Miami/Hamburg. Rund 8500 Menschen passen auf die „Oasis of the Seas“, eines der beiden größten Kreuzfahrtschiffe der Welt.
Es herrscht Vorweihnachtsstimmung auf der „Oasis of the Seas“. Auf dem zentralen Einkaufsboulevard schlendern die Kreuzfahrtgäste an einem mit Geschenken beladenen Oldtimer vorbei, ein drei Meter hoher Tannenbaum ragt – mit roten Kugeln beladen – in die Höhe. Leu
chtsterne glitzern an der Decke. Wer möchte, kann auf einem anderen der 18 Decks die Schlittschuhbahn besuchen und ein paar Runden drehen.
Die Szenerie wirkt ein wenig skurril, hier in Florida, bei Außentemperaturen von 30 Grad und einer Luftfeuchtigkeit, die jeden Aufenthalt außerhalb klimatisierter Räume in ein Dampfbad verwandelt. Wirklich verlassen müssen die Gäste der „Oasis of the Seas“ ihre glitzernde Scheinwelt aber ohnehin nicht. Das Schiff der Reederei Royal Caribbean, das gerade im Hafen Fort Lauderdale nahe Miami liegt, gilt zusammen mit der Schwester „Allure of the Seas“ als das größte seiner Art weltweit. Es ist eine Kleinstadt auf hoher See mit 6000 Passagieren. Hinzu kommen 2500 Mann Besatzung.
Elf genauso und größere Schiffe sollen noch kommen
Der Rundgang über die „Oasis“ zeigt, in welchen Dimensionen sich die internationale Kreuzfahrtbranche mittlerweile bewegt. Angesichts des weltweiten Booms in diesem Sektor investieren vor allem die großen US-Reedereien in immer neue Massenfrachter, die Tausende Passagiere gleichzeitig über die Weltmeere schippern. Allein im kommenden Jahr werden elf zusätzliche Schiffe in Dienst gestellt, darunter auch das Nachfolgemodell der „Oasis“, die „Harmony“, die noch mal einen Tick größer ist als das Schwesterschiff und maximal fast 6500 Passagiere befördern kann.
Wie groß schon die im Jahr 2009 in Dienst gestellte „Oasis“ ist, zeigt sich an ein paar Details. Das Schiff verfügt nicht nur über fast 2000 Balkone an der Außenseite, es gibt auch Balkone, die sich zur Innenseite öffnen. Die Gäste blicken dann nicht aufs Meer, sondern auf einen künstlichen Park mit tropischen Pflanzen, das Vogelgezwitscher kommt vom Band. Besonders betuchte Kundinnen können im sogenannten Central Park bei Tiffany’s sündhaft teure Diamantringe erstehen. Auf dem Schiff befindet sich die erste schwimmende Filiale der Juwelierkette überhaupt, sie ist gerade erst eröffnet worden. Die größten Kabinen erstrecken sich über zwei Etagen und wirken wie kleine Maisonettewohnungen – auf der oberen Ebene das Doppelbett, unten Wohn- und Badezimmer.
Kapitän Trym Selvag dürfte einer der wenigen Männer in der Seefahrt sein, der nicht mehr von der einen Nock seiner Brücke bis zur anderen sehen kann, dafür ist die „Oasis“ mit ihren 60 Metern schlicht zu breit. Als störend empfindet er dies nicht, es gibt genügend Technik, die ihm das Manövrieren des Vergnügungsdampfers erleichtert. Der gebürtige Norweger dürfte auch der Einzige sein, auf dessen Brücke eine Sitzgruppe mit bequemen, goldfarbenen Sesseln steht, um Besucher willkommen zu heißen.
Selvag wird die „Oasis“ bald durch die westliche Karibik steuern, zu einer Halbinsel namens Labadee, die eigentlich zu Haiti gehört, tatsächlich aber exklusiv von Royal Caribbean zum Baden gepachtet wurde. Von dort geht es weiter nach Jamaika und Cozumel in Mexiko. Wirklich wichtig ist das allerdings nicht, denn die eigentliche Attraktion einer Kreuzfahrt dieser Art sind nicht die besuchten Länder, es ist das Schiff selbst.
In einer Bar werden Roboter Cocktails mixen
Der Mann, der für die immer neuen Größenrekorde in der Kreuzschifffahrt verantwortlich ist, heißt Adam M. Goldstein, ein Manager mit schmalem Gesicht und fast asketischer Erscheinung, der seine Abschlüsse auf den US-Eliteuniversitäten Princeton und Harvard erworben hat. Der Präsident und Chief Operating Officer von Royal Caribbean empfängt seine Gäste in einem Konferenzraum mit Blick auf den Hafen von Miami, in dem Kreuzfahrtpassagiere so schnell abgefertigt werden wie in Hamburg die Container. Fast fünf Millionen waren es in diesem Jahr. 2020 sollen es sieben Millionen sein.
„Ich glaube nicht, dass wir das Limit bei der Größe der Kreuzfahrtschiffe schon erreicht haben“, sagt Goldstein. Vielleicht werde es eine kleine Pause geben, aber er selbst könne sich durchaus noch größere Modelle als die „Oasis“ oder „Harmony“ vorstellen. Für den Royal-Caribbean-Chef hat Größe vor allem mit der Vielfalt des Angebots zu tun. „Wir wollen unseren Passagieren eine möglichst umfangreiche Auswahl an Aktivitäten bieten“, sagt er. Auf der „Harmony“, die derzeit auf der Werft STX in St. Nazaire entsteht, wird beispielsweise eine Rutsche über zehn Decks installiert. Sie heißt Ultimate Abyss (Ultimativer Abgrund). An einer Bionic Bar werden Roboter Cocktails mixen. Im bordeigenen Theater werden sie ein Ballett aufführen.
