Berlin. Die Tierarztkosten sind zuletzt stark gestiegen. Nicht jeder kann sich das noch leisten. Die Folge: Tiere werden vermehrt ausgesetzt.
„Leider habe ich bislang keine Möglichkeit finden können, dass dem Moritz geholfen werden kann“, schreibt eine Tierhalterin an den Deutschen Tierschutzbund. Die Katze Moritz leide unter FORL – einer bei Katzen häufigen und schmerzhaften Zahnerkrankung. Zwei Katzen habe sie in Pflege genommen, sagt sie, jetzt könne sie auflaufende Tierarztrechnungen nicht mehr bezahlen. Die Behandlung der sogenannten Katzenkaries ist teuer: Moritz müsse operiert und wahrscheinlich mehrere Zähne gezogen werden. „Alle umliegenden Tierarztpraxen nehmen für das, was auf Percys Kostenvoranschlag steht, 1200 Euro“, schreibt sie.
„Kostensteigerungen für tierärztliche Behandlungen machen der Bevölkerung zu schaffen, das ist in jedem Fall zu spüren“, registriert der Deutsche Tierschutzbund. „Die uns angeschlossenen Tierheime berichten, dass vermehrt Tiere abgegeben werden, weil sich Tierhalter notwendige tierärztliche Behandlungen nicht mehr leisten können“, erklärt eine Sprecherin.
Tierarztbesuch: Kräftige Kostensteigerung in den vergangenen zwei Jahren
Ein Auslöser für die Geldsorgen von Tierhaltern ist offenbar die Überarbeitung der tierärztlichen Gebührenordnung aus dem November 2022, welche die Kosten für Tierarztbehandlungen regelt. Viele der darin aufgeführten Leistungen sind deutlich teurer geworden.
Von signifikanten Preiserhöhungen in der tiermedizinischen Versorgung spricht etwa der Versicherer Hanse Merkur. Weil selbst aufopferungsvolle Tierhalter mit den steigenden Kosten zuweilen überfordert sind, boomen Tierversicherungen: „Wir stellen eine überaus hohe Nachfrage fest“, meldet eine Unternehmenssprecherin. Der ADAC bietet seit Mitte des Jahres eine Absicherung von Behandlungskosten im Ausland an. Fast die Hälfte der Deutschen habe ein Haustier, stellen die Unternehmensberater von KPMG fest: „Versicherungen für Tiere bieten enorme Wachstumschancen.“
Kommentar zum Thema: Hohe Tierarztkosten: Verantwortung liegt bei den Tierhaltern
Das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) spricht von einer Erhöhung der Tierarztkosten zwischen 20 und 25 Prozent im Durchschnitt. Außerdem können Tierärzte je nach Aufwand den dreifachen – im Notdienst sogar vierfachen – Satz abrechnen. Die Berufsverbände empfehlen den Praxen, angesichts der steigenden Kosten grundsätzlich mindestens den 1,25-fachen Satz anzulegen.
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Kosten können schnell mehrere Tausend Euro hoch sein
Laut dem aktuellen tierärztlichen Leistungskatalog kostet etwa die Kastration einer Hündin zwischen 192 (einfacher Satz) und 384 Euro, die Entfernung eines Tumors in komplizierteren Fällen 330 Euro, für ein Ganzkörper-CT werden zwischen 500 und 1500 Euro berechnet. Muss der tierische Lebenspartner wegen des Grauen Stars am Auge operiert werden, sind rund 2000 Euro fällig.
Teurer wird außerdem die routinemäßige Gesunderhaltung: Rund 200 Euro müssen jährlich für Impfungen einkalkuliert werden, warnen Online-Plattformen für Tierhalter. Die Entfernung von Zahnstein koste bei einem Hund bis zu 160 Euro, eine Wurzelbehandlung 230 Euro. Hat der vierbeinige Lebensgefährte Diabetes, müssten Herrchen oder Frauchen nach Berechnungen von Tierversicherungen mit mindestens 500 Euro jährlich rechnen.
