Essen. Zweitklassiges Werk, plumpe Regie: Das Aalto setzt eine schwache Saison fort. Samstag verhob sich Szofia Gereb an einer vergessenen Oper
Wollte man folgenden Generationen erklären, wie die Oper ihren Rang als Bastion der Hochkultur verloren hat, man würde ihnen von einem blamablen Abend wie diesem erzählen. Da holt ein Musiktheater ein zweitklassiges Werk mit einem drittklassigen Text auf die Bühne, um eine Entdeckung anzupreisen, der es dann so wenig vertraut, dass jede Menge zeitgenössische Aufputschvermittler rekrutiert werden, um knapp zwei pausenlose Stunden irgendwie rumzukriegen.
Samstag Abend im Aalto-Theater Essen. Premiere für Joseph Bolognes „L‘amant anonyme oder Unerwartete Wendungen“. Wenn selbst Ihnen als Klassik-Freundin jetzt Fragezeichen in den Pupillen stehen: keine Scham! Der Mann ist nicht zu Unrecht vergessen. Wo selbst der amtierende Dirigent Wolfram-Maria Märtig, sich höflich abringt, von einer „schönen Herausforderung“ zu sprechen, ahnen Sie, wie der Hase läuft. Wenig kreative, solide höfische Gebrauchsmusik, in deren besseren Momenten Effekte der Mannheimer Schule zünden, dazu Arien, die man gleich nach dem Hören komplett vergessen hat.
„L‘amant anonyme“ am Aalto Theater: Reinfall mit viel Aufwand
Was also bringt eine Intendanz dazu, so viel Geld für recht wenig Kunst auszugeben? Dass dieser Bologne (geboren 1745 auf Guadeloupe) von dunkler Hautfarbe war? Und der Sohn einer karibischen Sklavin? Dass sie den begabten Geiger, der als Kapellmeister und Komponist Karriere machte, in Paris als „Mulatten“ beschimpften? Damit würde über dem Abend die bleierne Wiedergutmachungswolke zeitgenössischen Regietheaters liegen.
Daten und Karten
Die Aufführungen von „L‘amant anonyme“ sind am 21. März, 14. und 20 April, 3. und 15 Mai sowie am 7. Juni.
Der Abend dauert knapp zwei Stunden, ohne Pause.
Karten 16-55€, Tel 0201-8122200 oder theater-essen.de
Bleiern ist er so oder so: Den Regie-Auftrag erhielt Zsofia Gereb, die der Region mit einem jämmerlichen „Don Pasquale“ (MiR) den Flop der Saison 2023 bescherte. Auch in Essen beweist sie reichlich fehlendes Talent, handwerkliches zumal. Die Dialoge der Sänger: bemitleidenswertes Amateurtheater. Die zugefügten Schäferspiel-Scherze: platt.
Gewiss: Die Handlung (Witwe will vom titelgebenden unbekannten Verehrer erst nichts wissen, dann aber doch, also alle glücklich) ist absolut dürftig. Aber Gerebs Rosskur (eskortiert von Co-Regisseur Alvaro Schoeck) mit Streetdancern, „Spoke Word Artists“ und drei Neukompositionen von Stefan Johannes Hanke zeitigt allenfalls einen Flickenteppich der Beliebigkeit.
Zsofia Gerebs Regie zeigt wenig Talent. Premiere nicht ausverkauft
Da hocken die Rokoko-Protagonisten (Kostüme: Ivan Ivanov) dann in ihrem modrigen Schloss (die Bühne ist ein Aalto-Wiedersehen mit Frank Philipp Schlössmanns Raum für Mozarts „Gärtnerin aus Liebe“), glotzen ratlos auf Kunsttanz der Sorte „Breaking“ und „Boogaloo“. Von Seelennot haucht ein Seniorinnenquartett, Clowns aus dem Publikum müssen tapfere Ensemblemitglieder wie Christina Clark und Rainer Maria Röhr geben. Und die zur Erhellung gebetenen Sprachkünstler? Liefern tendenziell kitschige Kirchentagsprosa, ein bisschen Nachhilfe in Phonetik („Univeasum“, „versoagen“) könnte nicht schaden. Da halten wir uns so bang wie dankbar an Essens gewissenhafte Philharmoniker, die Bologne mit edler Duftigkeit und Hanke mit perkussiver Verve Leben einhauchen.
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Eine bislang eher bizarre Spielzeit am Aalto-Theater setzt sich fort. Der Saal war zu kaum zwei Dritteln gefüllt.