Künstliche Crewmitglieder sollen vom kommenden Jahr an auch auf den Schiffen des größten Konkurrenten von Royal Caribbean, der Carnival-Gruppe, zum Einsatz kommen. Sie hören auf den Namen Pepper und sollen Passagieren bei der Orientierung an Bord und beim Einchecken behilflich sein. Alle Aida- und Costa-Schiffe, die zu Carnival gehören, werden sukzessive mit den mechanischen Stewards ausgerüstet. Man möchte technologisch nicht hinter dem Wettbewerber zurückstehen.
Wirklich nötig hat Carnival solche Muskelspiele eigentlich nicht. Konzernchef Arnold Donald, der ebenfalls in Miami sitzt, strahlt das Selbstbewusstsein eines weltweiten Marktführers aus. Breites Lächeln, joviale Art, kräftiger Händedruck. Der 60-Jährige ist der erste Afro-Amerikaner auf dem Posten, eine Ausnahmeerscheinung in der Branche. Konkurrent Royal Caribbean mag die Schiffe mit den meisten Betten und den neuesten Innovationen haben, doch die Flotte von Carnival ist mit fast 100 Schiffen deutlich größer. Nicht nur die Aida- und Costa-Schiffe gehören dazu, sondern auch die Marken Seabourn, P&O Cruises, Princess und Cunard („Queen Mary 2“). Der Marktanteil liegt bei 50 Prozent. Der Konzern hat 120.000 Beschäftigte.
18 neue Schiffe hat Carnival derzeit geordert. Man hätte gern mehr bestellt, aber auf den weltweiten Werften sind nicht mehr Kapazitäten frei. Im Augenblick wird gerade die „AIDAprima“ in Nagasaki bei Mitsubishi Heavy Industries ausgerüstet, die vom April kommenden Jahres an von Hamburg aus wöchentlich zu den Metropolen Westeuropas schippert. Wegen der eher schwierigen Wetterbedingungen hierzulande haben die Designer vor allem darauf geachtet, dass auch bei Regen und im Winter Sommerfeeling aufkommt. Deshalb erhält der schiffseigene Beach Club ein UV-durchlässiges Foliendach, auf das sich am Abend bei Bedarf auch ein Sternenhimmel und Lasershows projizieren lassen. Eine Schlittschuhbahn und einen Klettergarten gibt es ebenfalls.
Mehr als solche technischen Spielereien hebt man bei der Muttergesellschaft Carnival allerdings die neue Antriebstechnologie der „AIDAprima“ hervor. Ein von Mitsubishi entwickeltes Verfahren soll das Schiff auf einem Teppich aus Luftbläschen gleiten lassen, wodurch der Treibstoffverbrauch reduziert wird. Erstmals kommen auch Hybridmotoren zum Einsatz, die nicht nur mit Schiffsdiesel, sondern auch mit dem weniger umweltschädlichen Flüssiggas (englisch liquefied natural gas, kurz LNG) betrieben werden können.
Flüssiggas als der Treibstoff der Zukunft
Für Carnival-Chef Arnold Donald ist LNG der Treibstoff der Zukunft. Er könne sich durchaus vorstellen, künftig alle neuen Schiffe mit Flüssiggas zu betreiben, sagt der mächtigste Mann in der weltweiten Kreuzfahrtindustrie. Vier weitere Aida- und Costa-Schiffe, die der Konzern auf der Papenburger Meyer Werft und bei Meyer Turku in Finnland geordert hat, werden ausschließlich über einen LNG-Antrieb verfügen. Mit 6600 Passagieren werden die Costa-Schiffe der sogenannten Helios-Klasse, die 2019 und 2020 ausgeliefert werden, noch größer als die im Bau befindlichen neuen Modelle des Konkurrenten Royal Caribbean.
Das große Problem bei Flüssiggas allerdings ist die Verfügbarkeit in den weltweiten Häfen. Mit Hochdruck ist Carnival derzeit dabei, entsprechende Vereinbarungen mit europäischen und amerikanischen Ports zu treffen. Auch in Hamburg laufen die Gespräche. Dass die weniger umweltschädliche LNG-Technologie zuerst bei den deutschen Aida-Schiffen zum Einsatz kommt, ist kein Zufall. Es hat mit den Besonderheiten des deutschen Kreuzfahrtmarktes zu tun. Hierzulande gelten die Passagiere als besonders umweltbewusst, in den USA spielen diese Erwägungen eine weitaus kleinere Rolle.
Weltweit ist der deutsche Kreuzfahrtmarkt der zweitgrößte, weshalb auch Hamburg als wichtigster nationaler Hafen bei den Marktführern eine entscheidende Rolle spielt. Die größten Wachstumsraten erwarten alle Konzerne allerdings in China. Carnival hat Ende Oktober ein Joint Venture mit der staatlichen China State Shipbuilding Corporation gegründet, um eine nationale Kreuzfahrtmarke im Reich der Mitte aufzubauen. Die Tochter Aida wird 2017 ein Schiff ausschließlich für diesen Markt in Betrieb nehmen – mit Restaurants und Unterhaltungseinrichtungen, die speziell auf den chinesischen Geschmack zugeschnitten sind.
Das Milliardenvolk ist gerade erst dabei, den Urlaub auf dem Meer für sich zu entdecken. Der Wettlauf um die neue Zielgruppe hat begonnen.