Ruhrgebiet. Jugendoffizier Jos Meinköhn spricht mit Schülern über Krieg und Frieden. Warum der Hauptmann aber keinen Nachwuchs rekrutieren will.
Der Soldat ein Staatsbürger in Uniform. Die Bundeswehr ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Jos Meinköhn hat das jetzt schon ein paarmal so gesagt, nun fragt er in die Klasse: „Wer von euch kennt überhaupt einen Soldaten?“ Kaum ein Finger geht hoch. Eigentlich kennen die Jugendlichen nur einen, diesen nämlich, der gerade vorn an der Tafel steht: Hauptmann Meinköhn aus Duisburg, Jugendoffizier der Bundeswehr. Heute im Dienst an der Schule.
Der „Herr Hauptmann“ tritt in seiner grauen Uniform an, gold-bunte Abzeichen auf der Brust, drei Sterne auf der Schulter, das rote Barett liegt auf dem Lehrerpult. Erst am Schiffer-Berufskolleg Rhein in Duisburg, später am Gymnasium Essen-Werden. Unterstufe und zehnte Klasse, hier sind sie mindestens 15 oder gerade volljährig und auffallend aufmerksam. „Die Uniform beeindruckt“, sagt Katrin Michiels, Lehrerin für Politik. Sie hat den Jugendoffizier schon oft eingeladen, auf dem Stundenplan steht Außen- und Sicherheitspolitik, denn es sei „etwas anderes, wenn jemand persönlich erzählen kann“.
Als Hauptmann im Einsatz in Litauen
Und Jos Meinköhn kann das gut. Ein junger Kerl, erst 31, der „Bock“ sagt und „krass“ und dass er nicht wusste, was tun nach dem Abi. Er zeigt Fotos von seinem Hund, aus der Muckibude und von der Grundausbildung („1x1 des Soldaten“): Jos im Tarnanzug bei der Patrouille, „wo ich nicht weiß, wo der Feind sein könnte“. Er erzählt von seinem Einsatz in Litauen, vom BWL-Studium und seiner „ersten richtigen Verwendung als Transportzugführer („keine Amazonpakete, sondern halt Panzermotoren“). Und vom „Military English“, das er drei Monate lernte, wegen der Wörter für „Mörser“ oder „Panzerabwehr“, aber noch mehr für die Verständigung mit Bündnispartnern. „Das Militär ist sehr international geworden.“
Trotzdem ist das hier keine Werbung für die Bundeswehr, das ist den Schulen wichtig, und auch Meinköhn kennt die Debatte um angebliche Rekrutierung: „Nicht alle Leute finden das so toll“, sagt er den Schülern. Wobei man auch das bestellen könnte bei der Armee. Die 16 Jugendoffiziere aus NRW waren im ersten Halbjahr 2024 schon an 402 Schulen, Universitäten, in Vereinen, meist als Referenten für politische Bildung. Sie halten Vorträge, machen mit Jugendlichen Planspiele zur Weltpolitik, stellen sich bei Podiumsdiskussionen dem Publikum. Über Karriere sprechen entsprechend geschulte Offiziere nur, wenn das gewünscht ist. Heute will Meinköhn erzählen, „was die Bundeswehr macht und warum“. Man habe viel gelernt aus dem Zweiten Weltkrieg, das müsse man an die Jugend weitergeben.
Beim Besuch der Bundeswehr geht es um nicht weniger als den Weltfrieden
In Duisburg und Essen geht es also um nicht weniger als den Weltfrieden. Und um die Frage, was Sicherheit überhaupt ist; „frei bewegen“, „wohlfühlen“, „Dach über dem Kopf“, schlagen die Schüler vor. Das entspricht dem Bild der Bundeswehr nach der Wende, als sie öffentlich viel im Inneren auftrat, obwohl dort doch eigentlich die Polizei zuständig ist. Spätestens mit dem „russischen Angriffskrieg auf die Ukraine“ aber, sagt Hauptmann Meinköhn, habe sich der Blick „total verändert“, man gucke nun wieder nach außen. Und müsse auch international immer wieder feststellen: „Es ist doch nicht so einfach, Frieden zu halten, obwohl wir den alle wollen.“
Der Offizier umreißt die „Grundzüge der deutschen Außenpolitik“, EU, NATO, UN, Bündnisfall und Sicherheitsrat. Und er erklärt Artikel 87a des Grundgesetzes, nach dem die Bundeswehr nur für die Verteidigung da ist. Eine Parlamentsarmee, kein Präsident, der entscheiden kann, das Militär loszuschicken! Viele Jugendliche wussten das nicht, Hauptmann Meinköhn sagt später, er sei „stolz darauf, in einer solchen Armee zu dienen“.
Die Entscheidung über den Verteidigungsfall treffe der Bundestag, erklärt er den Klassen, und das mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Erstaunen in Duisburg: „Was, wenn es die nicht gibt? Dann machen wir das nicht???“ Dann machen wir das nicht, bestätigt Meinköhn, sagt aber auch: „Dass Deutschland angegriffen wird, ist sehr unwahrscheinlich.“
- „Die Jugend ist nicht bereit, in Kriegen zu kämpfen“
- Junge Menschen im Wehrdienst: „Muss ich dann mitmachen?“
- Wehrpflicht-Pläne vorgestellt: Das ist Pistorius‘ Modell
Da herrscht in den Schulklassen spürbar Zweifel. Sie sprechen über Russland, aber auch über Mali oder Afghanistan, wo, das findet der Hauptmann, „wir“ immerhin einer Generation gezeigt hätten, wie es anders geht. „Besser“ will er es nicht nennen. Aber mit dem Ende solcher Einsätze sei „die Gefahr, auf Menschen schießen zu müssen, sehr gering geworden“. Sie werden deshalb am Ende auch über die Wehrpflicht reden und bange Frage: Würden wir danach auch eingezogen? Hauptmann Meinköhn ist beeindruckt, das geht ihm immer so: „Viele schlaue junge Menschen, die viel mehr von der Welt und der Politik verstehen, als wir ihnen zutrauen. Denen, die das meinen, muss ich entschieden widersprechen!“
„Die Gefahr, auf Menschen schießen zu müssen, ist sehr gering“
Am Ende dürfen die jungen Menschen doch noch fragen, „was ihr schon immer über die Bundeswehr wissen wolltet“. Da stellen sie die praktischen Fragen. Früh aufstehen, Kommandoton, Alltag? „Nicht so wie zu Hause“, sagt Meinköhn über die „meist alten Kasernen“. „Ich habe immer überlebt, aber ich hatte auch Badelatschen dabei.“ Und der Umgangston sei weniger schlimm, als die Alten erzählen. „Es ist nicht mehr wie im Film“, beteuert Hauptmann Meinköhn, keine übertriebene Härte: „Wenn man die Leute den ganzen Tag anschreien würde, hört ja keiner mehr zu.“ Kollegial und kameradschaftlich gehe es zu bei der Armee: „Die Bundeswehr ist total menschlich geworden.“