerin, dass noch immer etwas fehlte. Per Zufall rutschte sie mit 38 als Quereinsteigerin in den Schauspielberuf — und hatte plötzlich das Gefühl, angekommen zu sein. „Ich glaube wirklich, dass das für mich bestimmt war.“
Rosa Enskat lehnt sich im Vintage-Sessel in der Theaterkantine zurück und denkt nach. Sie steht „wahnsinnig gern“ auf der Bühne. „Wenn ich am Theater leide, dann nur an den Strukturen.“ Dazu gehört für sie vor allem, dass die verkrusteten Rollenmuster zu langsam bröckeln und es noch immer ein Ungleichgewicht bei der Behandlung von Männern und Frauen gibt. Das fängt bei der Bezahlung an: „Ich habe in Dresden deutlich weniger verdient als ein Kollege, nur wegen des Geschlechts.“ Und es geht bei der Besetzung weiter. „Als Frau bist du immer noch zweite Garde.“ Das gelte erst recht für Schauspielerinnen jenseits der 30.
Rosa Enskat in Theater, Film und Fernsehen
2016 ist Rosa Enskat vom Staatsschauspiel Dresden ans Düsseldorfer Schauspielhaus gewechselt. Aktuell ist sie in folgenden Rollen zu sehen: Fräulein Schneider in „Cabaret“, die Mutter in „Der Sandmann“ und Claire Zachanassian in „Der Besuch der alten Dame“. Ab dem 7. September wird sie den Kapitän Ahab in „Moby Dick“ spielen, inszeniert von Robert Wilson.
Wenn sie nicht auf der Bühne steht, dann arbeitet die Schauspielerin und Sängerin für Film und Fernsehen. Zu sehen war sie zum Beispiel im ARD-Mehrteiler „Charité“, in der Serie „Babylon Berlin“ oder zuletzt im Berlinale-Film „Bis ans Ende der Nacht“.
Erschreckend findet sie, dass selbst junge Regisseurinnen oder Dramaturginnen mit feministischer Einstellung dem Rollenklischee treu bleiben. „Warum besetzt man Stücke nicht öfter gegen den Strich?“ Sie nennt ein Beispiel: „In Hamburg darf eine 80-Jährige Pippi Langstrumpf sein“. Sie empfindet das Theater auch in Düsseldorf als viel zu konventionell. „Wenn man so gut subventioniert ist, kann man ruhig mal mehr wagen.“
„„Ich kann mich bewegen, kann singen und habe Mut zu überdrehter Exaltiertheit.““
So wie Robert Wilson, für den sie jetzt Kapitän Ahab ist. „Er besetzt mich nicht als ältere Dame, sondern nach meinen Fähigkeiten.“ Sie schätzt seinen wachen und offenen Blick. „Ich kann mich bewegen, kann singen und habe Mut zu überdrehter Exaltiertheit.“ All das sehe der Regisseur. „Bei ihm arbeite ich nie unter Niveau.“
Rosa Enskat plant ein Bühnenprojekt mit ihrem Kollegen André Kaczmarczyk
Ein letztes Mal wird sie die Arbeit mit ihm trotz aller Anstrengung genießen. Danach fängt der langsame Abschied von Düsseldorf an. Sie freut sich darauf, nicht mehr der „Reisekaiser“ zu sein und endlich mal ein Zuhause zu haben. „Dann schaffe ich mir drei Hunde an und suche mir nen Ehemann.“ Und das Theater? „Ich spiele natürlich weiter, nur nicht mehr so oft.“ Es gibt sogar schon ein Bühnenprojekt, das sie mit ihrem Düsseldorfer Kollegen André Kaczmarczyk in ihrer Neubrandenburger Heimat plant. Details darf sie noch nicht verraten. Nur so viel: Es wird in der Klinik spielen, in der Rosa Enskat vor fast sechs Jahrzehnten geboren wurde.