Hamburg. 1635 wurde der Schiffbauer erstmals erwähnt. 2021 musste er Insolvenz anmelden. Wie es dazu kam und wie es in Neuenfelde weitergeht.
Die hölzerne Tafel steht noch am Hafenbecken der Hamburger Werft Pella Sietas in Neuenfelde. Sie weist die Verantwortlichen für einen Schiffsneubau aus. Projektleiter, Technischer Leiter, Maschinenbauer, Elektriker: Tabellarisch sind die Namen daneben fein säuberlich aufgelistet. Doch das hinter der Tafel liegende Dock ist leer. Weit und breit kein Schiff. Daneben ein verlassener Kran. „Bei Störung bitte Knopf drücken“, steht auf einem Schild. Doch wenn man ihn drückt, kommt niemand.
Denn es ist niemand mehr da. Ende Juli 2021 hat die Werft Insolvenz angemeldet. Die Gesellschaft ist aus dem Register gelöscht worden, alle 300 Mitarbeiter sind nach Hause gegangen. Fast alle. Martin Stolzenberger steht am Kai und schaut auf das leere Dock. Früher war er Betriebsleiter bei Pella Sietas. „Heute bin ich hier der Hausmeister und kehre die Scherben zusammen“, sagt er.
Hafen Hamburg: Pella Sietas musste Insolvenz anmelden
Finanzielle Engpässe, Missmanagement und schließlich die Corona-Krise haben zur Pleite geführt. Schon im Mai konnte die damalige russische Führung der Werft ihren Mitarbeitern kein Gehalt mehr bezahlen. Eigentlich viel zu spät habe das Management die Zahlungsunfähigkeit festgestellt, sagt der zuständige Insolvenzverwalter, der Hamburger Rechtsanwalt Achim Ahrendt. Als er die Werft übernahm, fand er eine leere Kasse vor. Er wirft der ehemaligen Führung um Pella-Eigentümer Garegin Tsaturov Insolvenzverschleppung vor. Auch Stolzenberger wartet an diesem windig-kalten Februarmorgen noch immer auf seine Gehälter für Mai und Juni vergangenen Jahres.
Das Geld kann er abschreiben. Aber er bleibt trotzdem an Bord. 29 Mitarbeiter habe die Werft aktuell noch, sagt er. Neun seien zur Bewachung des Baggerschiffs für den Bund abgestellt. Es war der letzte Großauftrag der Werft, der fast fertiggestellt werden konnte. Es fehlten nur noch Teile der Ausrüstung als die Zahlungsunfähigkeit kam. Heute dümpelt das fast fertige Schiff an einem Kai bei Blohm + Voss herum. Insolvenzverwalter Ahrendt bemüht sich darum, die Fertigstellung zu organisieren, so lange zahlen die Bundesbehörden eine saftige Kaimiete an Blohm + Voss.
Eine halb fertige Autofähre wird die insolvente Werft nicht los
Die restlichen 20 Mitarbeiter befinden sich auf dem Werftgelände und räumen zusammen, was verkauft werden kann, darunter drei Sektionen einer neuen Autofähre für die Reederei Norden Frisia. Sie stehen am Rand einer ansonsten leeren Schiffbauhalle. Norden Frisia war sofort, als die Insolvenz bekannt wurde, vom Vertrag zurückgetreten. Auch Versuche des Insolvenzverwalters, die Reederei doch noch einmal zur Abnahme des Schiffs zu motivieren, blieben ohne Ergebnis.
„Inzwischen hat sich der politische Wind gedreht. Die Insel Norderney soll autofrei werden. Da benötigt man auch keine Autofähre mehr“, sagt Stolzenberger. Dem Vernehmen nach soll sich der bekannte Hamburger Reeder Peter Döhle nun um einen Verkauf der Schiffsteile kümmern. „Schade. Wir hätten das Schiff gerne fertig gebaut“, sagt Stolzenberger. Die ganze Ausrüstung sei noch da, originalverpackt in einer anderen Halle abgestellt.
Einer der Schätze von Pella Sietas: das Schwimmdock
Gerade stößt der Noch-Betriebsratschef der Werft, Georg Netuschil, zu Stolzenberger. Auch er steht weiter auf der Lohnliste des Insolvenzverwalters, um die Abwicklung der Werft von Arbeitnehmerseite zu überwachen. Wenigstens er hat gute Nachrichten mitgebracht. „Etwa 60 Prozent der Kollegen haben inzwischen einen neuen Job. Viele im Stahlbau“, erzählt er. Aber bei den Löhnen hätten sie doch zum Teil erhebliche Abschläge hinnehmen müssen. Auch Netuschils Sohn war unter den Entlassenen: „Er hat es nun aber ganz gut getroffen und ist bei der Kupferhütte Aurubis untergekommen.“
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Zusammen schauen sie nun, was man einem möglichen Investor als Wert anbieten könnte. Wie zum Beispiel den Schwerlastkran Jucho, der mehr als 400 Tonnen heben kann. Am westlichen Rand der Werft steht eine recht neue Halle, die für mittelgroße Gewerbebetriebe ideal wäre. „Es geht um 14 Hektar, die man auch aufteilen könnte“, heißt es aus dem Büro des Insolvenzverwalters. Und dann ist da auch noch das leere Schwimmdock, einer der Schätze der ansonsten leeren Werft. „Wird das Schwimmdock verkauft, ist die Werft endgültig tot“, sagt Stolzenberger.
