Berlin. Deutsche Autobauer sollten länger mit Verbrennern Geld verdienen dürfen, fordert Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. Für welchen Weg er wirbt.

Geht es nach der EU dürfen neue Verbrenner, die Diesel oder Benzin tanken, in Europa ab 2035 nicht mehr zugelassen werden. Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, sagt im Interview, warum er das für falsch hält und was aus seiner Sicht dem Klima mehr helfen würde. Zunächst aber gelte es, Deutschlands Wirtschaft wieder zurück in die Spur zu bringen.

Herr Wolf, die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. Das Wachstum ist schwächer als erwartet, die Zahl der Insolvenzen nimmt zu. Was macht Ihnen in der aktuellen Lage Hoffnung?

Stefan Wolf: Ich kann nicht behaupten, dass mir in der aktuellen Lage irgendetwas Hoffnung macht. Wir befinden uns in einer strukturellen Krise. Mir fehlt der Glaube, dass die aktuelle Bundesregierung in der Lage ist, diese zu lösen. Realistisch gesehen hat sie dafür noch zwei Monate Zeit. Nach der Weihnachtspause beginnt der Wahlkampf, dann wird nichts mehr passieren bis zur Bundestagswahl. Umso wichtiger wird es sein, dass die neue Bundesregierung notwendige Strukturreformen angeht.

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Was stellen Sie sich konkret darunter vor?

Gerhard Schröders Agenda 2010 war die letzte gut gemachte Strukturreform. Ich finde zwar sein Verhalten seit Beginn des Ukraine-Krieges mehr als grenzwertig. Aber als Bundeskanzler hat er die Entscheidung getroffen, Politik für die Menschen und die Arbeitsplätze zu machen und nicht an erster Stelle an seine Wiederwahl zu denken. Das war eine mutige Entscheidung. Jetzt brauchen wir dringend eine Agenda 2040.

Wie könnte eine Agenda 2040 aussehen?

Wir brauchen eine vernünftige Energiepolitik. Unsere Energiepreise sind zu hoch, der Ausbau der Erneuerbaren dauert zu lange. Wir haben die höchsten Unternehmenssteuern aller größeren Volkswirtschaften und viel zu hohe Sozialabgaben. Die Sozialabgaben müssen wir bei 40 Prozent deckeln und eine Steuerreform in die Wege leiten. In der Metall- und Elektroindustrie haben wir die kürzesten Arbeitszeiten weltweit, auch das muss sich ändern. Und wir haben einen Wulst an Bürokratie, der abgebaut werden muss.

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    Dafür wurde doch jüngst ein Bürokratieabbaugesetz beschlossen.

    Das ist hilfreich, aber weder ausreichend noch schnell genug. Es braucht jetzt klare Signale. Ein solches Signal wäre, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auszusetzen. Es ist doch naiv zu glauben, dass wir weltweit Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen verhindern, weil wir es von Deutschland aus gesetzlich verbieten. Rund 70 Milliarden Euro pro Jahr zahlen deutsche Unternehmen ausschließlich dafür, um Bürokratie zu bewältigen, also Berichtspflichten nachzukommen und Vorschriften zu erfüllen. Die Vorgaben aus Brüssel und Berlin werden immer schlimmer. Dabei wissen die Unternehmer am besten, was die Kunden wollen. Die Politik muss aufhören, uns vorzuschreiben, was wir zu entwickeln zu haben, um ideologisch Dinge durchzusetzen.

    Das klingt nach dem Wunsch zur Abkehr vom Verbrennerverbot.

    Ich habe schon vor zwölf Jahren gesagt, dass die E-Mobilität in dieser Form nicht funktionieren wird, dass wir die Ladesäuleninfrastruktur nicht schnell genug errichtet bekommen, nicht genug grünen Strom haben und vor allem: weil es die Kunden nicht wollen. So ist es gekommen. Man hat die Automobilindustrie in den Einstieg in die Elektromobilität gezwungen. Und siehe da: Die Kunden kaufen das Produkt nicht.

