An Rhein und Ruhr. Die Zahl der Verstöße gegen die Umweltzone sinkt, die Feinstaubwerte werden an Rhein und Ruhr eingehalten. War es das nun mit den Umweltzonen?
Die Feinstaub- und Stickstoffdioxidwerte wurden in 2021 in NRW eingehalten, die Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen Dieselfahrverbote vom Tisch – die vor Jahren unter vielen kritischen Stimmen eingeführten Umweltzonen aber gibt es immer noch. Angesichts der Einhaltung der Werte stellt sich die Frage: Braucht man sie überhaupt noch? In Erfurt ist die Umweltzone gerade, nach der erfolgreichen Klage eines Taxifahrers, abgeschafft worden.
In den meisten Städten an Rhein und Ruhr, in denen die Umweltzone gilt und eine Einfahrt nur mit grüner Plakette möglich ist, verzeichnen Polizei und Ordnungsämter weniger Verstöße gegen die Umweltzone. In Düsseldorf zählte die Polizei im innerstädtischen Bereich im Jahr 2019 356 Verstöße, 2020 waren es 127 und im vergangenen Jahr nur noch 99. Dazu kommen die Zahlen der Stadt Düsseldorf, die für die Kontrolle des Parkraums zuständig ist. Hier wurden im Jahr 2021 einem Stadtsprecher zufolge 1554 Bußgeldverfahren eingeleitet. Die Verstöße spülten der Landeshauptstadt 43.300 Euro in die Stadtkasse.
In Duisburg steigt die Zahl der Verstöße überraschend
In Oberhausen gab es im Jahr 2021 knapp 1350 Verstöße, geben Polizei und Stadt an. In Dinslaken, der einzigen Umweltzone im Kreis Wesel, zählten Stadt und Polizei 159, in 2020 zählte allein die Polizei 227. In Essen gab es im Jahr 2021 insgesamt 6.262 Verstöße gegen die Plakettenpflicht in Umweltzonen.
In Duisburg stiegen die Zahlen überraschend an. Stellte die Polizei 1386 Ordnungswidrigkeiten diesbezüglich fest, waren es im Jahr 2020 1614 und im vergangenen Jahr 2757. Gemeinsam mit dem Ordnungsamt gab es in Duisburg im vergangenen Jahr 8224 Verstöße, das spülte Bußgelder in Höhe von 142.000 Euro in die Kasse. Rund 37 Prozent der Verfahren sind eingestellt worden, da es sich um Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen handelte.
Besuch von Niederländern im Rotlichtviertel?
Eine mögliche Erklärung für den Anstieg von 2020 auf 2021: Die Duisburger Polizei führte während der Pandemie mehr Verkehrskontrollen durch, weil zum Beispiel Einsätze bei Großveranstaltungen wegfielen. Ein anderer Erklärungsversuch: Das Rotlichtviertel in Duisburg zog während der Lockdown-Zeit im Nachbarland die Niederländer an, die ohne grüne Plakette unterwegs waren, vermutet ein Polizeisprecher.
Das Umweltbundesamt ist der Meinung, dass sich die Umweltzonen in ihrer jetzigen Form mittelfristig überholt haben. Sie seien ein sinnvolles Instrument gewesen, um die Feinstaubbelastung in den Städten zu reduzieren. „Doch das trifft leider nicht auf die Stickoxide zu“, sagt Marcel Langner, beim Umweltbundesamt für Grundsatzfragen der Luftreinhaltung zuständig, im Gespräch mit der NRZ.
Diskussionen um eine blaue Plakette vom Tisch
Eigentlich müssten die Umweltzonen – zum Beispiel durch eine neue Plakette - weiterentwickelt werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Mit einer blauen Plakette dürften beispielsweise dann nur noch Dieselfahrzeuge mit der Euro-Abgasnorm 6d einfahren. Doch dafür hätte die entsprechende Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz geändert werden müssen. Das Ende der Geschichte: Die Diskussionen um eine blaue Plakette sind politisch im Sande verlaufen. Heute gilt: Es gibt nur noch wenige Überschreitungsfälle, dafür lohnt es nicht, eine neue Plakette einzuführen.
Und nun?
Eigentlich wird in vielen Städten kaum etwas anderes getan, als schlicht abzuwarten. Die neuen Diesel-Pkw mit der AbgasnormEuro 6d spucken nämlich deutlich weniger Stickoxide aus, erklärt Langner. Diese Entwicklungen lassen sich auch an den aktuellen Stickstoffdioxid-Werten ablesen. Nach vorläufigen Auswertungen wurden die Grenzwerte im vergangenen Jahr bundesweit nur noch in ein paar Städten überschritten. Aber: In Städten mit Überschreitungsfällen sind weiterhin noch zusätzliche Maßnahmen für bessere Luft nötig.
Filtersäulen reinigen die Luft in Stuttgart
Am Neckartor in Stuttgart beispielsweise sind Filtersäulen aufgestellt worden, die die Luft reinigen. So lange solche Maßnahmen noch notwendig sind, ist eine großflächige Abschaffung der Umweltzonen wohl nicht machbar, schätzt Langner. Formal sei eine Abschaffung übrigens gar nicht so einfach. „In vielen Luftreinhalteplänen ist das Szenario der Aufhebung nicht vorgesehen“, sagt er. Das aber muss darin stehen, um eine Umweltzone abschaffen zu können.
