Berlin. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagt im Interview, wann Landwirte wieder auf die Straße gehen – und warum Wein teurer werden könnte.

Bauern in Deutschland sind nach wie vor massiv unzufrieden mit der Ampel-Koalition in Berlin, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, im Interview. Allerdings könnte die Politik die Stimmung bei den Bauern drehen, meint er und erklärt, warum die Lage vieler Bauernfamilien ähnlich dramatisch ist wie die der deutschen Autoindustrie.

Proteste von Bauern wegen des Subventionsstreits um Agrardiesel hielten Anfang des Jahres die Republik in Atem. Am Ende kommen die Kürzungen nun zwar später, aber sie kommen. Fühlen sich die Bauern als Verlierer?

Joachim Rukwied: Nein. Die Proteste waren in großen Teilen erfolgreich, weil wir die Themen Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in positivem Kontext wieder zurück an die Esstische gebracht haben. Die Unterstützung der Bauerfamilien durch die Bevölkerung spüren wir heute noch. Bei den Protesten standen die Menschen in Deutschland hinter uns.

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Das Aus der Steuerbefreiung für Agrarfahrzeuge kommt trotzdem – zwar erst ab 2028, aber es kommt.

Rukwied: Wir haben die kurzfristige Steuererhöhung bei den grünen Kennzeichen wegdemonstriert. Das heißt, wir haben eine halbe Milliarde Euro an jährlicher Steuererhöhung für die Landwirtschaft verhindert. Aber für einen gewissen Anteil der Bauern ist das verständlicherweise immer noch zu wenig. Die Tatsache, dass die Berliner Regierungspolitik sich in keiner Weise verändert hat, sorgt für massive Verärgerung bei allen Landwirten.

Neue Proteste könnten also kommen?

Rukwied: Wir haben keine neuen Proteste geplant – für jetzt. Ich will sie aber nicht ausschließen, wenn die Regierung wieder mit irgendeinem neuen inakzeptablen Vorschlag kommt. Wir können innerhalb von drei, vier Tagen mobilisieren. Düngegesetz und Tierschutzgesetz jedenfalls gehen in der bisherigen Planung der Ampelkoalition weit über EU-Anforderungen hinaus. Das ist nicht hinnehmbar und ärgert uns Landwirte massiv.

Cem Özdemir als Bundesandwirtschaftsminister – ein Bauernfreund oder Totalausfall?

Rukwied: Wir haben einen guten Austausch. Leider werden zu wenige unserer guten Argumente aufgenommen und in die Politik eingebracht. Beispielsweise haben wir Änderungen bei dem Vorschlag zum künftigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln vorgeschlagen. Da ist auch einiges eingeflossen. Aber der falsche Grundansatz, nämlich den Einsatz solcher Mittel halbieren zu wollen, ist geblieben. Damit gefährdet der Minister die Ernährungssicherheit in Deutschland. Bis jetzt würde ich seine Arbeit als durchwachsen bezeichnen wollen.

Die Entfremdung zwischen Stadt- und Landbevölkerung und ein möglicherweise fehlendes Verständnis für die Arbeit der Bauern – wie könnte man wieder zueinander finden?

Rukwied: Natürlich hat sich über die Veränderung der Lebensverhältnisse und der Arbeitswelt eine gewisse Distanz zwischen Stadt und Land entwickelt. Aber die Sympathie zu uns Bauern ist aus meiner Sicht nach wie vor da. Es wird auch sehr viel gemacht, um Landwirtschaft den Städtern näherzubringen, zum Beispiel laden viele Betriebe Schulklassen zu sich ein.

Ob die Landwirtschaft eine Zukunft hat, hängt auch mit dem Einkommen zusammen. Wie geht es den deutschen Bauern derzeit finanziell?

Rukwied: Wir rechnen im zurückliegenden Wirtschaftsjahr, das zum 30. Juni zu Ende gegangen ist, mit deutlichen Rückgängen beim Betriebseinkommen. Bei vielen Erzeugnissen hatten wir deutlich geringere Erlöse. Im derzeit laufenden Wirtschaftsjahr hat sich die Situation nicht verbessert, beim Getreide etwa sogar verschlechtert. Die finanzielle Lage wird also in der Landwirtschaft deutlich angespannter werden, auch, weil wir auf der Betriebsmittelseite ein weiter hohes Kostenniveau haben.

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Bedeuten gesunkene Getreidepreise auch günstigere Preise für Verbraucher beim Einkauf?

Rukwied: Das kommt bei den Verbrauchern nicht an, weil der Anteil der Landwirtschaft an den finalen Preisen an der Ladentheke sehr gering ist. Unsere niedrigeren Erlöse führen bei vielen Produkten also nicht zu geringeren Verbraucherpreisen. Wenn Sie heute für einen Euro eine Brezel kaufen, sind darin vielleicht 2 oder 3 Cent Kosten für den Weizen enthalten.

Eine Prognose der DZ-Bank geht davon aus, dass immer mehr Höfe aufgeben werden. Demnach könnte sich die Zahl von jetzt 256.000 Betrieben bis 2040 auf rund 100.000 halbieren. Was hätte das für Folgen?

Rukwied: Jede Betriebsaufgabe ist ein Verlust an Familientradition. Aber der Strukturwandel wird weitergehen, allein schon als Folge der demografischen Entwicklung. Was mich besorgt, ist der Strukturbruch bei den tierhaltenden Betrieben. In der Schweinehaltung haben wir innerhalb eines Jahrzehnts die Hälfte der Betriebe verloren – wir haben heute nur noch gut 15.000 schweinehaltende Betriebe. Auch bei der Milchviehhaltung gibt es einen starken Rückgang.

