Quickborn. Denkriesen ist der Shootingstar der Branche. Bei den Party- und Trinkspielen der jungen Gründer geht es ziemlich prollig zu.

In der weltweiten Gesellschaftsspielbranche ist der Begriff „german games“ eine eigene Kategorie. In Fachkreisen werden Spiele so genannt, wenn es am Ende mehr als einen großen Sieger gibt oder wenn mehrere Mitspieler sich zusammentun müssen, um gemeinsam Erfolg zu haben. Ganz anders also als bei den Klassikern Monopoly und Risiko.

Da geht es ja darum, der größte Kapitalist von allen zu sein oder gleich die Weltherrschaft zu erringen – und die anderen nagen am Hungertuch oder sind von sämtlichen Kontinenten gefegt. Die Spiele mit Kooperation statt Konfrontation haben ihren Ursprung zumeist in Deutschland. Daher der Name.

Hierzulande macht gerade eine etwas andere Art von Gesellschaftsspiel Furore. Man könnte sie „Ballermann-Schenkelklopfer-Spiele“ nennen. Denis Görz (34) und Ricardo Barreto (33), die Gründer und Chefs der Spielefirma Denkriesen, sprechen lieber von „Party- und Trinkspielen“. Die beiden haben diese Kategorie geschickt professionalisiert. Und dabei offensichtlich einen Nerv getroffen. „Wir wollen, dass die Leute Spaß und ein Lächeln im Gesicht haben“, sagt Görz.

Sex und Saufen – Spielefirma aus Quickborn bricht Tabus

Das 2012 gegründete Unternehmen macht inzwischen einen achtstelligen Jahresumsatz. Auch und vielleicht vor allem, weil Görz und Barreto keinerlei Scheu haben, in der etwas betulichen Brett- und Kartenspiel-Szene Tabus zu brechen. Wenn das Spielbrett aufgeklappt ist und die Karten verteilt sind, geht es bei Denkriesen durchaus mal um Instinkte – Sex und Saufen, Bettgeheimnisse und Vollrausch.

Alles begann 2012 bei einem Campingurlaub. Die Gründer kennen sich seit gemeinsamen Zeiten an der Gesamtschule Hamburg-Niendorf. „Uns verbindet unter anderem das Interesse, selbst ein Unternehmen aufzubauen. Bis dahin hatten wir schon einiges probiert und meist schnell wieder gelassen. Einmal standen wir kurz davor, ein Fitnessstudio zu eröffnen, haben das zum Glück aber noch rechtzeitig abgeblasen“, erzählt Barreto.

Party- und Trinkspiele: Die erste Idee entstand im Camping-Urlaub

Beim Camping mit Freunden vertrieb man sich die Zeit mit einem Trinkspiel. Dessen wesentliches Ziel war letztlich, dass die Mitspieler alkoholische Getränke in sich hineinkippen. Was Jungmänner mit zu viel Freizeit eben so lustig finden. „Das Spiel war damals in Unikreisen weit verbreitet. Ich war der Einzige, der die Regeln nicht genau kannte und musste ständig nachfragen“, erinnert sich Görz. Seine Idee war es, den bis dahin nur mündlich – und je nach Spieldauer bisweilen lallend – überlieferten Regeln in einem Kartenspiel feste Formen zu geben.

Es war die Geburtsstunde von „Klattschen“, dem bis heute erfolgreichen ersten Denkriesen-Spiel. Untertitel: „Das wahrscheinlich beste Trinkspiel aller Zeiten“. Bislang sind etwa eine Million Exemplare verkauft. Anfangs allerdings lief es mühsam. „Über unseren Onlineshop und an Freunde und Bekannte haben wir im ersten Jahr gerade mal 100 Stück für jeweils zehn Euro verkauft“, sagt Görz.

Der Durchbruch kam, als die Denkriesen-Gründer begannen, „Klattschen“ (ein Synonym für das im Spiel verbotene Wort Trinken) offensiv über Amazon zu vermarkten. „Im Weihnachtsgeschäft 2013 haben wir noch am 23. Dezember bis weit in die Nacht selbst die Pakete gepackt“, sagt Barreto. Es war der Zeitpunkt, an dem die Gewissheit reifte, dass es was werden könnte mit der eigenen Spielefirma.

Denkriesen hat derzeit zwölf Spieletitel im Sortiment – bald kommt „Arschmellows“

Seitdem folgten in schneller Folge weitere Spielemarken mit Titeln wie „Freunde versenken“, „Jammerlappen“, „Kritzelschlacht“, „Dingsbums“, „Dummbatz“, „Humbug“ oder „Stadt, Land, Vollpfosten“. Derzeit sind es zwölf, noch in diesem Jahr sollen die Kartenspiele „Arschmellows“, „Safe“ und „Zungenbrecher“ folgen.