Die IHK Niederrhein, die sich schon bei der Einführung der Feinstaubplakette kritisch gezeigt hat, plädiert für eine Abschaffung der Umweltzonen, weil sich der Effekt aufgehoben habe, meint Ocke Hamann, Verkehrsexperte bei der Industrie- und Handelskammer. Stattdessen sei es „alles bezahlte Bürokratie“, wenn die Polizei Statistiken über die Verstöße führen muss oder Stadtverwaltungen Ausnahmegenehmigungen für bestimmte Fahrzeuge wie Oldtimer bearbeiten und ausstellen müssen.
„Keine gute Werbung fürs Ruhrgebiet“
In Essen gibt es aktuell 39 solcher Ausnahmegenehmigungen, in Düsseldorf sind 10.087 Autos von der Plakettenpflicht ausgenommen, davon 5411 Oldtimer. Dazu kommen 1168 befreite Lkw und 15 Busse. In Duisburg sind 1944 Oldtimer befreit. Ein weiterer Aspekt: Die Schilder mit der Aufschrift „Umweltzone“ seien nicht unbedingt gute Werbung fürs Ruhrgebiet, meint IHK-Experte Hamann. „Es wäre auch ein politisches Signal zu zeigen: An dieser Stelle haben wir kein Problem mehr.“
Die FDP in NRW zeigt sich ob einer Abschaffung ebenfalls nicht abgeneigt, rät aber dazu, noch ein Jahr abzuwarten und die weitere Entwicklung zu beobachten, sagt Ulrich Reuter, verkehrspolitischer Sprecher der Fraktion, im Gespräch mit der NRZ. Denn die letzten Entscheidungen zu den Luftreinhalteplänen seien erst im vergangenen Jahr gefallen. „Wenn man dann feststellt, dass Umweltzonen nicht nötig mehr nötig sind, muss man sie nicht aufrechterhalten.“ In Hannover forderte die niedersächsische FDP-Fraktion bereits 2020, die dortige Umweltzone abzuschaffen.
Mittelfristig wird aber wohl Schwung in die ganze Diskussion um die Luftschadstoffe kommen. Denn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihre Einschätzung für die Grenzwerte aktualisiert – und sieht eine drastische Reduktion vor. Die WHO sieht in hohen Konzentrationen an Luftschadstoffen eine große Gesundheitsgefahr für Menschen. So empfiehlt sie unter anderem, die Stickstoffdioxidwerte von bisher 40 Mikrogramm pro Kubikmeter auf 10 Mikrogramm absenken. Die WHO hat ihre Empfehlungen auch zu anderen Schadstoffen wie Feinstaub, Ozon, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid aktualisiert.
Neue WHO-Empfehlungen könnten Grenzwert-Debatte neu entfachen
Diese WHO-Empfehlung beschäftigt nun die Europäische Kommission, die im Rahmen des Europäischen Green Deals eine Novellierung der Luftqualitätsrichtlinie vorsieht. Gut möglich also, dass EU-weiten Grenzwerte gesenkt oder neue Zwischenziele definiert werden. Das könnte dann wiederum erneut Auswirkungen auf die Städte an Rhein und Ruhr haben.
Neuer Luftreinhalteplan für Düsseldorf
Der Luftreinhalteplan für Düsseldorf wird gerade aktualisiert, „da dort auf Grund der ermittelten Stickoxid-Werte zusätzliche Maßnahmen erforderlich waren, um sicher zu stellen, dass die Werte zukünftig eingehalten werden“, so die Bezirksregierung. In den anderen Städten sei das nicht erforderlich gewesen, daher müssen die anderen Luftreinhaltepläne derzeit nicht fortgeschrieben werden.Einzelne Städte konnten einen Überblick über die Zahl der Fahrzeuge geben, die nicht in Umweltzonen einfahren dürfen: Ohne grüne Plakette waren in Duisburg 7950 Fahrzeuge in 2021 unterwegs, in Düsseldorf sind von insgesamt 330.113 Kraftfahrzeugen 11.270 ohne grüne Plakette zugelassen.
Was allerdings laut Langner fehlt, ist eine europaweite Regelung im Umgang mit schadstoffbezogenen Kennzeichnungen von Fahrzeugen. In Tschechien gelten beinahe dieselben Regelungen wie in Deutschlands Umweltzonen, in Frankreich sei das System hingegen viel differenzierter. Und auch die Belastung ist unterschiedlich; während in Polen und Italien eine eher hohe Feinstaubkonzentration zu verzeichnen ist, hat Irland kaum Probleme damit, so Langner. „Es ist schwierig, Grenzwerte zu finden, die für alle in Ordnung sind“, benennt er das Problem.
Die Bezirksregierung Düsseldorf, mit den Kommunen zuständig für die Erarbeitung von Luftreinhalteplänen, hegt auf Nachfrage der NRZ für den Regierungsbezirk keine Überlegungen, die Umweltzonen abzuschaffen. „Die diesbezüglich getroffenen Regeln stellen nach wie vor sicher, dass die bestehenden Luftgrenzwerte eingehalten werden. Auch vor dem Hintergrund der international diskutierten Verschärfung der einzuhaltenden Grenzwerte erscheint uns ein solcher Schritt zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll“, teilt uns eine Sprecherin mit.