Essen. Weniger Menschen als erwartet gingen am Wochenende in Essen auf die Straße. Warum die Demonstrationen trotzdem bunt und laut waren.

Am Ende haben sie ihn doch nicht verhindern können: die Stadt Essen nicht, die es vorher vor Gericht versuchte, und auch die „zivilen Ungehorsamen“ nicht, die es am Wochenende auf der Straße probierten. Der Parteitag der Alternative für Deutschland (AfD) in Essen ist gelaufen. Nicht ohne, dass um die Grugahalle geschätzte 30.000 Menschen zeigten, dass sie dagegen sind. Drinnen wie draußen sahen die Beteiligten die Demokratie auf ihrer Seite, Delegierte wie Demonstranten wurden von bis zu 4000 Polizisten geschützt. Am Rande kam es trotzdem zu Gewalt: Mehrere Polizisten wurden verletzt, einer liegt noch im Krankenhaus.

Von 80.000 Demonstranten war im Vorfeld die Rede gewesen, aber eigentlich war auch da schon klar: Das waren die angemeldeten Teilnehmer von mehr als 30 Einzelaktionen, viele also mehrfach gezählt. Im Protestcamp übernachten statt 6000 nur ein Zehntel davon, bei der größten Demo sollen es 20.000 sein, bei den verregneten Mahnwachen am Sonntag einige Hundert. Ebenso viele sind es wohl, die schon am frühen Samstagmorgen aufbrechen, den Weg zur Grugahalle zu blockieren. Die „Alerta, alerta, Antifascista!“ schreien, sich erste Handgemenge mit der Polizei liefern, versuchen, Absperrungen zu durchbrechen, weil sie die Delegierten noch aufhalten wollen. „Hat leider nicht geklappt“, wird Rosa Maria unter ihrer „FCK AFD“-Flagge später sagen. Es habe „nur etwas Geschubse“ gegeben.

AfD Holds Federal Party Congress
Demonstranten gegen Polizisten: Zeitweilig war die Stimmung auf Essens Straßen am Samstag aufgeheizt. © Getty Images | Hesham Elsherif

Das ist ein kleines Wort: Von „gewalttätigen Störaktionen“ spricht Polizei-Sprecherin Sylvia Czapiewski. Die Kollegen seien angegriffen worden, es sei zu „Widerstandshandlungen“ gekommen. Videos zeigen, wie die Polizei gegen eine Sitzblockade Schlagstöcke und Tränengas einsetzt. Mehrere „Widersetzen“-Leute werden in Gewahrsam genommen. Dass „einige Demonstranten unsere Einsatzkräfte als ‚Nazipolizisten‘ beschimpfen“, hört Innenminister Herbert Reul früh und wird „wirklich wütend“. Die Polizisten schützten „die Freiheiten und Rechte der Bürger, und zwar aller“.

Allein, es bleibt nicht bei Beleidigungen: Bisher unbekannte Täter, meldet die Polizei, hätten zwei ihrer Kollegen gegen den Kopf getreten, auch als sie schon am Boden lagen. Einer der Beamten sei schwer verletzt worden, liegt im Krankenhaus. Zudem gebe es weitere leicht Verletzte. Die Feuerwehr meldet für den ganzen Samstag rund 40 Rettungseinsätze, auch unter Demonstranten. Gemessen an der Größe der Veranstaltung sei das „nichts“.

Mahnwache gegen den AfD-Bundesparteitag in der Grugahalle in Rüttenscheid.
Samstag Hitze, Sonntag Regen: Nur noch wenige Menschen kamen am Sonntag zu den Mahnwachen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auch zu Scharmützeln mit AfD-Delegierten selbst soll es gekommen sein. Etwa 400 Demonstranten der Gruppe „Widersetzen“ blockieren die Eingänge eines Hotels, in dem Parteimitglieder untergebracht sind, und eine Bäckerei. Beamte einer Hundertschaft müssen die Türen sichern, vor denen teils Vermummte sich aufgebaut haben. Sie begleiten sie hinaus, so wie sie an der Grugahalle einzelnen Autos Geleit geben müssen. Politiker werden mit Polizeischutz zum Parteitag gebracht, ein Video zeigt, wie auch Beatrix von Storch nur im Dauerlauf ihr Auto erreicht. Einem anderen gelingt das nicht so einfach, in einem Handgemenge geht er zu Boden, beißt einen Demonstranten ins Bein.

Die Veranstaltung beginnt trotzdem nur wenig verspätet, die Vorsitzende Alice Weidel sagt: „Was sich hier draußen vor der Halle abspielt, hat mit Demokratie nichts zu tun.“ NRWs Innenminister Herbert Reul sagt das Gegenteil: „Das ist Demokratie.“ Proteste und Kritik seien erlaubt, nur Krawalle nicht.

Festnahme auf dem Parkplatz 2: Hier war die Kundgebung am Samstag meist friedlich, bis auf solche Ausnahmen.
Festnahme auf dem Parkplatz 2: Hier war die Kundgebung am Samstag meist friedlich, bis auf solche Ausnahmen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Es ist viel von der Demokratie die Rede an diesem Tag. Die Wahlergebnisse der AfD, sagt drinnen Björn Höcke, könne man „nicht ignorieren, wenn man sich nicht an der Demokratie vergehen will“. Noch nie war die Demokratie so bedroht wie jetzt, rufen die Demonstranten draußen, wo sie „für die Demokratie“, „für demokratische Werte“ auf der Straße sind, weil „Demokratie nicht selbstverständlich“ sei und sich eine zwar „demokratisch gewählte Partei“ angeblich „nicht demokratisch“ verhalte.

