Ruhrgebiet. Sicherheitsleute sind nicht ausgebildet für Messerattentate. Sie sollen nicht mal eingreifen. Über die Illusion der Sicherheit.

Mehr Barrikaden, mehr Personal: Nach dem Anschlag in Solingen erhöhen alle Veranstalter ihre Sicherheitsvorkehrungen – und alle zugleich. Gesetzt den Fall, es gäbe überhaupt so viel Security-Personal, in der von Personalengpässen gezeichneten Branche: Würden mehr Sicherheitsleute überhaupt helfen gegen einen ähnlichen Anschlag? Dafür müssten sie ja geschult sein – und das sind sie offenbar nicht immer ausreichend. Ja, es ist nicht einmal offiziell ihre Aufgabe, einzugreifen.

Essener Sicherheitsdienst bestätigt: „Unsere Kunden wollen mehr Mitarbeiter“

Ob Bottroper Herbstkirmes, Nighlight-Dinner in Herne oder Essens Light Festival: Alle großen Feste finden derzeit im Schatten des Solinger Anschlags statt. Bei dem Essener Dienst Issa Security steigt die Nachfrage deshalb merklich. Geschäftsführer Mohamed Issa zieht zuallererst folgende Lehre aus dem Anschlag: „Wir achten jetzt noch mehr auf Messer.“  

Das betrifft erstmal die Durchsuchung von Taschen am Einlass, wenn es einen gibt. Dort kann man mitgeführte Messer aus dem Verkehr ziehen und so das Risiko minimieren, dass sie gezückt werden in einem spontanen Konflikt. Je mehr Sicherheitskräfte vor Ort sind, desto wahrscheinlich können sie Täter entdecken. Issas Kunden, darunter Handelsunternehmen und Kommunen, hätten deswegen bereits mehr Mitarbeitende angefordert. Das sei einerseits gut für das Geschäft; andererseits auch für das Wohlbefinden der Leute, „dass sie gerne hingehen zu Veranstaltungen.“

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Herbert Reul, NRWs Innenminister (CDU): Ihm zufolge gibt es „keinen vernünftigen Grund, im öffentlichen Raum ein Messer mitzuführen“. Waffenverbotszonen, -trageverbote und mehr Abschreckung durch polizeiliche Präsenz sind Teil eines „Werkzeugkastens“, den der Minister umsetzen möchte.

Die Essen Marketing Gesellschaft setzt bei Großveranstaltungen wie dem „Light Festival“ auf den erfahrenen Sicherheitsdienst „Issa Security“. (Archivbild)
Die Essen Marketing Gesellschaft setzt bei Großveranstaltungen wie dem „Light Festival“ auf den erfahrenen Sicherheitsdienst „Issa Security“. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

„Sicherheitsdienstleister sind nicht dazu da, Angreifer zu stellen“

Aber können Sicherheitskräfte reagieren, wenn jemand mit einem Messer angreift? Realistisch gesehen gebe es fast keine Chance, gegen ein Messer anzukommen, erklärt Issa. Und dennoch: „Die Leute werden geschult, verdächtiges Verhalten und Bewegungen zu erkennen und sich bei Angriff schützend vor die Leute zu stellen, den Angreifer zu attackieren und zu entwaffnen.“ Angriffe würden in externen Schulungen durchgespielt, Abwehrtechniken im Training geübt. An erster Stelle steht aber etwas anders: „Erstmal die Leute in Sicherheit bringen. Dann stellen wir den Täter und rufen parallel die Polizei.“

„Sicherheitsdienstleister sind nicht dazu da, Angreifer zu stellen oder zu entwaffnen. Das ist ganz klar eine Polizei-Lage“, erwidert Sabine Funk. Sie führt das Bonner Institut zur Event-Sicherheit (IBIT), dort erstellt sie Sicherheitskonzepte und bietet „Szenarien-Workshops“ an, in denen Teilnehmende Gefahrenlagen durchspielen.  