    Warum funktioniert die E-Mobilität in China, aber nicht bei uns?

    Es gibt in China mehrere Ballungsräume mit über 10 Millionen Einwohnern. Und China hat eine Ladesäuleninfrastruktur in den Ballungszentren hochgezogen, kann dank der dortigen Fertigungskosten die Autos viel günstiger als deutsche Hersteller anbieten und chinesische Anbieter können eine gute Qualität vorweisen. Die Chinesen haben an Selbstbewusstsein gewonnen, das macht es für uns zusätzlich schwer. Aber: Jeden zweiten Monat geht ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Unter CO₂-Gesichtspunkten können die Chinesen bei der Elektromobilität gar nichts. Dann fahre ich lieber einen sauberen Diesel als ein E-Auto mit Kohlestrom.

    VW diskutiert über Werkschließungen. Glauben Sie, dass chinesische Hersteller Interesse an ausgemusterten Werken haben könnten, um hier vor Ort zu produzieren und so Zölle zu umgehen?

    Die Nachteile des Standortes sind ja nicht weg, nur wenn der Eigentümer eine andere Nationalität hat. Deshalb scheint mir das wenig wahrscheinlich. Die Chinesen haben eine klare industrielle Strategie. Sie haben vor Jahren angefangen, deutsche Unternehmen aufzukaufen. Es geht dabei nicht nur um Dimensionen wie beim Hamburger Hafen. Sie kaufen ganz gezielt kleine und mittlere Unternehmen, die oftmals Probleme mit der Familiennachfolge haben. Wir finden darauf politisch keine Antworten. Genauso wenig wie wir auf die US-Politik eine Antwort haben. Der Inflation Reduction Act war ein Meisterstück von Joe Biden, das Investitionen angezogen hat. Nur Frau von der Leyen fällt nichts ein.

    China und die USA waren stets die stärksten Exportmärkte für die deutschen Autobauer. Muss man sich einfach damit abfinden, dort Marktanteile verloren zu haben?

    Ich glaube, dass die deutschen Automobilhersteller mit ihren auch in China klangvollen Namen die aktuell verlorenen Marktanteile zurückerobern können. Dafür müssen die Autos erschwinglich angeboten werden. Die Automobilindustrie braucht mehr finanzielle Mittel, um in verbesserte Fahrzeuge mit höherer Reichweite, bessere Batterietechnologie und günstigere Produktionsbedingungen zu investieren.

    Wo sollen diese Mittel herkommen?

    Wir müssen schnellstmöglich das Verbrennerverbot ab 2035 aufheben und unserer wichtigsten Industrie ermöglichen, länger an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor zu verdienen. Die Menschen wollen Verbrennerautos kaufen. Das Geld, das man dort verdient, kann man in neue Technologien stecken. Wir helfen auch dem Klima mehr, wenn wir saubere Autos in die USA, nach Indien und China verkaufen, als wenn wir zwei Prozent CO₂ durch ein europäisches Verbrennerverbot einsparen. Zudem müssen wir mehr tun bei synthetischen Kraftstoffen. Man könnte als Kompromiss sagen, dass ab 2045 der Verbrennungsmotor nur noch mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden darf.

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    Sind Werkschließungen bei Volkswagen, ZF, Bosch und Co. alternativlos?

    Einzelne Unternehmensentscheidungen kann ich nicht beurteilen. Insgesamt wird es aber zu einer Bereinigung in unserer Industrie kommen. Wir haben Über-Kapazitäten. Das gilt nicht nur für die deutsche Fahrzeugindustrie, sondern für die europäische Fahrzeugindustrie. In der Vergangenheit ist eine falsche EU-Subventionspolitik gefahren worden. Ein Beispiel: Fiat hat ein Werk auf Sizilien gebaut, das mit Millionensummen gefördert wurde, weil es eine strukturschwache Region ankurbeln sollte. Wer baut denn ein Autowerk auf einer Insel? Da muss man alles aufs Schiff laden und zum Festland bringen. Auch wenn das Werk inzwischen geschlossen ist, zeigt es den Irrsinn von planwirtschaftlicher Subventionspolitik.

