Berlin. Der Wirkstoff Semaglutid könnte nicht nur gegen Diabetes und Übergewicht helfen, sondern auch den Verfall des Gehirns verlangsamen.
Als „Gamechanger“, wie ihn einige Adipositas-Experten bezeichnen, macht der Wirkstoff Semaglutid bereits seit geraumer Zeit Schlagzeilen. Vielen ist er vermutlich besser bekannt unter dem Markennamen Wegovy, der Abnehmspritze, in der er enthalten ist. Andere kennen ihn aus der neuen Generation von Diabetes-Medikamenten namens Ozempic. Doch es zeigt sich, er könnte auch gegen Alzheimer-Demenz helfen.
Hintergrund: Der in den verschreibungspflichtigen Medikamenten enthaltene Wirkstoff Semaglutid hat ersten Studien zufolge eine entzündungshemmende Wirkung, etwa auf Herz, Nieren und Leber. Daniel Drucker, Endokrinologe an der Universität von Toronto in Kanada, etwa veröffentlichte kürzlich im Fachblatt „Cell Metabolism“ eine neue Studie an Mäusen, wonach es den Tieren durch die Gabe des Wirkstoffs besser ging und die Entzündungswerte der Tiere zurückgingen.
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Wirkstoff Semaglutid greift in verschiedene Prozesse im Körper ein
Bei Semaglutid handelt es sich um einen sogenannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten. GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) ist ein Hormon, das im Körper natürlich vorkommt und eine wichtige Rolle bei der Regulation des Blutzuckerspiegels spielt. Zudem verlangsamt es unter anderem auch die Magenentleerung und reguliert so das Sättigungsgefühl. Darüber hinaus gibt es aber Hinweise, dass GLP-1 neuroprotektiv wirken, also die Nervenzellen schützen könnte und somit auch vor degenerativen Prozessen im Gehirn.
Neben Semaglutid gibt es noch weitere GLP-1-Rezeptor-Agonisten auf dem Markt. Etwa den Wirkstoff Tirzepatid, der ebenfalls als Abnehmmittel namens Mounjaro zugelassen ist. Letzteres vertreibt das Pharmaunternehmen Lilly, Semaglutid ist beim dänischen Novo Nordisk zugelassen, ebenso sein Vorgänger Liraglutid.
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In Experimenten mit Mäusen konnte mit Liraglutid bereits ein positiver Effekt auf deren Gedächtnisleistung gezeigt werden. Das veranlasste ein Forschungsteam um den britischen Neurowissenschaftler Paul Edison zu einer Studie mit rund 200 Alzheimer-Erkrankten. Auch hier waren die Ergebnisse nach eigener Aussage „vielversprechend“. So konnte durch die Gabe von Liraglutid der Gedächtnisverlust Betroffener gebremst werden und auch das Hirnvolumen schrumpfte laut der Studienergebnisse weniger stark als bei den Teilnehmenden, die nur ein Placebo erhielten.
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Abnehmspitze gegen Alzheimer: Großangelegte Studien laufen
Um nun die potenzielle Rolle bei der Vorbeugung oder Verlangsamung von Alzheimer-Demenz zu untersuchen, laufen aktuell großangelegte, weltweite Studien, an denen auch mehrere deutsche Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen beteiligt sind. An tausenden Patienten im Frühstadium einer Alzheimer-Demenz wird getestet, ob das Fortschreiten der Erkrankung durch Semaglutid zumindest verlangsamt werden kann.
Die Studien vergleichen die Wirkung von Semaglutid mit der Gabe eines Placebos, eines Scheinmedikaments ohne Wirkung. Sie sind zudem verblindet. Das heißt, weder die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch das Personal der Universitäten und Studienzentren wissen, welche Behandlung der Patient oder die Patientin bekommt.
Untersucht würden vor allem Veränderungen des Gedächtnisses und anderer Hirnfunktionen sowie die Bewältigung des täglichen Lebens während der Behandlung mit dem Medikament im Vergleich zu Placebo, heißt es auf der Webseite des LMU Klinikums München, das sich an der Forschung beteiligt. Die beiden Studien namens Evoke und Evoke plus werden von Novo Nordisk finanziert. Resultate werden im Jahre 2025 erwartet.
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Alzheimer: Experten hoffen auf Durchbruch mit neuen Medikamenten
Gerade mit Blick auf die entzündungshemmende Wirkung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten hat Endokrinologe Daniel Drucker Hoffnung. „Die nächste Generation von Medikamenten könnte Entzündungswege, die wir identifiziert haben, noch zielgerichteter reduzieren“, zitiert ihn die Fachzeitschrift „Nature“.
Vielleicht seien die neuen Medikamente dann wirksamer, so Drucker mit Blick auf Alzheimer und die Erkenntnisse seiner Studie. Denn bisher gibt es keine effektive Therapie gegen die degenerative Krankheit. In Deutschland sind laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft etwa 1,8 Millionen Menschen an Alzheimer erkrankt. Bis 2050 könnten es Schätzungen zufolge 2,8 Millionen sein, heißt es.
2021 starben daran laut Statistischem Bundesamt „mehr als 9200 Menschen“. Die Zahl der Behandlungsfälle lag demnach bei 18.700. Zehn Jahre zuvor lag die Zahl den Angaben zufolge mit 10.300 Fällen noch deutlich niedriger.
Bei Alzheimer-Demenz noch viele offene Fragen
Die Krankheit beginnt bis zu 20 Jahre vor Auftreten der ersten Symptome mit Veränderungen im Gehirn. Zu den Krankheitsmechanismen, die über Jahrzehnte hinweg ineinandergreifen, zählen neben Entzündungsprozessen, Eiweißablagerungen, die als Amyloid-Plaque und Tau-Fibrillen bezeichnet werden, aber auch Stoffwechselstörungen, Umwelteinflüsse, das Altern oder eine genetische Veranlagung.
Wie genau diese Mechanismen ineinandergreifen, ist nicht abschließend geklärt. Fest steht: Es entstehen Schädigungen des Gehirns, wodurch Nervenzellen absterben und neben den kognitiven Leistungen auch Gedächtnis oder Orientierungssinn abnehmen.
Sollte sich die Wirkung von Semaglutid in der aktuell laufenden Studie bestätigen, wäre dies für Betroffene ein großer Fortschritt. Auch wenn keine Heilung zu erwarten ist, so würde der Wirkstoff die Lebensqualität Betroffener wohl deutlich verbessern.