Hamburg. Laut dem Verband für Schiffbau und Meerestechnik in Hamburg droht Europa der Totalverlust des Seeschiffbaus. Die Gründe.
Alljährlich berichtet der in Hamburg sitzende Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) über die Lage der deutschen Werften und ihrer Zulieferer. Dabei warnt er seit Jahren vor strukturellen Verschiebungen des Marktes nach Asien. Doch jetzt sieht er einen dramatischen Substanzverlust im deutschen und europäischen Schiffbau, der letztlich dessen Niedergang bedeuten könnte.
Zwar habe sich der Weltmarkt im vergangenen Jahr positiv entwickelt, zeigte der Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken auf. Die Zahl der Aufträge sei im Vergleich zum ersten Corona-Jahr 2020 um annähernd 100 Prozent gestiegen, Auftragseingänge würden die Zahl der Ablieferungen übersteigen. Die Sache hat nur einen Haken: Beim deutschen Schiffbau kommt davon nichts an.
Hafen Hamburg: Bestellung in Europa nahmen ab
„Trotz einer Verdopplung der globalen Schiffbaunachfrage nahmen die Bestellungen in Europa auch im Vergleich zum extrem schlechten Vorjahr noch einmal um 20 Prozent ab. Inzwischen gehen 85 Prozent aller Aufträge weltweit an China und Korea“, sagte Lüken. Selbst Japan, das immer noch eine hohe Inlandsnachfrage aufrechterhält, trage inzwischen keine zehn Prozent mehr bei. Europas Marktanteil sei auf unter vier Prozent gefallen. „Dabei hatten wir einmal 45 Prozent“, ergänzte der Verbandspräsident und Chef der familieneigenen Fassmer Werft in Berne an der Weser, Harald Fassmer.
Mit 54 Schiffen im Gesamtwert von 15 Milliarden Euro sei der Auftragsbestand des zivilen deutschen Schiffbaus zum Ende des Jahres 2021 auf den niedrigsten Wert seit sechs Jahren gefallen. Ohne durchgreifende Veränderung der politisch definierten Rahmenbedingungen werde Europa in den kommenden zehn Jahren die Fähigkeit zum zivilen Seeschiffbau in signifikanten Umfang verlieren.
Chinesische Werften bieten extrem niedrige Baupreise an
Grund für die massive Bedrohungslage ist nach Ansicht des VSM die hohe Subventionierung des Schiffbaus in China und Korea, die es in Deutschland und Europa nicht in dem Maße gebe. „Dort werden Förderungen daran gekoppelt, dass das Schiff vor Ort gebaut wird“, so Lüken. Als Vergleich zieht er die Preisentwicklung heran: „Obwohl einige Marktsegmente eine Rekordnachfrage verzeichnet haben, bieten chinesische Werften heute Baupreise an, die um bis zu 30 Prozent niedriger sind als vor 15 Jahren. Und das in einem Zeitraum, in dem der durchschnittliche Lohn in China um knapp 400 Prozent gestiegen ist. Das geht nur mit staatlicher Unterstützung.“
Die Folge: Schon heute sei die maritime Wirtschaft in Deutschland überdurchschnittlich in erheblichem Umfang von Lieferungen aus China abhängig. Deutsche Reeder hätten im vergangenen Jahr Schiffsneubauten im Wert von vier Milliarden Euro bestellt. 55 Prozent davon gingen nach China, 44 Prozent nach Korea. „Obwohl die Reedereiwirtschaft durch erhebliche Steuermittel unterstützt wird, verbleiben gerade einmal ein Prozent des deutschen Neubauvolumens in der EU“, beklagt Fassmer.
MV Werften meldeten Insolvenz an
Gleichzeitig würden viele deutsche, maritime Zulieferunternehmen wie in anderen Branchen mit wachsenden Problemen in ihrem Chinageschäft konfrontiert. Die Bevorzugung lokaler Zulieferprodukte, Diskriminierung und Gängelung durch Parteifunktionäre – gute Geschäfte ließen sich nur noch machen, wenn der chinesische Kunde auf das deutsche Produkt unbedingt angewiesen ist.
Um der Vormachtstellung asiatischer Werften etwas entgegenzusetzen, hätte sich die heimische Schiffbauindustrie in den vergangenen Jahren auf hoch spezialisierte Aufträge wie Kreuzfahrtschiffe, Yachten, Marineeinheiten und andere Behördenfahrzeuge als Ausweg aus den jahrzehntelangen Marktverzerrungen konzentriert. Die pandemiebedingte Krise der Kreuzfahrtindustrie habe die Achillesferse dieser Entwicklung offengelegt: Die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern seien in die Insolvenz gerutscht, ebenso die Lloyd-Werft Bremerhaven.
Maritime Wirtschaft beim Einsatz von LNG wichtig
Und auch die Pleite Deutschlands ältester Werft, Pella Sietas in Hamburg, sei durch die Pandemie beschleunigt worden. Ein weiteres Standbein deutscher Werften – nämlich der Bau von Megayachten – wird durch den Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen ausgebremst. Für viele russische Oligarchen ist der Einkauf bei deutschen Werften erst einmal vorbei. Die Hamburger Traditionswerft Blohm + Voss hat 123 Stellen abgebaut. „Wir können nur hoffen, dass der Konflikt schnell beigelegt wird und sich der Markt wieder normalisiert“, sagt VSM-Präsident Fassmer.
Auch wenn die Nischenproduktionen in Zukunft weiterhin eine wichtige Rolle im deutschen Schiffbau spielten, müssten hiesige Werften ein zusätzliches Standbein aufbauen, fordert der VSM. Die Lage sei günstig: Für die Produktion und den Import nachhaltiger Energie, um die Klimawende zu schaffen, spiele die maritime Industrie eine Schlüsselrolle. Schon beim Einsatz von Flüssigerdgas (LNG) als Brückentechnologie sei die maritime Wirtschaft wichtig. Auch bei klimaneutralen Kraftstoffen werde die Versorgungslogistik durch Schiffe bedeutsam.
Hafen Hamburg: VSM fordert Subventionen
„Bei der Suche nach alternativen Lösungen unabhängig von russischen Energieträgern kommt der maritimen Industrie eine zentrale Rolle zu. Die maritime Wirtschaft sorgt für die globale Vernetzung der deutschen Volkswirtschaft, ermöglich die Diversifikation von Bezugsquellen für Energieträger, essenzielle Rohstoffe und Vorprodukte und reduziert so Abhängigkeiten“, sagte Fassmer.
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Als Ausweg aus der Misere, fordert der VSM einen ganzen Strauß an Subventionen: Hermes-Kreditversicherungen sollen anders als bisher für inländische Schiffseigner auch dann kostenneutral sein, wenn das in Deutschland gebaute Schiff im Ausland eingesetzt wird. Für die Beschaffung besonders klima- und umweltfreundlicher Schiffe soll ein dauerhaftes Förderprogramm bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bereitgestellt werden. Die VSM fordert zudem einen Investitionsfonds für eine umweltfreundliche Küstenschiffsflotte, der durch staatliche Garantien abgesichert wird. Wünsche gibt es viele. Die Frage ist, welche die Bundesregierung aufgreift.