Sietas war der älteste deutsche Schiffbaubetrieb
In Neuenfelde stirbt eine stolze und langjährige Schiffbautradition. Die Sietas Werft im Alten Land direkt an der Este-Mündung, die zuletzt der russischen Pella Gruppe gehörte, war der älteste deutsche Schiffbaubetrieb. 1635 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt. Sie repräsentierte den Hamburger Schiffbau lange bevor Hermann Blohm und Ernst Voss dem Hamburger Senat die Kuhwerder Insel abkauften, um dort die nach ihnen benannte Werft zu errichten.
Sietas war der Nukleus eines Gewerbezweigs, der die ganze Region beherrschte. Zwischenzeitig existierten an der Este-Mündung drei miteinander benachbarte Werften. Neben Sietas waren das die Werft Holst, die 1959 finanziell Schiffbruch erlitt, und die H. Rancke Werft, die 1968 von Sietas übernommen wurde. Zusammen bildeten die drei den bedeutendsten norddeutschen Lieferanten von Küstenmotorschiffen (Kümos), Fischkuttern, Barkassen, Hafenschleppern und Schuten jeder Art. Die Sietas Werft stieg sogar zu einem der wichtigsten Containerschiffbauer auf, bis deutlich günstigere asiatische Konkurrent ihr den Rang ablief. Geblieben ist nichts, außer ein paar leer stehenden Hallen und viele Erinnerungen.
"Schiffbau und Obstanbau haben das Alte Land geprägt"
Auf diese trifft man auch, wenn man durch Neuenfelde spaziert. Die Werft vor dem Deich ist leer, doch dahinter gibt es Leben, gepaart mit Entsetzen über das klägliche Ende der einst stolzen Industriestandorts „Schiffbau und Obstanbau haben gemeinsam das Alte Land über Jahrhunderte hinweg als Kulturlandschaft geprägt. Und jetzt bricht auf einmal eine der beiden Säulen weg. Das ist schlimm“, sagt Manfred Hoffmann. Er ist Mitgründer und langjähriger Sprecher der Bürgervertretung Neuenfelde-Francop-Cranz. Wie viele Neuenfelder glaubt er nicht, dass hier der Schiffbau fortgesetzt wird.
Nicht zuletzt wegen der ständigen Verschlickung des Werfthafens hinter den Flutschutztoren der Este-Mündung. Mühsam habe der Schlick immer wieder ausgebaggert werden müssen. Es war ein ewiger Kampf mit Hamburgs Behörden. Als die IG Metall im Juni 2020 eine Unterschriftenaktion gestartet hatte, mit der der Hamburger Senat aufgefordert wurde das Schlickproblem bei Pella Sietas zu lösen, habe jeder unterzeichnet, der in Neuenfelde einen Stift halten konnte, so Hoffmann.
Sietas rutschte erstmals 2012 in die Insolvenz
Schon einmal war Sietas in die Insolvenz gerutscht. Das war 2012, als die Schifffahrtskrise zuschlug, und viele Reeder ihre Neubau-Bestellungen stornierten. Das habe Neuenfelde „in Schockstarre“ versetzt, sagt Hoffmann. Damals sei die Bindung des Ortes an die Werft viel enger gewesen – nicht zuletzt weil viele Neuenfelder auf der Werft gearbeitet hatten. Und Johann Jacob Sietas habe sich immer auch um Neuenfelde gekümmert. „Wenn wir neue Geräte für einen Spielplatz benötigten, war Sietas zur Stelle. Und die Handwerksbetriebe der Werft haben immer auch der Nachbarschaft unter die Arme gegriffen.“ In etlichen Wohnstuben in Neuenfelde stehen heute noch Möbelstücke, die die Tischlerei der Werft gefertigt hat. Auch Hoffmann hat von dort die Türen für sein Haus bekommen.
Schließlich hat die einst prosperierende Werft das Ortsbild Neuenfeldes geprägt. In den 1980er-Jahren kamen viele Türken, die auf der Werft arbeiteten, mit ihren Familien. Sie lebten zunächst in Wohnheimen, die es heute nicht mehr gibt. Später entschloss sich die Familie Sietas, eine eigene Wohnanlage, die Seehof-Siedlung, aus dem Boden zu stampfen. Hier konnten viele Mitarbeiter der Werft wohnen. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund ist hier noch heute sehr hoch.
„Ganze Regionen haben damals gelitten, Neuenfelde nicht“
Wer verstehen will, wie eng die Verbindung zwischen Sietas und Neuenfelde ist, der muss sich nur das Logo der Kirchengemeinde St. Pankratius ansehen, auf dem die Schiffbauwerft abgebildet ist. „Die Sietas Werft hatte lange eine große wirtschaftliche Bedeutung für Neuenfelde“, sagt Pastor Ralf Euker. An der Stahlkrise in den 1980er-Jahren seien viele Schiffbaubetriebe zugrunde gegangen. Sietas nicht. Das Unternehmen war bereits früh zur Sektionsbauweise übergegangen, wodurch man die Bauzeiten verkürzen und Schiffe in standardisierten Serien herstellen konnte. „Ganze Regionen haben damals gelitten, Neuenfelde nicht“, sagt Euker.
