Angeblich nur mit der Kraft seines Geistes verbog Uri Geller vor 50 Jahren live im ZDF Löffel und Gabeln. Wie hat er das gemacht?
Es ist der 17. Januar 1974. Ein Donnerstag. Im ZDF läuft abends die Erfolgsshow „Drei mal neun“ mit Wim Thoelke als Moderator. Im Showblock begrüßt er einen jungen Israeli mit dichtem dunklen Haarschopf. Es ist der Mann, auf den Millionen Zuschauer vor dem Bildschirm gewartet haben. Denn schon am Vortag hat „Big Wim“ auf einer extra angesetzten Pressekonferenz gewarnt. „Räumen Sie die Bestecke vom Abendbrottisch. Sie könnten nach der Sendung gebogen sein wie Angelhaken.“
Denn wenige Tage zuvor erst hat sein Gast für Furore in England gesorgt. Anscheinend nur durch die Kraft seiner Gedanken verbiegt der ehemalige Fallschirmjäger in einer Fernseh-Show einen Löffel. Gelingt ihm das auch in Deutschland?
„Geheimnisvolle Kräfte“
Im ZDF greift Geller zu einer Gabel. „Bend, bend, bend“ (bieg dich, bieg dich, bieg dich), sagt er, und als das alleine nicht reicht, reibt er am Stiel. Erst krümmt sich das Besteckteil, dann bricht es. Als Zugabe bringt Geller stillstehende Uhren wieder zum Laufen. Thoelke staunt. „Das sind ja geheimnisvolle Kräfte.“
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Und es wird noch besser. Aus dem ganzen Land rufen Zuschauer an, erzählen von plötzlichem Kribbeln in den Händen und melden nach Prüfung der Küchenschubladen: „Gabeln verborgen.“ Vor Zeugen sogar. Manch einer wittert seine Chance und will Schadenersatz vom ZDF, weil in seinem Besteckkasten angeblich nur noch Schrott liegt. Andere sind begeistert, weil auch bei ihnen eigentlich defekte Uhren nach Jahren des Stillstandes plötzlich wieder ticken. Da wundert es nicht, dass es in den nächsten Wochen auf Schulhöfen, in Büros oder beim Friseur nur ein Thema gibt: Uri Geller.
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Wer sich auskennt mit Illusionen kann die Begeisterung der Menschen nicht nachvollziehen. Von wegen übernatürliche Kräfte. Gellers Künste, beteuern Profi-Zauberer, würden sich ausnahmslos mit gängiger Tricktechnik erklären lassen. Auch Metallographen erklären nach ausgiebiger Prüfung eines verbogenen Löffels: „Da hat nur einer kräftig mit dem Daumen gedrückt, sonst nichts.“
Übersinnliches hat Hochkonjunktur
Uhrmacher bestätigen, es sei nicht ungewöhnlich, dass lange in der Schublade verschwundene Zeitmesser noch einmal kurz zu ticken beginnen, wenn sie in wärmende Hände genommen werden. Skeptische Journalisten lassen mit Leichtigkeit Löffel brechen, die sie zuvor mit Fluor, Brom oder Jod eingerieben haben. Und Psychologen bemühen die Massensuggestion, um die vielen gebogenen Löffel zu erklären, die plötzlich in deutschen Küchen auftauchen. Die meisten davon, vermuten sie, wären wohl schon lange unbemerkt mehr oder weniger verkrümmt gewesen oder seien nach der Show von Scherzbolden im gleichen Haushalt zusammengedrückt worden.
Es nutzt nichts. Viele Deutsche sind überzeugt, dass Geller übernatürliche Kräfte besitzt. Auch weil PSI, die große Unbekannte der außersinnlichen Wahrnehmung, in den 70er-Jahren Hochkonjunktur hat. Telepathie, Hellsehen, Präkognition und Psychokinese – und vermeintlich Übersinnliches fasziniert die Leute. Da hat einer wie Geller leichtes Spiel. Zumal er gut und fantasievoll erzählen kann. Etwa von der Lichtkugel, die ihn als Fünfjährigen in einem Garten seiner Nachbarschaft verfolgt und kurzzeitig niedergestreckt hat. Fortan habe sich sämtliches Besteck in seinen Fingern verbogen, bis es schließlich gebrochen sei. Wahrscheinlich, hat Geller lange vermutet, seien ihm bei dem Lichtvorfall seine Fähigkeiten quasi eingeimpft worden. Von wem? Aliens natürlich. Nicht irgendwelche Dahergelaufenen, wohl gemerkt, sondern welche vom Planeten Hoova – nicht zu verwechseln mit dem Staubsauger ähnlichen Namens.
