Neuss/Düsseldorf. Die Straßenbahnline 709 in Neuss kann ab 1. Januar für ein Jahr lang gratis genutzt werden. Die Stadt will so ihre Innenstadt attraktiver machen.

Kostenlos mit Bus und Bahn fahren: Manche Nahverkehrs-Fans fordern das seit Langem, um die Verkehrswende voranzutreiben. Die Stadt Neuss macht jetzt einen Versuch: In einem Pilotprojekt kann im gesamten Jahr 2023 eine Straßenbahnlinie kostenlos genutzt werden - auf einem Teilstück.

Auf gut 1,7 Kilometern zwischen der Haltestelle „Stadthalle/Museum“ und der Wendeschleife neben dem Neusser Hauptbahnhof braucht man in der Neusser City ab 1. Januar in der Straßenbahn-Linie 709 kein Ticket mehr. „Wir möchten etwas für den Klimaschutz tun und gleichzeitig Bus und Bahn als attraktive Alternative zum Pkw stärken“, erklärt Stadtsprecherin Monika Vienken auf Anfrage.

Pilotprojekt in Neuss: Parken teurer, Straßenbahn fahren kostenlos

226.000 Euro lässt sich die Stadt Neuss das Pilotprojekt kosten, sagt Vienken. Refinanziert werden sie durch erhoffte Mehreinnahmen bei den Parkgebühren - denn die werden teurer. Zudem hat Neuss sein Parkplatzangebot in der Innenstadt seit Anfang Dezember verknappt, sagt ein Stadtsprecher: „Anwohner mit Bewohnerparkausweis dürfen jetzt auch auf den bewirtschafteten Parkflächen ihre Fahrzeuge abstellen“ - es gehe um gut 2500 Stellplätze, sagt der Sprecher.

In einem Mobilitätskonzept hat die Stadt Neuss, auch mit Bürgerbeteiligung, Grundlagen für den Stadt-Verkehr erarbeitet. Zentrale Erkenntnis: Seit 1990 sei der Auto-Anteil beim Individualverkehr mit 51 Prozent nahezu unverändert hoch. Bus und Bahn kommen bloß auf 11 Prozent, das Fahrrad auf 15, „Fußverkehr“ auf 23 Prozent. Angesichts von Klimawandel und Debatten über mehr Lebensqualität in Innenstädten sind nun möglichst gleiche Anteile das Ziel.

Gratis-Angebot auf der Linie 709 gilt im Bereich zwischen sieben Haltestellen

Auch der örtliche Einzelhandel soll von der Gratis-Straßenbahn profitieren, sagt eine Stadtsprecherin. In bestimmten Parkhäusern am Rande der Innenstadt lockt die Stadt mit einer Stunde Gratis-Parken. Fußfaule könnten dann ja beim Einkaufen kostenfrei in die Straßenbahn springen, die wochentags etwa alle zehn Minuten fährt.

Lesen Sie auch:Bundeskanzler Scholz: 49-Euro-Ticket „wird jetzt kommen“

Die Linie 709 verkehrt zwischen dem Düsseldorfer-Osten (Gerresheim-Krankenhaus) durch die Stadtteile Flingern, Bilk und Hamm über den Rhein bis zum Neusser Hauptbahnhof. Im Bereich von sieben der insgesamt 32 Haltestellen gilt 2023 das Gratis-Angebot. Betreiber Rheinbahn mag auf Anfrage nicht beantworten, inwieweit die Linie 709, die die Neusser Innenstadt in gerader Linie durchzieht, bereits für’s ‘Haltestellen-Hopping’ genutzt wird.

Rheinbahn hat sein Prüfpersonal über die Neusser Aktion informiert

Die Stadt Neuss darf sich mit dem Projekt zu den Vorreitern mit kostenlosem Öffentlichen Personennahverkehr zählen. EU-weit war Luxemburg das erste Land, das flächendeckend kostenlosen ÖPNV anbieten - seit Ende Februar 2020, inklusive Eisenbahn; nur in der 1. Klasse muss man zahlen. Düsseldorfs südlicher Nachbar Monheim startete im April 2020 als NRW-Pionier. Das Gratis-Angebot für den Nahverkehr dort gilt aber nur für Menschen, die dort leben. In Neuss ist es offen für alle.

Lesen Sie auch:Kommunen warnen: Dem Nahverkehr droht der Kollaps

Bei der Rheinbahn geht Sprecher Thomas Kötter nicht davon aus, dass Kunden in Neuss „den Geltungsbereich der Aktion missinterpretieren können“. Das Prüfpersonal sei „entsprechend über die Maßnahme informiert.“ Er betont: „Auf anderen Strecken und Linien gilt weiterhin der reguläre Ticket-Tarif.“ Die Fahrt zwischen Hauptbahnhof bis Neusser Rheinpark-Center an der Kardinal-Frings-Brücke koste indes während des Gratis-Projekts nur den Kurzstreckentarif.

Stadtbahnlinie U75 ist 2023 in Neuss nicht kostenlos

„Dem ÖPNV kommt eine problemlösende Rolle in den aktuellen Diskussionen zu den Themen Klimaschutz, nachhaltige Mobilität und Verkehrswende zu“, sagt ein Sprecher vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, in dem auch Neuss liegt. Flächendeckend kostenloser Nahverkehr bewertet man jedoch als Utopie - weil nach bisherigen Kriterien unbezahlbar. Und: Eine Studie der TU Dortmund kam 2018 zu dem Ergebnis, kostenloser Nahverkehr habe keine positiven Effekte für die Umwelt.

Lesen Sie auch:570 Millionen fehlen: Bei Bus und Bahn droht Kahlschlag

Will eine Kommune Nahverkehr kostenlos zugänglich machen, müssten die Kosten “in vollem Umfang vom Antragsteller oder einem Dritten gegenüber den Verkehrsunternehmen ausgeglichen werden“, betont man beim VRR. Auch dürfe die Maßnahme „die einheitliche Anwendung des Verbundtarifs nicht in Frage stellen und andere Verkehrsunternehmen nicht beeinträchtigen und benachteiligen.“

Neuss-Besucher aus Fahrtrichtung Düsseldorf sollten daher beachten: Die Stadtbahnline U75, die über Oberkassel und Heerdt nach Neuss fährt, ist 2023 NICHT gratis.