Hintergründe zum AfD-Bundesparteitag in Essen

Derweil wälzt sich der Demozug vom Hauptbahnhof zur Halle, 20.000 sollen es am Ende sein. Sie kommen so bunt, wie sie wollen, dass Deutschland sein möge: im Sommerkleid, in Schwarz, mit Sonnenhüten und Mundschutz, in Regenbogenfarben oder fast ganz nackt, nur mit Anti-AfD-Sprüchen bemalt. Sie hüpfen, gehen schon schwer oder schieben Kinderwagen mit Babys und politischen Botschaften („Habe Uroma gefragt, war damals schon scheiße“). Es ist wie damals im Januar, als die Leute gegen Rechtsextremismus auf die Straße gingen, nur ist jetzt Sommer.

Kilometerlanger Lindwurm: Etwa 20.000 Menschen gingen am Samstag in Essen allein bei der großen Demo auf die Straße.
Kilometerlanger Lindwurm: Etwa 20.000 Menschen gingen am Samstag in Essen allein bei der großen Demo auf die Straße. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Manche Plakate sind aufgehübscht worden seither, professioneller. Die Kirche wirbt für Liebe, vor allem junge Menschen fordern „Wehret den Arschlöchern“, schimpfen über „braune Scheiße“ und stecken den Parteinamen in das Wort „ekelhafd“. Dem Thüringer Höcke gönnen sie fast einen Personenkult, nur im Negativen: Sein Gesicht schwebt tausendfach über den Köpfen; manchmal trägt er Hitler-Bart, fast immer den Vorwurf, ein Nazi zu sein.

Die in Essen demonstrieren, sind „gegen Rassismus und Faschismus“, mindestens aber „gegen Hass und Hetze“. Zugleich ist ihr Schlachtruf: „Ganz Essen hasst die AfD!“ Oder der Ruhrpott. Oder ganz Deutschland. „Man müsste andere Worte finden“, mahnt Monika, die auf einer Bank eine Pause macht. „Die jungen Leute schreien einfach was, aber sie sollten bei der Wortwahl aufpassen.“

+++Großlage AfD-Parteitag+++
Kreativ: der Protest in Essen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Monika hat „Nicht an mein Kumpel packen“ auf ihr Plakat geschrieben, sie meint ihre früheren Arbeitskollegen im Krankenhaus. So viele Nationalitäten haben sie da, „was, wenn die alle rausgeschmissen werden? Dann würde alles zusammenbrechen.“ Ob die AfD das wirklich vorhat, weiß die 67-Jährige nicht. „Wo setzen die die Grenze?“ Monika freut sich über die „friedliche Demo“, von den Ausschreitungen hat sie noch nichts mitbekommen. Dabei ruft von einem Lautsprecherwagen jemand drohend: „Wir müssen Alarm machen gegen die AfD, vor allen Dingen mit allen Mitteln!“

Der Demozug hatte den Grugaplatz fast erreicht, da rückten immer noch Demonstranten aus dem Bahnhof nach.
Der Demozug hatte den Grugaplatz fast erreicht, da rückten immer noch Demonstranten aus dem Bahnhof nach. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Letzteres will die Mehrheit gar nicht. Aber die Zigtausenden sind keine homogene Menge. Es ist Marie aus Dortmund da, die sagt: „Die Geschichte hat gezeigt, dass Hass, Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung noch nie etwas gebracht haben.“ Michael aus Bottrop, dem wichtig ist zu zeigen, „dass viele Menschen anders denken als die 16 Prozent, die AfD gewählt haben“. Birgit aus Düsseldorf, die „unglaublich“ findet, dass „man so eine Partei auch nur im Ansatz gut finden oder wählen kann“. Oder Rosa Maria aus Köln, bei der sogar die Badelatschen gegen die „menschenverachtende“ Partei sind. Die rechte Szene, sagt sie, sei „in der Mitte angekommen“.

AfD-Parteitag in Essen:

Viele gehören zu Parteien, zu Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen. Aber es sind eben auch die Schwarzvermummten da und solche, die zum Schwarz rote Tücher tragen und Fahnen der Kommunisten, der Sozialistischen Arbeiterjugend (SDAJ) oder vom Roten Bund („Nieder mit dem System“). Der Verfassung listet sie alle als „linksextremistische Verdachtsfälle“ – sie sind unter Beobachtung wie die AfD, gegen die sie hier protestieren.

+++Großlage AfD-Parteitag+++ 
Konzerte / Programm auf P2 und Fotos der Lage bis in den späten Abend hinein
Die Besucher der Kundgebung feierten am Samstag nicht lange. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Als die Delegierten die Halle verlassen, ist es still geworden in der Stadt. Vielleicht leidet die Samstagsdemo unter der Hitze, die Mahnwache am Sonntag sicher unter dem Regen. Trotzdem, sagen die Veranstalter von „Essen stellt sich quer“, seien „alle Erwartungen übertroffen worden“. Sogar mehr Menschen hätten protestiert als die AfD Mitglieder hat. Die hat die Partei indes selbst auf 46.900 beziffert. Das aber war draußen vor der Halle nicht zu hören. Ebenso wenig wie drinnen der Protest.

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