Tireärzte verweisen auf gestiegene Praxiskosten
Ohne die teilweise deutlichen Steigerungen sei ein positiver Umsatz in Tierarztpraxen kaum noch möglich, argumentiert die Bundestierärztekammer, die Standesvertretung der Tierärzte. Die Anpassung der Gebühren sei wegen stark gestiegener Praxiskosten überfällig.
Inzwischen passen auch einige Versicherungen ihre Tarife an. „Die Erneuerung der Gebührenordnung hat die Schadenaufwendungen aller Versicherer am Markt deutlich erhöht, was bereits zu Beitragsanpassungen auf dem gesamten Markt führte“, analysiert Hanse Merkur. Wer es sich leisten kann, ist offenbar bereit, tief in die Tasche zu greifen: Kunden legten verstärkt Wert auf einen umfassenden Schutz, so der Versicherer. „Sie wählen nicht unbedingt die günstigste, sondern die leistungsstärkste Versicherung.“
Die zum Teil erheblichen Erhöhungen erschwerten vor allem die Situation für sozial schlechter gestellte Tierhalter, betont die Sprecherin des Tierschutzbunds. Keine Tierarztpraxis akzeptiere eine Ratenzahlung, klagt Moritz‘ Betreuerin, die auf Bürgergeld angewiesen ist. Allein wegen der Katzenkaries seien von April bis Juni für beide Tiere 1722 Euro an Tierarztkosten aufgelaufen.
Tierschutzbund: Viele kranke Tiere wurden in Heimen abgegeben
„Viele Tiere wurden gerade im direkten Nachgang der Gebührenerhöhung in katastrophalen Zuständen in den Tierheimen abgegeben“, registriert der Tierschutzbund. „Das ging und geht auch so weit, dass die Tierheime nichts anderes mehr tun können, als die Tiere von ihrem Leiden zu erlösen.“
„Wir passen regelmäßig auf eine fünfjährige Französische Bulldogge auf“, schreibt ein Hundefreund an den Tierschutzbund. Vor ein paar Jahren hatte der Hund eine Bandscheiben-OP. Nun wurde festgestellt, dass die Halswirbelsäule nicht in Ordnung ist. „Er muss ins MRT und auch die nachfolgenden Kosten für OP und Physio gehen ins Unermessliche“, schreibt der überforderte Tierpate. Allein die Kosten für das MRT beliefen sich auf 2500 Euro.
Auch Tierheime geraten unter Druck
Es sei davon auszugehen, dass insbesondere kostspielige Therapien, wie (Notfall-)Operationen oder Behandlungen internistischer Erkrankungen, die nicht ambulant vorgenommen werden können, für Besitzer zum Problem werden, warnt der Tierschutzbund. Die Tierschützer befürchten, dass notwendige Behandlungen wegen der hohen Kosten nicht mehr stattfinden würden.
Auch für die Heime selbst werde es durch den steigenden Andrang und zunehmende Behandlungskosten finanziell zunehmend eng: „Fast alle Tierheime bundesweit stehen aktuell mit dem Rücken zur Wand und müssen zum Teil sogar immer wieder Aufnahmestopps für bestimmte Tierarten verhängen“, sagt die Sprecherin des Tierschutzbunds. „Im Bereich Katzen und Hunde sind aktuell eigentlich alle Tierheime voll oder sogar überbelegt.“
Steigende Beiträge auch bei Versicherungen erwartet
Europas größter Anbieter von Tierfutter- und Tierbedarf, die Fressnapf-Gruppe, rät Tierhaltern im Internet, bei der Entscheidung für ein Haustier alle Fixkosten einschließlich möglicher Zusatzkosten durch Unfälle oder Erkrankungen realistisch zu kalkulieren.
Vor dem Hintergrund explodierender Tierarztrechnungen boomen Versicherungen für Tierarztkosten: Es sei zu erwarten, dass diese Versicherungen ihre Beiträge anheben, da sie in Zukunft für gleiche Leistungen mehr erstatten müssen, warnt Fressnapf.
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