Sehenswerte Ausstellung lockt noch bis August 2024 in das Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Besuch ist ein Muss für alle Cineasten.

Thomas Richter


Asta Nielsen war in den 1910er Jahren der erste weibliche Stummfilmstar. Damals war es noch üblich, dass die Hauptdarstellerin am Abend der Uraufführung im Kino eine edle Premierenschleife als Dank überreicht bekam. Drei dieser raren Ehrengaben erstrahlen nun hinter Glas. Sie gehören zu jenen 350 Exponaten, die Teil der fantastischen Ausstellung „Der deutsche Film“ sind.

Diese läuft seit Mitte Oktober im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und zählt zweifellos zu den absoluten Höhepunkten des nun endenden Kultur-Jahres 2023. Die gute Nachricht für alle, die bislang noch nicht ins Saarland reisen konnten: Die Ausstellung läuft noch bis Mitte August 2024. Ein Besuch dort empfiehlt sich für Liebhaber der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte. Und ist nicht weniger als ein Muss für alle Kino-Fans.

20.000 Besucher waren bereits da

Eine stählerne Treppe führt vom Eingangsbereich den Weg hinauf. Oben angekommen, tritt der Besucher hinein in die Dunkelheit. Denn die Strahler in der mächtigen Gebläsehalle sind erloschen. Das diffuse, leicht schummerige, aber für eine heimelige Atmosphäre sorgende Licht kommt allein von 100 Riesen-Leinwänden. Diese sind an den Wänden und teils in luftigen Höhen an der Decke der früheren Industriehalle montiert.

Auf jeder dieser Leinwände laufen Ausschnitte aus insgesamt 150 Werken, die die Geschichte des deutschen Films seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute mitgeprägt haben. Addiert über neun Stunden umfasst das flimmernde Material, ausgewählt von einem achtköpfigen Team der Völklinger Hütte und der Deutschen Kinemathek in Berlin. Diese Institutionen fungieren als Co-Veranstalter und Gastgeber. „Und in den ersten Wochen seit dem Start haben wir bereits über 20.000 Besucher begrüßen dürfen“, erklärt Ralf Beil, der Generaldirektor der Völklinger Hütte, voller Zufriedenheit im Gespräch mit dieser Zeitung.

Obwohl das rund 6000 Quadratmeter große Areal auch an diesem Tag wieder enorm viele Gäste zählt, ist es mucksmäuschenstill. Denn der Ton zu jedem Filmausschnitt erklingt nicht etwa aus XXL-Lautsprechern, was bei dieser Masse an Angebot automatisch zu einem unverständlichen Soundbrei führen würde. Nein, dank Empfangsgerät, das bequem um den Hals baumelt, und dazu passenden Kopfhörern taucht jeder Besucher still und leise in seine individuelle Klangwelt ein. Und stört damit keinen anderen.

Sehenswert: die Ausstellung in der Völklinger Hütte.
Sehenswert: die Ausstellung in der Völklinger Hütte. © epd | Oliver Dietze

Diese Technik nutzte auch Frank-Walter Steinmeier. Denn es war der Bundespräsident, der im vergangenen Herbst diese einmalige Schau eröffnet hatte. „Dabei wollten wir zu Beginn eigentlich eine reine Marlene-Dietrich-Ausstellung machen“, blickt Beil zurück. Deren gesamter Nachlass befindet sich ja im Besitz der Deutschen Kinemathek. „Und als das Team dort erzählte, dass sie gerade an einem umfassenden Buch zur Geschichte des deutschen Films arbeiten würden, sind wir zusammen zum Schluss gekommen: Dann lasst uns doch lieber dazu die passende Ausstellung machen.“

Akrobatik und ein boxendes Känguru

Ein ganzes Jahr an harter Vorarbeit steckt in dem fertigen Resultat. Und das saugt jeden Besucher auf geradezu magische Weise in sich auf, erlaubt es doch sogar eine Zeitreise zurück zu den absoluten Anfängen. Denn auf Leinwand Numero eins laufen Ausschnitte aus dem legendären „Wintergartenprogramm“ der Gebrüder Skladanowsky, das am 1. November 1895 in Berlin gezeigt wurde – und damit zwei Monate vor der Premiere der Gebrüder Lumière in Paris. Und das Tolle: Noch heute lässt sich über ein boxendes Känguru oder halsbrecherische Artisten-Akrobatik prima schmunzeln.

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Thematisch ist das ganze in zehn Kapitel gegliedert und wird auf der empfohlenen Rundgangsstrecke streng chronologisch erzählt. Beginnend mit dem „Frühen Film“ über das „Kino der Weimarer Republik“ und dem „Film im Nationalsozialismus“ bis hin zum „Deutschen Film in Ost und West“ sowie den Schätzen der Gegenwart. Absolute Hingucker sind auch die gigantischen Filmposter, die in direkter Nähe zur dazugehörigen Leinwand platziert sind. Diese wurden im vergangenen Jahrhundert noch in mühevoller Handarbeit gemalt und sind allein für sich hochwertige Kunst. Als Beispiele seien die Exemplare von „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) oder „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ genannt.

Letzteren Film hatte Fritz Lang im Jahr 1931 erschaffen. Als sein Meisterwerk gilt aber ein früheres: „Metropolis“. Für Kino-Experten und Fans ist diese Mammutproduktion von 1927 die „Mutter aller Science-Fiction-Filme“ und eines der wichtigsten deutschen Werke überhaupt. Vielen nachfolgenden Genre-Klassikern diente „Metropolis“ als Referenz. Beispielhaft laufen auf einem TV-Monitor Ausschnitte aus Ridley Scotts „Blade Runner“. Und dessen Großstadt-Moloch eines Los Angeles im fiktiven 2019 ähnelt Fritz Langs Visionen nicht nur architektonisch in verblüffender Art und Weise.

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Eine eigene Abteilung für „Metropolis“

So ist es kein Wunder, dass „Metropolis“ als einziger Film einen eigenen Ausstellungsbereich erhalten hat. Darin zu bestaunen ist etwa die Maschinen-Maria – also jenes roboterhafte Wesen, das einst von Walter Schultze-Mittendorf entworfen und im Film von Darstellerin Brigitte Helm gespielt wurde. Jüngere Filmfans mögen in der silbrig glänzenden Figur vermutlich eher die Cousine des „Star Wars“-Droiden C-3PO erkennen .

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Es würde den Rahmen sprengen, hier die relevanten Filme der Ausstellung aufzählen zu wollen. Weil alle dieses Kriterium erfüllen. Beispielhaft seien dennoch „Die Blechtrommel“, „Der blaue Engel“, „Das Boot“, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ oder „Der Himmel über Berlin“ genannt. Für aktuellere Auserwählte stehen etwa „Das weiße Band“, „Aus dem Nichts“, „Systemsprenger“, der deutsche Oscar-Rekordgewinner „Im Westen nichts Neues“ oder „Toni Erdmann“.

Dessen Hauptdarstellerin Sandra Hüller hat gerade alle wichtigen europäischen Filmpreise abgeräumt. Und gilt nun auch als Mitfavoritin auf den Sieg bei der anstehenden „Golden Globe“-Verleihung. Noch öfter als sie taucht in der Ausstellung übrigens nur ein Schauspieler auf: Burghart Klaußner. Satte fünf Mal!

Fazit: Der Besucher erkundet in dieser Ausstellung eine einzigartige Filmlandschaft. Und die macht fast automatisch Lust auf den nächsten Kino-Besuch.

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