    Zu viel Kapazitäten – was heißt das für die Arbeitsplätze in Deutschland?

    Ich erwarte, dass wir in der Metall- und Elektroindustrie in den nächsten fünf Jahren 250.000 bis 300.000 Arbeitsplätze verlieren könnten. Aber in den nächsten Jahren gehen die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente. Wir können es also möglichst sozialverträglich gestalten. Wir haben einen Arbeitnehmermangel. Insofern werden wir trotz abgebauter Arbeitsplätze mehr arbeiten müssen. Insbesondere die Generation zwischen Anfang 20 und Mitte 30 ist im Wohlstand aufgewachsen. Viele kennen nur rosige Zeiten. Auch denen müssen wir vermitteln, dass jetzt die Zeit gekommen ist, als Gesellschaft insgesamt mehr zu arbeiten.

    Was meinen Sie mit „mehr arbeiten“ konkret?

    Das Arbeitszeitgesetz gibt maximal 48 Stunden pro Woche vor. Das würde ich natürlich nicht ändern, und es bringt auch nichts, eine starre Zahl durch eine andere starre Zahl zu ersetzen. Mehr Spielraum für beide Seiten ist entscheidend! Dafür muss das Arbeitszeitgesetz flexibler werden.

    Was bedeuten die von der EU beschlossenen Strafzölle auf in China produzierte E-Autos?

    Die Strafzölle sind eine krasse Fehlentscheidung der EU. Sie sind kontraproduktiv und werden die deutsche Autoindustrie massiv treffen. Denn die Chinesen werden zum Gegenschlag ausholen und Strafzölle für europäische Fahrzeuge verhängen. In Deutschland werden chinesische E-Autos heute im Promillebereich verkauft. In China hingegen verdienen Daimler, BMW oder Audi mit ihren großen Luxuswagen richtig gut. Eine Gegenmaßnahme würde sie ungleich härter treffen.

    Beim jüngsten Autogipfel wurde überlegt, wie die Autoindustrie in der Krise unterstützt werden könnte. Unter anderem wurde eine Abwrackprämie oder die Wiedereinführung der E-Auto-Prämie gefordert. Wie stehen Sie dazu?

    Eine Abwrackprämie halte ich nicht für sinnvoll. Einen Verbrenner für ein E-Auto zu verschrotten, wird nicht funktionieren. Die Wiedereinführung einer E-Auto-Prämie begrüße ich aber. Die abrupte Abschaffung war damals eine dilettantische Aktion der Ampelregierung, die viel Vertrauen zerstört hat. Hier fehlt die Verlässlichkeit. Die Regierung ist mit dem Strukturwandel und der Transformation, in der Industrie und Gesellschaft stecken, überfordert.

    Würden Sie es begrüßen, wenn die Ampel vorzeitig zerbricht, wenn die FDP die Reißleine zieht und vorzeitig herausgeht?

    Selbst wenn die FDP vorzeitig hinwirft, hätten wir weiter eine Minderheitsregierung. Ich bin froh, dass die FDP noch in der Regierung ist und täglich Schlimmeres verhindert. Ich gehe davon aus, dass die Ampel hält. Kanzler Olaf Scholz stellt ohnehin selten Fragen, eine Vertrauensfrage wird er wohl niemals stellen. Auch ein Misstrauensvotum würde meines Erachtens nicht durchgehen. Hinzu kommt: Es sitzen viele Abgeordnete im Bundestag, die Rentenanwartschaftsansprüche verlieren würden, wenn die Legislaturperiode nicht zu Ende gebracht würde. Wer hebt im Bundestag die Hand, wenn er dadurch Altersbezüge verliert?

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    Angenommen, Friedrich Merz würde neuer Bundeskanzler. Welche Maßnahmen würden Sie sich von der CDU für ihr erstes 100-Tage-Programm wünschen?

