Dinslaken. Aufgrund einer schweren Erkrankung geht Sonja Heyne aus Dinslaken fast nie ohne Mundschutz raus. Doch zu Coronazeiten wird das zum Problem.

Einen Mundschutz und Desinfektionsmittel hat Sonja Heyne aus Dinslaken eigentlich immer dabei, wenn sie einkaufen geht oder sonst wie im öffentlichen Raum unterwegs ist. Das ist nicht erst seit der Ausbreitung des Coronavirus so, wird aber gerade jetzt in mehrerlei Hinsicht zum Problem: Es fehlt an Schutzartikeln und vor allem an Verständnis.

„Die Leute fotografieren, filmen und beleidigen mich“, erzählt sie. „Ich werde oft angestarrt, als sei ich ein Tier im Zoo. Viele zeigen mit dem Finger auf mich oder zerren ihre Kinder, Ehemänner oder Ehefrauen von mir weg, werden panisch und sagen: ‘Komm da weg, die ist gefährlich für dich!’.“ Die Situation sei zunehmend belastend.

„Nicht jeder, der einen Mundschutz trägt, hat Corona“

Heyne hofft, andere Menschen über den Weg an die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Dafür, „dass nicht jeder, der einen Mundschutz trägt, eine Krankheit hat, sondern sich vielleicht ganz im Gegenteil schützen muss. Um wirklich zu überleben.“ Die alleinerziehende Vierfachmutter appelliert an ihre Mitmenschen, diejenigen, „die ein wenig anders sind einfach mal zu fragen, was sie denn haben, anstatt sie direkt zu beschimpfen“. Inklusion könne schließlich nur funktionieren, wenn man lerne, Menschen offen und ohne Angst entgegen zu treten – auch zu Coronazeiten.


Die 39-jährige Dinslakenerin hat einen „schweren strukturellen Immundefekt“, der unheilbar ist. „Mein Immunsystem funktioniert einfach nicht richtig“, sagt sie. Deshalb benötigt sie wöchentliche hoch dosierte Immunglobuline vom Menschen, die ihr über eine spezielle Pumpe infundiert werden, sowie alle zwei Tage spezielle Spritzen, die für die Bildung der Granulozyten, der weißen Blutkörperchen also, wichtig sind. Seit November vergangenen Jahres steht sie außerdem unter einem Dauerantibiotikum. „Denn bei mir verläuft die Krankheit sehr schlimm und ich fiebere extrem hoch – habe immer über 42 Grad Körpertemperatur.“

„Für mich kann das Virus tödlich sein“

Da Heyne kein ausreichend funktionierendes Immunsystem hat, ist die Gefahr, sich bei jemand Krankem anzustecken gerade aktuell natürlich besonders hoch. „Für gesunde Menschen hat das Coronavirus in den meisten Fällen ja keine schlimmen Auswirkungen. Für mich aber kann es tödlich sein.“

Die letzte Flasche Desinfektionsmittel ist längst angebrochen, lange wird sie nicht mehr halten. Auch deshalb verlässt Sonja Heyne ihre Wohnung kaum noch.
Die letzte Flasche Desinfektionsmittel ist längst angebrochen, lange wird sie nicht mehr halten. Auch deshalb verlässt Sonja Heyne ihre Wohnung kaum noch. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels


Um so weniger könne sie das derzeitige Verhalten vieler Menschen verstehen: „Ich habe Probleme überhaupt noch an Mundschutz und Desinfektionsmittel zu kommen“, sagt sie. Die letzte Flasche mit Desinfektionsmittel sei nur noch halb voll, die Möglichkeit, neues kaufen zu können, nicht in Sicht. „Und das, weil sich völlig gesunde Menschen damit vollbunkern.“ Schon seit Wochen telefoniert Heyne die Apotheken im Umkreis sowie ihre Ärzte ab, „aber auch die haben immer noch Knappheit und können nichts besorgen“, sagt sie.

Sie selbst geht deshalb aktuell nicht mehr einkaufen. Zu groß seien die Risiken, sich etwas einzufangen, zu gering sei der Vorrat an Mundschutz und Desinfektionsmitteln, zu verletzend seien die Reaktionen anderer Menschen. Auch Heynes vier Söhne – sie sind 19, 17 und zwei Mal 14 Jahre alt – bleiben aufgrund des nun noch höheren Risikos weitestgehend zuhause. „Meine Ex-Schwiegereltern helfen uns aus“, sagt sie. Sonja Heyne geht nur noch einmal am Tag an die frische Luft – mit Taxi, ihrem Hund.


>> LANG AUSSTEHENDER RENTENBESCHEID BELASTETE DIE DINSLAKENERIN ZUSÄTZLICH

Die Auswirkungen der aktuellen Coronakrise sind für Sonja Heyne bei Weitem nicht das einzig belastende. Seit ihrer Diagnose im November 2018 ist die gelernte Arzthelferin, die zuletzt als Integrationshelferin arbeitete, erwerbsunfähig, wird also nie wieder ihrer Arbeit nachgehen können. h

Beim ersten NRZ-Gespräch, das bereits am 11. März stattfand, beschäftigte sie vor allem auch die da noch unklare finanzielle Situation: Ihr Jobverhältnis endete offiziell zum 25. März (bis dahin erhielt Heyne Krankengeld), der im April 2019 bei der Deutschen Rentenversicherung gestellte Antrag auf Erwerbsminderungsrente war bei dem Treffen am 11. März noch nicht beschieden.

Auf Anfrage bei der Deutschen Rentenversicherung erhielt die NRZ damals die Antwort, dass der Rentenbescheid „in Kürze“ zugestellt werden soll. Am 24. März, einen Tag, bevor das Jobverhältnis offiziell endete, bekam Heyne ihn. „Punktgenau also“, wie sie sagt. Sie sei darüber „richtig glücklich“. Nun, wo immerhin die finanzielle Situation geregelt sei, sei es ihr endlich möglich, „auch wieder Zeit und Energie für andere Dinge aufzuwenden“.