Essen. Peinliche Flops, grandiose Aufführungen: Die Opernhäuser der Region boten Aufreger und Geniales. Unser kritischer Rückblick auf die Saison 22/23.
Die Theater liegen im Sommerschlaf, die Bühne überlassen sie der Festivalkultur. Aber was bleibt von der letzten Saison? Nach drei Jahren Corona-Pause ist sie wieder da: unsere kritische Rückschau auf Zustand und Leistung der subventionierten Bühnen der Region. Des Fazits zweiter Teil: Opernhäuser.
Essen: Dem schönen Haus fehlt der große Glanz
Wir sagen es ungern: Der Glanz des Aalto-Theaters scheint matt. Ein Magnet war das Haus in der letzten Saison allzu selten. Die Auslastung: alles andere als rekordverdächtig. Ein Repertoire-Renner wie Mozarts „Figaro“ schon in der ersten Vorstellung nach der Premiere nicht ausverkauft: Das ist ein ganz schlechtes Zeichen. Dabei war besagte Mozart-Inszenierung noch eine der charmanteren. Dem gegenüber standen ein unter szenischer Bedeutungshuberei ächzender „Tannhäuser“ und zwei missratene Kostbarkeiten (belanglos: „Lucrezia Borgia“, völlig verrutscht „Simon Boccanegra“). Kurios genug, dass ausgerechnet Zeitgenössisches („Dogville“) für ein volles Haus sorgte. Apropos Sorge: Der Spielplan 23/24, mit dem Hausherrin Merle Fahrholz punkten will, ist kühn, wenn nicht gar tollkühn. Von fünf echten Premieren sind zwei vergessenen Meistern gewidmet. Damit Blumentöpfe zu gewinnen, wäre ein Kunststück. Dazu Verdis „Macbeth“ und Bergs „Wozzeck“. Muss es am Ende ein Musical ausbügeln? Nach 26 Jahren hat Essens Oper wieder eine „My Fair Lady“.
Gelsenkirchen: Klarer Sieger der Saison
Chapeau! Das Musiktheater im Revier (MiR) ist bei unserem Fazit klarer Sieger der ausklingenden Saison, was herausragende Inszenierungen angeht: Auch musikalisch hochkarätig waren „Das schlaue Füchslein“, „Billy Budd“, „Bernarda Albas Haus “ und die rare Komödie „Un giorno di regno“. Freilich: Michael Schulz, dienstältester Opernintendant der Region, kann sich von diesem Lorbeer nur bedingt etwas kaufen: Sein Spielplan war zu wenig volksnah, das Zeug zum Publikums-Hit hatten die großen Würfe kaum – und am Ende muss ja auch die Kasse stimmen.
Wenn kommende Saison „Hello Dolly“ und „Eine Nacht in Venedig“ rufen, könnte das anders werden, aber ein fetter Wagner, eine große Verdi-Oper, sie täten dem Musiktheater im Revier unbedingt gut. Sorgenkind des Hauses bleibt die junge Puppentheatersparte: Nach wie vor fehlt ihr überregionale Durchschlagskraft – und Publikum.
Düsseldorf/Duisburg: Warteliste für eine Orchidee
Wie sonderbar: Da tat sich in Essen ein Publikumsliebling wie „Die Hochzeit des Figaro“ schon gleich nach der Premiere schwer, die Rheinoper aber legte mit „Die Jungfrau von Orléans“ einen fast unbekannten Tschaikowsky auf – und an manchen Abenden gab es gar Wartelisten an der Kasse! Da traf eben eine überragende Inszenierung auf höchstes vokales Niveau – so überlebt Oper. Die „Jungfrau“ war neben dem neuen, monströs düsteren Verdi-„Macbeth“ eine der beiden ganz großen Würfe des letzten Jahrgangs. Achtbar: „Die tote Stadt“. Da hält man dann auch wenig Geglücktes aus – wie den Flop „Hérodiade“.
Im Unterschied zu vielen Häusern der Region, zehrt die Rheinoper aber auch von einem gewaltigen Repertoire. Dass auch nach Jahren, ja Jahrzehnten herausragende Arbeiten von Christof Loy bis Jean-Pierre Ponnelle über die Bühne gehen, bleibt ein Pfund des Hauses, das sich auf eine schwere Zeit einstellen muss. Es wird neu gebaut, mit allen Unwägbarkeiten, die das bedeutet, – nicht zuletzt in Sachen Publikumsbindung.
Dortmund: Ehrgeizig, aber nicht immer am Ziel
Wann sah man im Ruhrgebiet mal einen Roten Teppich am Operneingang? Heribert Germeshausen rollte ihn selbstbewusst zur „Siegfried“-Premiere aus. Bayreuth an der Hansastraße? Ein Magnet wurde Peter Konwitschnys Wagner-Deutung trotz eines Waldvogels in Reizwäsche nicht. In der exzentrischen Sortierung des Regisseurs (es begann nicht mit „Rheingold“) folgen nun noch zwei Teile vom „Ring des Nibelungen“.
Am Ende wird man sehen, ob das teure Großprojekt mit Symposien, die wenig normales Publikum anzogen, sich ausgezahlt hat. Immerhin: So viel überregionale Presse blickte lange nicht nach Dortmund. Fast immer exquisit ist Germeshausens Sängerauswahl, dazu haben die Dortmunder Philharmoniker eine glänzend gute Opernsaison gespielt. Die Inszenierungen waren unterschiedlich wertvoll: eher mau die groß angekündigte „La Juive“, angemessen pompös überdreht „Nixon in China“, charmant die „Gräfin Mariza“ mit kleinen Widerhaken, in der sogar „Stomp“ auftrumpfte.