Keine Konzentration, keine Biegung
Möglicherweise hätte er die Impfung mal auffrischen müssen. Denn schon bald kann sich Geller nicht mehr richtig auf seine Kräfte verlassen. In der Johnny Carson-Show, damals die populärste TV-Sendung der USA, blamiert er sich vor einem Millionenpublikum, als sich 20 Minuten lang kein Löffel verbiegen und keine Uhr wieder anlaufen will. Carson hatte die mitgebrachten Utensilien seines Gastes auf Anraten des Profi-Magier James Randi, vor der Show austauschen lassen. Geller entschuldigt sich mit schlechter Tagesform: „Ich kann mich nicht konzentrieren.“
Fortan liegen Geller und Randi, prominentes Mitglied der „Skeptiker-Gesellschaft“, einem Zusammenschluss von Persönlichkeiten und Organisationen, der sich kritisch mit parawissenschaftlichen Phänomenen auseinandersetzt, im Dauer-Clinch. Als der Zweifler spottet, Geller würde „selbst namhafte Wissenschaftler mit Tricks täuschen, die ich als Kind hinten auf den Müslipackungen las“, verklagt der Israeli ihn wegen Verleumdung auf 15 Millionen Dollar – und verliert. Denn Randi hat für die Verhandlung eine der alten Verpackungen aufgetrieben.
Auch die Politik will er beeinflusst haben
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Mit Beginn der 80er-Jahre versagt die geheimnisvolle Kraft des Magier vor Kameras und Prüfkomitees immer öfter. Untätig aber ist er nach eigener Aussage nie. Im Dienst der CIA will er gefährliche Computerdisketten per Gedankenübertragung zerstört haben. Zudem habe er mit dem mentalen Aufspüren von Öl-, Gas-, Gold- und Mineralvorkommen für internationale Konzerne aufwändige geologische Untersuchungen unnötig gemacht und dadurch Millionen verdient. Ja, sogar der Genfer Abrüstungsvertrag 1987 sei am Ende nur letztlich mit seiner Hilfe zustande gekommen: „Ich habe den Russen per Telepathie gesagt: Unterschreib! Unterschreib! Unterschreib!“
In den 1990ern entdeckt er sein Herz für den Sport. Mental will er der Fußball-Nationalelf seiner damaligen Wahlheimat England zum Erfolg im Halbfinale gegen Deutschland helfen. Was, wie man heute weiß, ebenso wenig funktioniert hat wie sein Vorhaben, viele Jahre später Premierministerin Theresa May zum Rücktritt vom Brexit zu bewegen. Auch mental natürlich.
Im Jahr 2002 nimmt Geller an der Premierenstaffel der britischen Version von „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ teil, fliegt aber als erster raus. Doch das hindert weder RTL noch Pro.Sieben daran, ihn 2004 und 2008 für neue Shows zu engagieren, denen es beiden allerdings bald an Zuschauern mangelt.
Mit Magie gegen Atomkraft
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Macht alles nichts. „Es ist egal, solange sie über mich reden“, hat Geller, der mittlerweile wieder in Israel lebt, in einem Interview anlässlich seines 75. Geburtstags vor gut drei Jahren Bilanz gezogen. „All die Skeptiker, die gegen mich gekämpft haben, die haben eine Mystik kreiert, die Energie des Unbekannten, die Debatte, und das war perfekt für mich in meiner Karriere.“ Längst nennt er sich auch nicht mehr Hellseher, sondern „Mystifier“, was sich auf Deutsch am besten mit dem Begriff „Verwirrer“ übersetzen lässt.
Echte Zweifel an seinen Fähigkeiten scheint er aber immer noch nicht zu haben. Gut sechs Monate nach Beginn des Ukraine-Krieges hat Geller jedenfalls eine Nachricht an den russischen Präsidenten Wladimir Putin geschickt und ihn vor dem Einsatz von Atomwaffen gewarnt. „Ich werde jedes einzelne Molekül meiner Gedankenkraft einsetzen, um Sie daran zu hindern, einen Atomangriff zu starten.“ Wäre schön, wenn es dieses Mal Erfolg hätte – zur Not auch mit Hilfe der Aliens von Hoova.
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