Düsseldorf. Moderne Handfeuerwaffe, alte Geschichte: In der Rheinoper Düsseldorf wird der Schurke abgeknallt. Was der neue „Parsifal“ auf die Bühne bringt.

Einerseits ist die Ritterrunde in Wagners „Parsifal“ durchaus auf dem Zenit von Wissen und Macht, gipfelnd im Besitz des Grals. Und doch ist dieser Kreis der Erwählten seit Jahren ein Club der Hilflosen, kreisend um eine Wunde, die nicht heilen will. Sie quält ihren König Amfortas. Im eigenen Saft warten sie alle auf Impuls, der Erlösung heißt. Niemand kann ihn geben, der dem System seit Jahren dient. So schlägt die Stunde des ahnungslosen Titelhelden.

Schutzlos, ja verwundbar lässt Regisseur Michael Thalheimer diesen Parsifal die Bühne betreten. Da tastet sich ein großes Kind zu einer Elite vor, deren uralte Vergangenheit aus viel Schuld und kaum glückender Sühne ihnen längst zur zweiten Haut geworden ist: Aller Gewänder sind blutbefleckt, oft auch Haut und Haar. Und wenn sie sich um ihren Herrscher zum längst ausgehöhlten Ritual des Abendmahls versammeln, lässt Thalheimer sie wie Zombies auf ihre Messe zutorkeln. Unheilvoller Gottesdienst.

„Parsifal“ für Pessimisten: Düsseldorf zeigt die Wagner-Oper in Michael Thalheimers Regie

Düsseldorf hob Sonntag eine Deutung der pessimistischen Art aus der Taufe. Am Ende, schon geschwächt von Abenteuern und Proben aller Art, kehrt Parsifal als Erlöser zurück. Der Speer, der einst die Wunde schlug (und nur er kann sie schließen) taugt ihm allenfalls zur Krücke. Endlich kann der König sterben, aber der neue namens Parsifal übernimmt augenblicklich alle Last, alle Einsamkeit. Es war ein Endspiel von Anfang an.

Der Zugriff erntet Buhs und Begeisterung. Thalheimer hat sich für eine extrem reduzierte Erzählung in diesen (Pausen eingerechnet) fünf Wagner-Stunden entschieden. Das nimmt allen modischen Ballast von Videoprojektion und inflationärem Effektregen von der Bühne. Aber es lastet auch schwer auf einer Geschichte, in der mehr gesprochen als gehandelt wird. So wird der eine diesem Abend eine schlanke Klarheit attestieren, die dem anderen als große Leerstelle von Kreativität erscheinen muss.

Karge Regie, aber dafür fließt reichlich Blut im „Parsifal“ am Rhein

Es liegt auf der Hand, dass die wenigen szenischen Coups das Publikum auf die Stuhlkante treiben. Schüsse in der Rheinoper: Klingsor, gefallener Ritter und Wurzel aller Ritter-Wunden, wird von seiner einstigen Dienerin Kundry abgeknallt. Und wenn diese ewige Sünderin, „wunderbar weltdämonisches Weib“ (Wagner über seine Schöpfung) Parsifal den Kuss der Liebes-Erkenntnis aufdrückt, beginnt er tatsächlich zu bluten. Wissen heißt leiden - und so sparsam Thalheimer mit Requisiten ist, Blut fließt üppig in Düsseldorf in Henrik Ahrs kalten Bühnenraum wandernder Riesenquader, der immer wieder um das Motiv des Kreuzes kreist. Zum großen Wurf, erst recht zum gehobenen Erkenntnisgewinn fehlt der Inszenierung nicht wenig, doch als fein austariertes Konzentrat, das Text und Musik Zeit und Raum hat sie eindeutig Qualitäten.

Hauptrollen im Rheinoper-Parsifal sind auf Festspiel-Niveau besetzt

In mindestens drei Partien ist der Abend auf Festspiel-Niveau besetzt, betörend, sinnlich bis übersinnlich klangschön, sinnlich singt Sarah Ferede Kundry. Hans-Peter König schultert die Rolle des Gurnemanz seit einem Vierteljahrhundert, klug rückt er die Figur vom Onkelhaften ab, ein ausgebrannter Schmerzensmann, bei dessen Zeichnung Königs Kraftreserverven nie versiegen. Fester Tenorstrahl, zarte Lyrismen: Daniel Frank ist ein Parsifal von vokalem Gardemaß. Den Chor lässt Thalheimer im Surround-Sound über alle Ränge erklingen: elektrisierend, wenn auch nicht in jedem Augenblick sicher im Kontakt mit dem Orchester.

Axel Kober am Pult der überwiegend souveränen Düsseldorfer Symphoniker (durchweg großartig die Gruppe der Holzbläser) weiß um die Gefahr im Pathos der Partitur. Sehr klar zieht Kober von Beginn an Wagners erzählerische Linien, ohne wehleidige Weichzeichnerei, nie nachlassend in Wagners spiritueller Klang-Dramaturgie Erkenntnis mit Ekstase zu legieren.

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Rheinoper (Düsseldorf/Duisburg): Parsifal. Fünf Stunden mit zwei Pausen zu je 30 Minuten. Karten 28-109€. Nächste Aufführungen: 23. 9.; 1., 15. und 21.10.