Der Stadtteil hat 4900 Einwohner, wirkt ein wenig zersiedelt mit seinen Obstplantagen und Bauernhöfen. Er verfügt aber über eine intakte Nachbarschaft, in die sich die Werft stets perfekt eingefügt hat. Gefördert werden diese guten nachbarschaftlichen Beziehungen auch durch ein auffallend ausgeprägtes Vereinsleben Mehr als zehn eingetragene Vereine zählt man, was sogar für ländliche Verhältnisse viel ist. Welches Dorf hat sonst zwei Freiwillige Feuerwehren im Norden? „Das kommt daher, dass Neuenfelde aus dem Zusammenschluss zweier Dörfer entstanden ist, die ursprünglich jeweils ihre eigene Freiwillige Feuerwehr hatten, nämlich Hasselwerder und Nincop“, sagt Peter Quast.
Sietas und Neuenfelde: "Am schönsten war es in den 1950er- und 60er-Jahren"
Er kennt sich aus, hat seinen Hof 500 Meter östlich der Werft. Quast ist auch Vorsitzender des Heimatvereins, der zur 900-Jahr-Feier der Geburt Neuenfeldes 1959 gegründet wurde. Er weiß viel über die Familie Sietas zu berichten – und das aus gutem Grund: „Johann Jacob Sietas hat hier noch als Kind auf dem Fußboden gespielt“, sagt er und zeigt auf den Teppich. „Mein Vater und sein Vater waren Cousins.“
Eine besonders enge Bindung zwischen den Familienzweigen der Obst- und Schiffbauern habe zwar nicht bestanden. Aber die Teilnahme Neuenfeldes an der Entwicklung der Werft sei immer groß gewesen. „Am schönsten war es in den 1950er- und 60er-Jahren, in der Blütezeit. Da hat die Werft annähernd alle vier Wochen ein neues Schiff abgeliefert.“ Meistens sonnabendnachmittags, bei Hochwasser seien die Schiffe zu Wasser gelassen worden. „Und wir Kinder standen auf dem Deich und schauten zu.“ Die Termine kannten damals alle in Neuenfelde.
Werftkräne werden gewartet, aber nicht für den Schiffbau
Zurück auf der Werft. Am östlichen Ende tut sich etwas. Hier stehen Container, die man am frühen Morgen von einer Schute in den Werfthafen gebracht hat. Jetzt werden die Stahlboxen ausgeladen, und Laster fahren vor, um die Ladung aufzunehmen: Komponenten für den Bau einer neuen Fabrik. Es handelt sich um einen Auftrag der Este Projekt Service (EPS), eines kleinen Hafendienstleisters, der eigentlich neben der Werft sitzt, aber deren Flächen schon seit Längerem mit nutzt.
Der Geschäftsführer, Kapitän Habbo Stark, gibt einem der Lkw-Fahrer eine Anweisung, dann tritt er zu der kleinen Gruppe um Stolzenberger und Netuschil. „Der Auftrag läuft jetzt hoch“, informiert er sie. „Im Mai und im Juni werden hier bis zu 80 Container in der Woche ankommen und gelöscht werden müssen. Und da wir die Werftkräne dazu benötigen, haben wir uns bereit erklärt, deren technische Abnahme durch den Tüv zu bezahlen. So bekommt ein neuer Investor gleich gewartete Kräne hinzu“, sagt Stark. Zudem zahle man Miete.
Pella Sietas : Gibt es noch Hoffnung?
Stark hofft, die symbiotische Zusammenarbeit mit der Werft unter einem neuen Investor fortsetzen zu können. „Der hätte dann auch gleich einen guten Mieter“, sagt er. Die EPS arbeitet eng mit Siemens zusammen. Der Münchner Elektronikkonzern lässt in seinem Werk in Görlitz Turbinen bauen. Früher wurden diese über die Elbe zum Export in den Hafen gebracht. Doch seitdem sie weniger Wasser führt, ist der Fluss zu flach. Deshalb werden die Turbinenkomponenten nun mit Lastwagen nach Hamburg gebracht und bei EPS zusammenmontiert.
Gibt es doch noch ein Fünkchen Hoffnung für die Werft? Vielleicht. Doch dass hier noch einmal Schiffbau stattfinden wird, glaubt in Neuenfelde niemand. „Es wird aber weiter Wert darauf gelegt, dass die städtebauliche Nutzungsausweisung als Industriegebiet bleibt“, sagt Bürgervertreter Hoffmann. Möglichst ökologisch verträglich. Nun bleibt abzuwarten, wie es kommt. Die Werftensirene heult, bittet zur Mittagspause. Traurig, dass niemand mehr da ist, der sie mit Leben erfüllt.