Mit welchen Folgen?

Rukwied: Ich befürchte, dass sich dieser Strukturwandel aufgrund der politischen Vorgaben beschleunigen wird. Im Prinzip sind die ständig steigende Bürokratie und die sich verschärfenden Vorgaben bei der Tierhaltung und Düngung Strukturwandelbeschleunigungsprogramme.

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Wie viele Höfe werden in diesem Jahr noch schließen?

Rukwied: Das ist noch nicht absehbar. Wir haben leider ein tägliches Schließen von Stalltoren.

Geräte die Selbstversorgung mit Fleisch damit in Deutschland in Gefahr?

Rukwied: Von der reinen Tonnage der Schweinefleischproduktion ist dies zwar rechnerisch möglich. Da wir Deutschen aber weder Öhrchen, Pfötchen oder manche Innereien der Schweine essen, exportieren wir diese. Gleichzeitig sind wir auf Importe von Edelteilen, wie Filetstücke angewiesen, die wir hierzulande gerne essen. Der Trend rückläufiger Selbstversorgung wird sich vermutlich verstärken.

Alles diskutiert über den Niedergang der Autoindustrie – kommt die Debatte um die Lage der Landwirtschaft zu kurz?

Rukwied: Wenn man das in Relation zur Bedeutung der Ernährungssicherheit für stabile soziale und politische Verhältnisse sieht – dann ja.

Haben Sie ein Rezept, dies zu ändern?

Rukwied: Das kann nur die Politik und der Gesetzgeber verändern. Wir haben so viele top ausgebildete junge Menschen in der Landwirtschaft. Es ärgert mich, wenn man ihnen die Zukunft durch überbordende Bürokratie und ständige Verschärfung der Vorgaben erschwert – und diese bewegt, aus der Landwirtschaft herauszugehen.

Özdemir hatte einen Tierwohlcent vorgeschlagen, um den Umbau der Ställe zu finanzieren. Wie sollte dies umgesetzt werden?

Rukwied: Wir sehen eine Option in einer leichten Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleisch um 2 bis 3 Prozentpunkte. Allerdings muss die Politik erst sicherstellen, dass das Geld auch bei den Landwirten ankommt. Solange dies nicht gesichert ist, brauchen wir über den Weg der Finanzierung nicht sprechen. Letztlich kann der Umbau nur gelingen, wenn auch die Konsumenten und Konsumentinnen gezielt Waren einkaufen, die unter höheren Standards hergestellt wurden.

Hitze, Trockenheit, Unwetter – wie stellen sich die Bauern auf die Wetterextreme ein?

Rukwied: Für uns Landwirte ist jedes Jahr anders. Das gilt für die Witterung im Ackerbau wie auch für die Tierhaltung. Wir leben tagein tagaus mit Veränderungen. Wer dabeibleiben will, muss eine hohe Anpassungsfähigkeit und Beobachtungsgabe haben – und die haben wir. Deshalb passen wir seit vielen Jahren wegen des Klimawandels unsere Anbautechniken an. Wir stellen uns proaktiv den Herausforderungen. Wir setzen auf Innovation, neue, digitale Techniken im Feld, auf digitale Früherkennung von Krankheiten in der Tierhaltung. Dieser Prozess wird nie enden.

Erntepressekonferenz der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein
Landwirte sind anpassungsfähig, sagt Verbandspräsident Rukwied. Die Erntebilanz in diesem Jahr fiel dennoch durchwachsen aus. © DPA Images | Axel Heimken

Kommt auch Künstliche Intelligenz zum Einsatz?

Rukwied: Künstliche Intelligenz wird in Teilen schon eingesetzt und uns in Zukunft ermöglichen, noch nachhaltiger, umweltschonender und tiergerechter zu wirtschaften. Hier sind wir noch lange nicht am Ende der Entwicklung. Wichtig ist dabei, dass die Datensicherheit gewährleistet ist und die Datenhoheit in den Betrieben liegt. Entscheidend ist aber auch die digitale Erschließung der ländlichen Räume. Die beste Technik hilft nichts, wenn ich sie durch schlechte Netze nicht nutzen kann.

Die Bundesregierung hat das Ziel, die ökologisch bewirtschafteten Flächen bis 2030 auf 30 Prozent zu erhöhen. Ist das zu erreichen?

Rukwied: Im Moment bräuchten wir eine deutlich stärkere Umstellung auf Bio, um das Ziel zu erreichen. Ich gebe aber auch zu bedenken: Eine weiter steigende Weltbevölkerung lässt sich nur dann ernähren, wenn wir einen hohen Anteil in der konventionell integrierten landwirtschaftlichen Produktion haben. Denn die Erträge im Ökolandbau liegen deutlich darunter. Man kann sich zwar in Deutschland Ziele setzen. Doch global ist das keine Lösung, weil die Ernährungssicherheit nicht mehr gewährleistet wäre und die Gefahr steigt, dass es globale Krisen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen um Nahrungsmittel geben könnte.

Herr Rukwied, Sie sind auch Winzer. Wie wird der Wein-Jahrgang 2024?

Rukwied: Es gibt einen kleinen, aber feinen Jahrgang 2024. Wir hatten in einigen Regionen große Ausfälle durch Frost. Aber das Lesegut ist gesund und die Qualität gut. Ich freue mich sowohl auf den roten wie weißen 2024er-Jahrgang.

Wird der deutsche Wein wegen der geringen Menge auch teurer?

Rukwied: Wir Winzer brauchen längst höhere Preise für unsere Weine. Der Mindestlohn drückt die Betriebe an die Wand. Unser Wein ist schlichtweg mehr wert als er derzeit kostet.