Rom. Der italienische Weltstar schrieb mit „Time to Say Goodbye“ Geschichte. Ein Song für den Boxer Henry Maske, den Papst und die Corona-Zeit.
Die wenigsten Weltkarrieren beginnen mit einem Abschied. Oder einer Niederlage. Und schon gar nicht mit Abschied und Niederlage zugleich und auch noch damit, dass eine halbe Nation schluchzend vor dem Fernseher sitzt. Aber so war das in Deutschland am 23. November 1996. An jenem Samstagabend verlor Box-Weltmeister Henry Maske seinen letzten Kampf, entschuldigte sich bei den Fans und weinte dann vor sich hin. Dazu ertönte ein Lied, das bis dahin kaum jemand kannte: „Time to Say Goodbye“ von Andrea Bocelli. Am heutigen Freitag, 22. September, wird der Italiener, längst ein Weltstar, 65 Jahre alt.
Um der Wahrheit Ehre zu geben: Es war dann doch kein echter Abschied. Der „Gentleman-Boxer“ aus Ostdeutschland stieg später noch mal in den Ring, gegen denselben Gegner, Virgil Hill aus den USA, und gewann. Bocelli sang den Song nicht allein, sondern mit der Engländerin Sarah Brightman. Und mit dem Original „Con te partirò“ („Mit Dir werde ich gehen“) hatte er in seiner Heimat beim Sanremo-Festival immerhin schon Platz vier belegt.
Single mit Rekord-Verkäufen
Das für Maske neu betitelte Lied bedeutete aber den Durchbruch. Zunächst rannten die Deutschen in die Plattenläden (wie man das damals noch so machte). „Time to Say Goodbye“ wurde zur Single mit Rekord-Verkäufen. In anderen Ländern lief es ähnlich. Die Kritik mäkelte „Schnulze“, die Masse kaufte: Kitsch vielleicht, aber zum Heulen schön. Die kanadische Sängerin Céline Dion, auf diesem Gebiet durchaus Konkurrenz, sagte: „Wenn Gott eine Stimme hätte, klänge sie wie Andrea Bocelli.“
Heute gehört der Ausnahmetenor bei den ganz großen Gelegenheiten zur Stammbesetzung: Er sang zu Weihnachten beim Papst, auf Empfängen diverser US-Präsidenten, bei Promi-Hochzeiten. Und auch, als die Queen ihre 70 Jahre auf dem Thron feierte und einige Monate danach wieder, als Charles nach dem Tod der Mutter doch noch König wurde. „Aber Deutschland ist für mich mit all den Erinnerungen immer noch etwas Besonderes“, sagt Bocelli. Im Oktober kommt er nach Oberhausen, Mannheim, Leipzig und Berlin.
Andrea Bocelli hat schon als Kind den Meistertenören nachgesungen
Fast zeitgleich mit der Erblindung im Alter von zwölf Jahren gewann Bocelli seinen ersten Gesangswettbewerb. Zudem lernte er Klavier, Flöte, Klarinette und Saxofon. „Ich habe schon als Kind den Meistertenören nachgesungen.“ Sein Idole hießen damals Mario Lanza und Franco Corelli. Nach dem Abitur studierte er Jura und arbeitete als Rechtsanwalt.
Bis ihn 1992 der italienische Softrocker Zuccheroentdeckte, der sich bei Luciano Pavarotti eine Absage eingehandelt hatte und nun auf der Suche nach einem anderen Tenor war. In den ersten Jahren seiner Karriere sang Bocelli meist Pop. Später verlagerte er den Schwerpunkt auf Klassik, trat in bekannten Opernhäusern auf. Die ganz große Anerkennung bekam er in der klassischen Fachwelt aber nie. Egal: Mit seinem Album „Sì“ schaffte er es 2018 erstmals sogar auf Platz eins der US-Albumcharts. Fürs jüngere Publikum ging er mit Dua Lipa und Ed Sheeran ins Studio.
Ein Auftritt während der Corona-Zeit im Mailänder Dom
Heute hat Bocelli über 85 Millionen Tonträger verkauft. Im Gedächtnis ist auch ein Auftritt in der Corona-Zeit, allein im Mailänder Dom. Das 25-Minuten-Video „Music for Hope“ wurde auf Youtube mehr als 40 Millionen Mal geklickt. Der große Tröster: Und auch auf Beerdigungen gehört „Time to Say Goodbye“ zum Standard. Bocelli selbst ist egal, was eines Tages gespielt wird. „Wenn ich einmal tot bin, können die, die mich überleben, machen, was sie wollen.“ (dpa)
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An die Blindheit von Andrea Bocelli haben sich die meisten gewöhnt. Vorbei die Zeiten, in denen er klagte „Die Tragödie ist, dass die Leute nicht aufhören, um etwas Aufhebens zu machen, was sie als tragisch empfinden – aber ich nicht“.
Als Bocelli zur Welt kam, war sein Sehvermögen durch einen angeborenen Grünen Star bereits beeinträchtigt. Mit zwölf wurde der Junge aus der Toskana von einem Fußball im Gesicht getroffen. Wenig später war er blind. Trotzdem reitet er bis heute, fährt Ski und – mit Hilfe – auch Motorrad.