    Schnelle Unternehmenssteuerreform, Rückkehr bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu 40 Prozent und ein wirklich großes Bürokratieentlastungsgesetz, das er zur Chefsache machen sollte. Wir brauchen ein deutliches Signal an die Industrie für günstige Energie mit einem Wiedereinstieg in die Atomenergie, die komplett CO₂-neutral ist. Zudem brauchen wir eine umfassende Reform der Bildungspolitik mit höheren Bildungsstandards. Jeder junge Mensch sollte die Schule mit einem Abschluss verlassen. Heute schaffen dies 50.000 junge Leute jährlich nicht. Jeder junge Mensch muss nach der Schule vernünftig schreiben, rechnen und lesen können. Außerdem brauchen wir eine umfassende Reform der Arbeitszeit und der Sozialversicherungsträger.

    Die Grünen befinden sich im Umbruch, Wirtschaftsminister Robert Habeck schneidet die Partei auf sich zu. Wie bewerten Sie das?

    Ich glaube nicht, dass er die notwendige Unterstützung der gesamten Partei erhält und Ökonomie und Ökologie bei den Grünen versöhnen kann. Im Wirtschaftsministerium findet nur Klimaschutz, aber nicht Wirtschaft statt.

    Mitten in der Krise befindet sich die Metall- und Elektroindustrie im Tarifstreit. Die Gewerkschaft IG Metall fordert sieben Prozent mehr Lohn. Die Gewerkschaft argumentiert, dass die Lage zwar herausfordernd sei, das aber nicht an den Arbeitskosten liege.

    Das stimmt so nicht. Wir haben in der Metall- und Elektroindustrie ein Lohnkostenniveau erreicht, das weit über den meisten anderen Branchen in dieser Republik liegt. Hier haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Wer soll denn noch Erzieher oder Krankenpfleger werden, wenn dort deutlich weniger verdient wird? Sieben Prozent mehr Lohn ist die zweithöchste Forderung, nach zwei Mal acht Prozent, seit 30 Jahren. Das finde ich schon sehr vermessen, zumal wir 2025 nicht mit einem Aufschwung rechnen. In den Unternehmen ist keine Luft mehr, um etwas umzuverteilen.

    Was wären die Folgen einer siebenprozentigen Lohnanhebung?

    Das wäre völlig undenkbar und nicht zu stemmen. Die Mehrheit der Unternehmen würden in massive Schwierigkeiten geraten. Gleichzeitig ist es Mitarbeitern derzeit wichtiger, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben als hohe Lohnerhöhungen. Ich wünsche mir, dass wir zu einer vernünftigen Lösung kommen, schnell und relativ geräuschlos. Nach den Streiks bei der Bahn und Lufthansa haben wir die historische Chance zu zeigen, dass Sozialpartner in schwierigen Situationen schnell zu einer für beide Seiten tragbaren Lösung kommen können. Hier können wir auch den Stand der Tarifpartner wieder stärken.

    Ist das mit der IG Metall zu machen?

    Der IG Metall ist schon klar, wie ernst die Lage ist. Wir müssen jetzt den Standort stärken. Deshalb haben die Arbeitgeber bereits gestern in der zweiten Verhandlungsrunde ein Angebot vorgelegt – immerhin 3,6 Prozent in zwei Stufen. Eine Tabellenerhöhung von 1,7 Prozent zum 1. Juli 2025 und eine weitere Tabellenerhöhung von 1,9 Prozent zum 1. Juli 2026 bei einer Laufzeit von 27 Monaten.

    Das wird der IG Metall kaum reichen.

    Trotz der schlechten Lage bieten wir den Beschäftigten zwei Tabellenerhöhungen an, die sogar die Kaufkraft sichert. Gleichzeitig schützen wir die Unternehmen mit einer automatischen und dauerhaften Differenzierung vor Überforderung und verschaffen ihnen Planungssicherheit. Das ist ein fairer Weg zur Lösung. Die Lage wird ja nicht besser, wenn man die Verhandlungen eskaliert. Und das wollen wir nicht. Wir signalisieren damit Einigungsbereitschaft.