Bayreuth. Lange Zeit dachte Stephen Gould, er sei ein Sänger, den niemand braucht. Vielleicht konnte er deshalb Wagners Helden so gut verkörpern: Nachruf

Am Ende blieb ihm viel weniger Zeit als erhofft. Der Wagner-Tenor Stephen Gould starb am 19. September im Alter von nur 61 Jahren, wie die Bayreuther Festspiele „in tiefster Trauer und fassungslos“ melden. Unmittelbar nach den diesjährigen Festspielen gab Gould vor wenigen Wochen bekannt, dass er seine Karriere aufgrund einer unheilbaren Krebserkrankung beenden müsse.

Stephen Gould galt in Bayreuth als Marathon-Mann, weil er die schwierigsten Partien seines Fachs mit unglaublicher Zuverlässigkeit und Kraft gestalten konnte, den Tannhäuser, mit dem er 2004 in Bayreuth debütierte, den Tristan, den er liebte, und den Siegfried, dessen Zerrissenheit er wie kein anderer glaubhaft machen konnte. Wagners Helden sind kaputte Männer, die an der Welt leiden, an ihren abwesenden Vätern, die daran scheitern, dass sie die falschen Entscheidungen treffen. Mit seiner Körpergröße und Stattlichkeit war Stephen Gould prädestiniert für äußerlich heroische Protagonisten, und mit seiner goldenen, reichen, fließenden, unglaublich präsenten Stimme konnte er deren Schicksale in die Gegenwart holen.

Dabei half vielleicht die Erfahrung, dass auch Stephen Gould lange Zeit dachte, er sei ein gescheiterter Held. Der Sohn eines Methodistenpfarrers und einer Konzertpianistin aus Virginia tingelte als Musical-Darsteller durch die USA, mehr als 3000 Mal soll er im „Phantom der Oper“ aufgetreten sein, solange, bis er dachte, er sei nur ein hühnenhafter Bariton, den keiner braucht. Erst der Fachwechsel zum Tenor brachte die Wende. Als er mit 37 Jahren zum Vorsingen nach Europa flog, hatte er bereits einen Job bei der New Yorker Telecom in Aussicht. Doch er fand ein Engagement in Linz, einen Intendanten, der an ihn glaubte. Und sein erster Auftritt dort im Jahr 2000 als Florestan stellte die Weichen für eine Welt-Karriere. Die Bayreuther Festspiele entdeckten ihn, hatten endlich ihren neuen Heldentenor gefunden.

Rückgrat und Biss

Stephen Gould  als Tannhäuser in der Bayreuther Inszenierung von Tobias Kratzer - mit Elena Zhidkova  als Venus.  +++ dpa-Bildfunk +++
Stephen Gould als Tannhäuser in der Bayreuther Inszenierung von Tobias Kratzer - mit Elena Zhidkova als Venus. +++ dpa-Bildfunk +++ © dpa | Enrico Nawrath

Goulds erste Spielzeiten auf dem Grünen Hügel fanden allerdings auch ein kritisches Echo, weil der amerikanische Tenor mit den Texten nicht gut zurechtkam, doch der Marathon-Mann bewies Rückgrat und Biss. Er ackerte sich in die deutsche Sprache und Wagners oft merkwürdige Texte hinein, bis er beides fließend beherrschte und gestalten konnte.

Die Bezeichnung Heldentenor führte er gerne. Doch damit verband er nicht die Allüren und Empfindlichkeiten, die man Tenören häufig andichtet. Stephen Gould galt auf dem Hügel als ausgesprochen hilfsbereiter und wunderbarer Kollege, als Sänger, auf den sich Katharina Wagner und das Ensemble jederzeit verlassen konnten. Zipperlein? Kaputte Knie? Nicht gut drauf? Stephen Gould sang. Und das Publikum merkte nichts, selbst wenn es etwas zu merken gab. Wagner-Singen war für ihn keine Arbeit, er beschrieb es als eine Art Meditation.

Dünne Luft in dieser Liga

Dabei sind Tannhäuser, Tristan und Siegfried berüchtigt, weil es sich um die längsten und schwersten Partien des Tenorfachs handelt. In dieser Tenor-Liga ist die Luft sehr, sehr dünn. Über 100 Vorstellungen hat Stephen Gould zwischen 2004 und 2022 alleine in Bayreuth gesungen, bejubelt vom Publikum, das ihn wegen seiner Musikalität und seiner Professionalität über alles liebte. In der Spielzeit 2022 sang er die drei Superhelden auf dem Grünen Hügel sogar parallel, was eine unglaubliche Kondition voraussetzt, ja, eigentlich unmöglich ist. Gut 15 Stunden Musik musste er pro wöchentlichem Zyklus seinen Stimmbändern abverlangen. Der Iron Man von Bayreuth, so nannten ihn Publikum und Kollegen liebevoll und anerkennend.

Todkomisch und urtraurig

Der Tannhäuser in der Inszenierung von Tobias Kratzer wurde ab 2019 sein „Falstaff“-Moment. Tannhäuser als rotnasiger Clown, der sein Leben verpfuscht, weil er immer den falschen Versprechungen hinterherläuft, der die einzige Liebe seines Lebens aus Egoismus und Geltungssucht zerstört. Dieser Tannhäuser ist Rebell und Liebender, Clown und tragischer Held alles in einem, todkomisch, urtraurig – und das Vermächtnis von Stephen Goulds Sängerleben. Tannhäuser hätte er 2023 wieder in Bayreuth singen sollen, dazu den Götterdämmerungs-Siegfried und den Tristan. Im Juli sagte er auf dringenden ärztlichen Rat alle drei Partien ab, verschwieg aber noch, dass er sterben würde, „um die Festspiele nicht zu überschatten“, wie er auf seiner Website erklärt.

Dort verabschiedet er sich auch von Fans, Freunden und Kollegen:„Ich möchte nicht, dass irgendetwas die Leistungen dieses Jahres trübt. Ich bin Bayreuth dankbar, dass ich hier alles gelernt habe, was ich über die Aufführung der Werke dieses großen Musikers (Richard Wagner) zu wissen hoffte.“