Bei einigen verrät schon der Titel, dass es professionell aufbereitete, altbekannte Spiele sind. „Stadt, Land, Vollpfosten“, der andere große Denkriesen-Verkaufsschlager, ist nichts anderes als „Stadt, Land, Fluss“. Das Unternehmen mit Sitz in Quickborn bietet derzeit drei Varianten an: einen Spielblock, ein Karten- und ein Brettspiel, demnächst sollen die erfolgreichsten Versionen in einer Würfelspielvariante folgen.

Derzeit hat Denkriesen zwölf Spielemarken in einer Vielzahl von Varianten und Versionen im Produktprogramm.
Derzeit hat Denkriesen zwölf Spielemarken in einer Vielzahl von Varianten und Versionen im Produktprogramm. © / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Von den schrägen bis skurrilen Namen versprechen sich die Gründer vor allem einen hohen Wiedererkennungswert. „Wir hätten es natürlich auch Stadt, Land, Muss nennen können. Oder Jam statt Jammerlappen. Aber das können sich die Leute nicht so gut merken“, ist Görz überzeugt. Von „Stadt, Land, Vollpfosten“ gibt es inzwischen mehr als zwei Dutzend Versionen. Nächstes Jahr soll eine Hamburg-Edition folgen. Ungemein beliebt bereits seit Jahren ist die Rotlicht-Version, bei der es verbal durchaus zur Sache gehen kann.

Kurzanleitung: Alle Mitspieler haben Karten mit Anfangsbuchstaben, reihum liest ein Spieler eine Frage aus dem weiten Feld des intimen Miteinander vor. Lautet sie etwa „Beliebtes Vorspiel“ und fällt einem Mitspieler mit der Buchstabenkarte X, Y, Z schnell genug „Zungenküsse“ ein, darf er die Karte ablegen. Wer als Erster keine mehr hat, hat gewonnen. Was ein Mitspieler mit der Buchstabenkarte V sagt, wenn die Frage „Anderes Wort für Sex“ lautet, dürfte klar sein. Ziemlich prollig, finden viele lustig, verkauft sich gut.

Spiele-Forscher: Denkriesen-Erfolg ist Ausdruck wachsender Dekadenz

Jens Junge sieht diese Entwicklung mit Irritation. Der Professor am Institut für Ludologie an der SRH University of Applied Sciences in Berlin ist einer von wenigen Forschern im deutschsprachigen Raum, die sich wissenschaftlich mit allen denkbaren Varianten von Spielen beschäftigen. Unter anderem geht er der Frage nach, was Spielinhalte über gesellschaftliche Entwicklungen verraten.

„Das ist wohl Ausdruck der zunehmenden Dekadenz in unserer Gesellschaft“, sagt er über Spiele wie die Rotlichtversion von „Stadt, Land, Vollpfosten“. Wobei Erotikspiele, wie der Professor sie nennt, an sich nichts Neues seien. „Erotische Inhalte gab es bereits vor mehreren Hundert Jahren. Und das SED-Regime unterstützte, dass in der DDR Skatblätter mit Bildern leicht bekleideter junger Frauen gebräuchlich waren.“ Der große Erfolg der Denkriesen-Spiele habe ihn „überhaupt nicht überrascht“, sagt der Spiele-Forscher. Auch andere Kleinverlage und Spieleentwickler setzten inzwischen auf Erotik und Trinkspiele.

Bei Denkriesen gehört „Klattschen“ ebenfalls in die Kategorie Partyspiel mit der Altersfreigabe „ab 16 Jahren“. Es gibt eine Brettspielvariante und neben der Klassikerversion auch welche mit den Titeln Männerabend und Mädelsabend. Immerhin geht es ja auch bei Junggesellinnenabschieden promillemäßig nicht selten hoch her. Vorausschauende Kunden geben zwei, drei Euro mehr aus, dann sind die Karten wasserfest.

Ein Großabnehmer fand die Rotlichtversion zu sexy

„Die Partyspiele bringen einen wichtigen Teil des Umsatzes“, sagt Barreto. Manchen Kunden – dazu gehören inzwischen neben dem Fachhandel auch große Lebensmittel-, Buchhandels- und Drogeriemarktketten – sind sie auch mal zu schmuddelig. „Eine große Drogeriemarktkette hat uns zu verstehen gegeben, dass sie die Rotlicht-Version zwar an sich interessant findet, aber nicht ins Sortiment nehmen möchte, weil das nicht zu ihrem Image passt“, sagen die Gründer. Sie entwickelten eine entschärfte Party-Version.