Sich selbst zu schützen sei wichtig für Sicherheitskräfte, hebt die IBIT-Chefin hervor. Verletzt oder gar tot können sie keinem Gast mehr helfen. Die Sicherheitsleute sollten in einer Terror- oder Amoklage möglichst viele Informationen sammeln und auf dem Weg vom Gelände andere in Sicherheit bringen – aber nicht sich selbst in Gefahr. Mehr Personal bedeute deshalb nicht gleich mehr Sicherheit, sagt Funk. Stattdessen müssten Konzepte besser, Sicherheitskräfte mehr geschult werden. 

Praktische Erfahrungen sammeln Sicherheitsdienste im Einsatz

Momentan geschieht Ausbildung eher rudimentär. Manche machen eine dreijährige Ausbildung, andere steigen quer ein in den Job. Aber praktische Erfahrung sammeln Sicherheitskräfte im Wesentlichen auf der Straße, bei Veranstaltungen, im Einsatz. „Wenn sie ganz neu sind, laufen sie ein paar Monate mit erfahrenen Mitarbeitern mit“, sagt dazu Mohamed Issa.

Auf dem Stadtfest in Solingen töte ein Attentäter drei Menschen mit einem Messer. Seither trauert die Stadt um die Opfer. (Archivbild)
Auf dem Stadtfest in Solingen töte ein Attentäter drei Menschen mit einem Messer. Seither trauert die Stadt um die Opfer. (Archivbild) © DPA Images | Gianni Gattus

„Alle bei uns sind Fachkräfte, jeder muss Sachkunde nachweisen“, erklärt Issa. Damit meint der ehemalige Kampfsportler eine IHK-Prüfung, die für das Bewachungsgewerbe vorgeschrieben ist. An einem Tag wird das „Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ abgefragt. Der Umgang mit Verteidigungswaffen und mit Menschen in Konfliktsituationen wird ebenso theoretisch behandelt. 

Sicherheitsexpertin zur Ausbildung von Ordnungskräften: „Ein Albtraum“

Sabine Funk findet, Sicherheitskräfte seien für große Veranstaltungen oft nicht ausreichend geschult. Verpflichtend sei zwar eine sogenannte „Unterrichtung“ – das ist allerdings lediglich ein Lehrgang von 40 Stunden, ohne Prüfung. Für Sicherheitskräfte, die bei Veranstaltungen arbeiten, biete diese Form der „Zwangsschulung nahezu keinen Wissensgewinn“.

Und auch im Rahmen der weiterführenden Sachkundeprüfung lernen sie nicht für die Arbeit bei Veranstaltungen: „Die nur nach 34a GewO geschulten Sicherheitskräfte sind nicht vorbereitet auf die Besonderheiten in großen Menschenmengen“. Für Funk ist dieser Umstand unerträglich: „ein Albtraum“.

Es gebe außerdem ein strukturelles Problem, erklärt die Expertin: Für private Sicherheitsfirmen sind über die gesetzlichen Grundlagen hinausgehende Fortbildungen der Mitarbeitenden nicht unbedingt vorgeschrieben – und die Kosten müssten sie auf die Kunden umlegen, was sie in einer oftmals durch den Preis bestimmten Branche weniger wettbewerbsfähig macht. „Viele müssen das also aus eigener Tasche bezahlen.“ Zugleich ist die Fluktuation hoch in der Branche, so dass sich solche Investitionen ins Personal eher selten rentieren. Die Folge: Unternehmen schulen nur selten, gar nicht oder nur einzelne Führungskräfte. 

Und dann gibt es noch ein Problem: Die Polizei ist zwar bei größeren Veranstaltungen wie „Essen Original“ mit im Boot. Sie gestaltet das Sicherheitskonzept mit und ist präsent für ein schnelles Eingreifen. Doch bei kleineren Stadtfesten und Veranstaltungen ist sie gar nicht für die Sicherheit vor Ort zuständig. Sie reagiert nur auf Zuruf.