Brüssel. EU-Rechnungshof warnt: Tricks bei Lebensmittel-Kennzeichnung können der Gesundheit der Verbraucher schaden. Wer besonders betroffen ist.
Das erleben viele Verbraucher täglich beim Einkauf: Auf den Lebensmittel-Verpackungen wimmelt es nur so von Gütesiegeln, Pseudo-Logos und Qualitäts-Behauptungen („gesund“, „natürlich“, „frisch“). Aus angeblicher Information wird schnell Irreführung. Jetzt schlagen Prüfer nach einer Untersuchung offiziell Alarm: Anstatt Klarheit zu schaffen, führe die Flut von Lebensmitteletiketten oft nur zur Verwirrung oder gar zur Täuschung: Die Verbraucher seien „vorsätzlich oder unbeabsichtigt irreführenden Botschaften ausgesetzt“, warnt die neue Untersuchung des Europäischen Rechnungshofs. Diese Irreführung könne schädliche Folgen für die Gesundheit der Konsumenten haben.
Die Lebensmittelkennzeichnung solle den Menschen eigentlich helfen, beim Einkaufen fundierte Entscheidungen zu treffen, sagte der verantwortliche Prüfer Keit Pentus-Rosimannus vom EU-Rechnungshof. Stattdessen würden die Verbraucher mit immer mehr Versprechen, Logos, Slogans, Siegeln und Bewertungen „bombardiert“, die geradezu irreführend sein könnten.
Rechnungshof warnt: Manche Aussagen auf Lebensmittel sind nicht wissenschaftlich belegt
„Es gibt hunderte verschiedene Kennzeichnungssysteme, Logos und Werbeversprechen, die die Käufer entschlüsseln müssen“, sagt Pentus-Rosimannus. Die Unternehmen legten bei den Angaben große Kreativität an den Tag. Zugleich hielten die EU-Vorschriften mit der ständigen Marktentwicklung nicht Schritt, es gebe „eine Reihe besorgniserregender Lücken“.
So sei es möglich, selbst auf Produkten mit hohem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt nährwert- und gesundheitsbezogene Vorteile hervorzuheben. Beispielsweise könnten zuckerhaltige Produkte wie Energieriegel als High-Protein-Produkte beworben werden. Auch würden Verbraucher zunehmend mit von keinerlei Vorschriften regulierten Angaben zu angeblich gesundheitsfördernden Eigenschaften pflanzlicher Stoffe konfrontiert. Dazu gehörten Aussagen wie „setzt neue Energien frei“ oder „stärkt die Leistung“, auch wenn das wissenschaftlich gar nicht belegt sei.
Die Warnung der Prüfer: „Verbraucher, die versuchen, sich gesünder zu ernähren, könnten unbeabsichtigt Erzeugnisse konsumieren, die hohe Mengen an ungesunden Nährstoffen enthalten.“
Vegetarier und Veganer besonders oft von Kennzeichnungs-Chaos betroffen
Eine Gruppe ist vom Kennzeichnungs-Chaos besonders betroffen, so die Prüfbehörde: Vegetarier und Veganer. Denn die Aufschrift „vegan“ oder „vegetarisch“ sei nicht reglementiert, da es keine EU-weite Definition für solche Erzeugnisse gebe. Angaben zum Nährwert auf der Vorderseite von Verpackungen wie Nutri-Score, NutrInform und Keyhole würden nicht in allen EU-Ländern genutzt, keines der Systeme habe sich durchgesetzt.
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So raten einige Mitgliedstaaten den Lebensmittelunternehmen mittlerweile davon ab, das Nutri-Score-System zu verwenden, in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten wird es empfohlen. Der Rechnungshof betont, standardisierte Vorschriften könnten Verbrauchern helfen, gesündere Lebensmittel zu erkennen und ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugen.
Ausgewogene Ernährung: Tipps von Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl
- Essen Sie fünf Hände voll Obst (2x) und Gemüse (3x) am Tag,
- Nutzen Sie Vollkorn-Produkte,
- Essen sie prä- und probiotische Lebensmittel: Joghurt (auch vegan), Kefir, Buttermilch, Kimchi, Sauerkraut etc.,
- Essen Sie Hülsenfrüchte und Nüsse,
- „Eat the rainbow“: Seien Sie flexibel und abwechslungsreich in ihrer gesunden Lebensmittelauswahl.
Niedrige Bußgelder haben kaum abschreckende Wirkung
Stattdessen habe das Nebeneinander verschiedener Systeme den gegenteiligen Effekt. Die Flut freiwilliger Labels, Logos und Angaben, die die Verbraucher zum Kauf verleiten sollen, verstärke diese Tendenz noch. Dazu gehörten sogenannte „Clean Labels“ über das Fehlen bestimmter Inhaltsstoffe (z. B. „antibiotikafrei“) und nicht zertifizierte Eigenschaften wie „frisch“ oder „natürlich“, aber auch eine breite Palette umweltbezogener Aussagen, die Greenwashing gleichkämen.
Mit den aktuellen Vorschriften könnten viele der Praktiken nicht unterbunden werden, bedauern die Prüfer. Lebensmittelunternehmen könnten außerdem schwache Kontrollen und Sanktionen ausnutzen, vor allem bei den freiwilligen Angaben, die gar nicht oder nur selten überprüft würden. Zudem seien die bei Verstößen verhängten Bußgelder zu niedrig, um abschreckende Wirkung zu haben. Der Rechnungshof fordert deshalb stärkere Kontrollen in den Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission müsse die Wirksamkeit der Vorschriften stärker überwachen und die Regeln aktualisieren.
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Verbraucher können in Deutschland Beschwerdeportal nutzen
In Deutschland bemühen sich Verbraucherschutzverbände seit Jahren, den Täuschungsversuchen Grenzen zu setzen, in krassen Fällen auch per Gerichtsentscheid. So wurde auf Betreiben von Verbraucherschützern im Juli einem großen Getränkehersteller gerichtlich untersagt, seinen Erfrischungsdrink als „Immun Water“ anzupreisen. Außerdem hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mit den Verbraucherzentralen das Beschwerdeportal Lebensmittelklarheit.de eingerichtet.
Fühlen sich Konsumenten von der Aufmachung eines Produkts getäuscht oder empfinden sie die Angaben als unklar und widersprüchlich, können sie auf dem Portal eine Beschwerde einreichen. Ist die Kritik aus Sicht der Redaktion berechtigt, wird die Produktmeldung im Portal mit dem Stempel „Getäuscht?“ veröffentlicht, der Anbieter wird zur Stellungnahme aufgefordert.
Nach vzbv-Angaben zeigte eine Untersuchung in diesem Jahr, dass ein Teil der Hersteller auf die Kritik reagiert: Knapp vier von zehn der überprüften Produkte hatten ein Jahr später eine realistischere Aufmachung oder Kennzeichnung – die Hälfte allerdings war noch unverändert auf dem Markt, die Unternehmen ignorierten die Kritik also einfach. Das Fazit der Verbraucherschützer deckt sich mit dem neuen Rechnungshof-Bericht: „Viele Hersteller informieren noch immer nicht ehrlich und transparent.“
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