Barreto und Görz selbst sind mit den Jahren auch ruhiger und Familienväter mit kleinen Kindern geworden. Camping-Sauf-Urlaube gibt es nicht mehr. Dafür aber „Ranklotzen“, ein Spiel um Turmbau mit Bauklötzen für Kinder ab 6 Jahren. „Meine kleine Tochter hat gefragt: Papa, kannst du nicht mal was mit Klötzen machen?“, erzählt Görz.

Denkriesen: Die geringe Flughöhe der Spiele ist ein Erfolgsfaktor

Gesellschaftsspiel-Professor Junge vermisst für sich selbst allerdings die „Spieltiefe“ bei den Denkriesen-Produkten. In ihnen brauchen Spieler weder Taktik noch Strategie. „Im Grunde ist das Unternehmen eher ein Partyausstatter als eine Spielefirma oder ein -entwickler“, sagt er. Doch die Einfachheit ist wohl einer der Erfolgsfaktoren. Das Firmenmotto lautet: „Auspacken und losspielen“. Nach zwei, drei Minuten sollen alle die Regeln verstanden haben.

Eine Sonderedition von „Stadt, Land, Vollpfosten“ für eine beliebte Kaugummimarke und das Merchandising des Bundesligisten Union Berlin haben sie in Quickborn schon gemacht. Noch in diesem Jahr werde es gleich drei Denkriesen-Spiele mit und für einen sehr erfolgreichen Erstligisten aus Westdeutschland geben, heißt es.

In der Rotlichtversion von „Stadt, Land, Vollpfosten“ geht es auf den Fragekarten immer auch um das eine Thema: Sex.
In der Rotlichtversion von „Stadt, Land, Vollpfosten“ geht es auf den Fragekarten immer auch um das eine Thema: Sex. © FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

In den vergangenen Jahren befeuerte zudem die Corona-Pandemie und der Rückzug vieler Menschen ins Private den Ab- und Umsatz sowie das Firmenwachstum. 2017 stellten die Gründer den ersten Mitarbeiter fest ein, inzwischen arbeiten in der Zentrale im Gewerbegebiet Quickborn-Ost insgesamt 26 Menschen, Ende des Jahres sollen es 30 sein.

Der Umsatz kletterte von 3,5 Millionen Euro im Vor-Pandemiejahr 2019 auf 12,5 Millionen 2022 bei 1,6 Millionen verkauften Spielen. Und damit deutlich stärker als in der Gesamtbranche. Nach Angaben des Verbandes der Spielwarenindustrie gingen die Erlöse mit Brett- und Kartenspielen sowie Puzzles hierzulande 2022 nach zwei Boomjahren zwar leicht auf 750 Millionen Euro zurück. Das waren aber immer noch gut 20 Prozent mehr als 2019.

Zwei Prozent des Gewinns spenden die Gründer

Auch wenn der Corona-Effekt weg ist: „Der Umsatz wird in diesem Jahr weiter steigen“, sagt Barreto. Und der Gewinn? Ergibt sich aus einem einfachen Rechenspiel. Denkriesen verspricht, jedes Jahr zwei Prozent des Gewinns für gemeinnützige Zwecke zu spenden. „Zuletzt waren es um die 50.000 Euro pro Jahr“, sagt Görz. Der Gewinn lag also um und bei 2,5 Millionen Euro.

Dass der Geschäftsgang erfreulich ist, zeigt sich auch am Unternehmenssitz an der Theodor-Storm-Straße 13a. Dort sind die Denkriesen – im Firmennamen finden sich nicht zufällig die Buchstaben D wie Denis und R wie Ricardo – jüngst aus Behelfsbüros in diversen Lagerhallen in die neue Zentrale umgezogen. Gebaut für 1,6 Millionen Euro. Besonderer Hingucker gleich im Eingangsbereich: die Karten eines „Klattschen“-Spiels, aufgefächert und beleuchtet unter Panzerglas in den Fußboden eingelassen.

Sex und Saufen – das erste verkaufte Spiel hat Denkriesen zurückgekauft

„Es ist das allererste Spiel, das wir überhaupt verkauft haben“, sagt Denis Görz. Ein Freund hatte dafür 10 Euro gezahlt, als vor elf Jahren alles anfing. Als die Gründer ihm jetzt anboten, es für 100 Euro und neue „Klattschen“-Karten zurückzukaufen, war er einverstanden. Ein in mehrfacher Hinsicht gutes Geschäft für den Denkriesen-Premierenkunden. Die Trinkspielkarten hatten in den Jahren Gebrauchsspuren erlitten. „Manche waren ein bisschen klebrig“, weiß Ricardo Barreto, „vom Bier.“