Berlin. Landwirte beklagen praxisferne Vorgaben. Welche Änderungen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir jetzt auf den Weg bringen will.

Deutschlands Bauern verdienten neuen Zahlen zufolge erneut mehr Geld – doch praxisferne Vorgaben sorgen zum Teil dafür, dass die Landwirte mehr Zeit am Schreibtisch als auf dem Feld verbringen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) arbeitet deshalb mit seinem Haus bereits seit einiger Zeit daran, Vorgaben zu entschlacken und unnötige Auflagen zu beseitigen. Dabei sieht sein Haus durchaus Fortschritte, wie aus einem Papier hervorgeht, das dieser Redaktion vorab vorliegt.

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Demnach sind bereits im Mai erste Änderungen in Kraft getreten, die Höfe mit Blick auf die Bürokratie entlasten sollen. Unter anderem erhalten Landwirte künftig auch dann Prämien aus der EU-Agrarförderung für Kühe, Schafe und oder Ziegen, wenn die Tiere eine oder beide Ohrmarken verloren haben. Landwirte müssen nun auch nicht mehr jedes Jahr ihren Nachweis als aktive Betriebsinhaber erneuern, sondern können einen bereits vorhandenen Nachweis wiederverwenden.

Wichtige Änderung bei Blühstreifen: Wie die Entlastung wirken soll

Weitere Erleichterungen sollen Änderungen an einem Gesetz bringen, das noch vor der Sommerpause den Bundestag passieren soll. In Anlehnung an Vorschläge der EU-Kommission will das Bundeslandwirtschaftsministerium darin unter anderem festschreiben, dass Kontrollen und Sanktionen bei Betrieben bis zu zehn Hektar landwirtschaftlicher Fläche künftig entfallen.

Tiere, die ihre Ohrmarken verloren haben, sollen für Landwirte künftig kein Problem mehr darstellen.
Tiere, die ihre Ohrmarken verloren haben, sollen für Landwirte künftig kein Problem mehr darstellen. © picture alliance/dpa | Lino Mirgeler

Perspektivisch sollen darüber hinaus weitere starre Vorgaben vereinfacht werden, zum Beispiel im Hinblick auf Blühstreifen: Der mit blühenden Pflanzenarten eingesäte Bereich am Rande eines Ackers soll künftig nicht mehr an jeder Stelle mindestens fünf Meter breit sein, sondern lediglich auf der „überwiegenden Länge“. „Dadurch verlieren Betriebe bei geringer Abweichung nicht mehr die Prämie“, heißt es in dem Papier.

Landwirtschaft soll auch bei Melde- und Dokumentationspflichten entlastet werden

Auch dem Thema Melde- und Dokumentationspflichten will sich das Ministerium widmen. Unter anderem sollen die Nachweiserbringung im Bereich Tierhaltung vereinfacht werden. Dem Papier zufolge sollen die Meldepflichten reduziert, Stichtage vereinheitlicht und schlanke digitale Lösungen angeboten werden. Auch für Weinbauern will das Özdemir-Ministerium einige EU-rechtlich nicht mehr erforderliche Buchführungs- und Meldepflichten abschaffen oder vereinfachen.

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    In dem Vorhaben, Bürokratie abzubauen, sieht das Bundeslandwirtschaftsministerium einen „fortlaufenden Prozess“. „Der Abbau unnötiger bürokratischer Belastungen ist eine mühsame und kleinteilige Daueraufgabe“, sagte ein Özdemir-Sprecher dieser Redaktion.

    Bauernverband: Effektiver Bürokratieabbau geht nicht mit kleinen Änderungen

    Der Grünen-Minister hatte nach den vehementen Protesten der Bauern gegen die mittlerweile beschlossenen Kürzungen beim Agrardiesel regulatorische Entlastungen angekündigt. Dafür sei inzwischen ein „konstruktiver Prozess“ mit den Bundesländern gestartet worden, hieß es. Neben den Ländern hätten aber auch Verbände Ideen, Vorschläge und Forderungen zum Bürokratieabbau gemacht.

    Der Bauernverband kritisierte gegenüber dieser Redaktion, Özdemirs Vorgehen im Hinblick auf den Abbau bürokratischer Vorgaben: „Es spricht Bände, dass die Mehrheit der Vorschläge aus den Bundesländern von der Bundesregierung abgelehnt wird. Effektiver Bürokratieabbau geht eben nicht mit der Bürokratie und nicht mit kleinen Änderungen, die bestehende Regelungen nicht infrage stellen. Wir haben beim Projekt Bürokratieabbau weiterhin großen Nachholbedarf und ein enormes, bisher ungenutztes Potenzial“, sagte der Generalsekretär des Verbands, Bernhard Krüsken.

    2022/23 verdienten Haupterwerbstriebe so viel wie seit zehn Jahren nicht mehr

    Agrarexperte Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) sagte dieser Redaktion hingegen, das Papier benenne „einige sinnvolle Vereinfachungen“. Vorgaben, Dokumentationspflichten und Kontrollen werde es aber bei staatlichen Zuwendungen immer geben. „Die Komplexität wird in Deutschland durch die föderalen Zuständigkeiten auf einigen der betroffenen Regelungsgebiete im Vergleich zu zentralistischer strukturierten Ländern noch erhöht“, so Herzfeld weiter. Die Landwirtschaft gilt als hochsubventioniert. Allein an EU-Mitteln fließen jährlich mehr als sechs Milliarden Euro an deutsche Höfe.

    Neuesten Zahlen zufolge verdienten Landwirte im Wirtschaftsjahr 2022/23 wieder mehr. Der durchschnittliche Gewinn je Haupterwerbsbetrieb lag mit 113.900 Euro rund 39 Prozent über dem Vorjahreswert (81.900 Euro) – und damit so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Laut Bauernverband haben sich die Aussichten nun aber wieder verschlechtert. Nach vorliegenden Zahlen müsse für das bis Ende Juni laufende aktuelle Wirtschaftsjahr 2023/24 mit einem Gewinneinbruch zwischen 30 und 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gerechnet werden, so der Verband am Dienstag.

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